NJW-Editorial

In­te­grier­ter Ba­che­lor
NJW-Editorial

Der Land­tag von Nord­rhein-West­fa­len berät zur­zeit über die Ein­füh­rung eines „Inte­grierten Ba­che­lor Rechts­wis­sen­schaft“. Nach dem bis­he­ri­gen Ver­lauf der Be­ra­tun­gen kann man pro­gnos­ti­zie­ren: Die­ser zu­sätz­li­che Ab­schluss wird nun auch im grö­ß­ten Bun­des­land kom­men – und damit eine aka­de­mi­sche Ab­si­che­rung für Stu­die­ren­de, die sich an Jura wagen. 

29. Aug 2024

Aus den re­gu­lä­ren Leis­tun­gen im Stu­di­um („Schei­ne“ für die Zu­las­sung zum Ex­amen sowie Schwer­punkt­prü­fun­gen) er­gibt sich ein An­spruch auf den Bachelor-­Grad; die ei­gent­li­che Staats­prü­fung ent­schei­det dann also nicht mehr dar­über, ob nach vier bis sechs Jah­ren über­haupt ein Stu­di­en­ab­schluss er­wor­ben wird.

Was ist davon zu hal­ten? Es gibt einen ge­ra­de­zu na­tür­li­chen Re­flex, eine sol­che Re­ge­lung mit Un­ver­ständ­nis oder Wi­der­wil­len zu be­trach­ten. Wer in der ju­ris­ti­schen Pra­xis steht, kann mit Recht fra­gen, warum es Stu­die­ren­de heute leich­ter haben soll­ten (in ­einer sym­pa­thi­schen Va­ri­an­te mit dem Ge­dan­ken: „Selbst ich habe das ge­schafft!“). Auch las­sen sich As­pek­te der Qua­li­täts­si­che­rung an­füh­ren, um das Rechts­sys­tem und damit die Bür­ger­schaft im Rechts­staat zu schüt­zen. Wer sich aber län­ger mit dem Vor­ha­ben be­schäf­tigt, dem er­öff­net sich eine ent­ge­gen­ge­setz­te Sicht­wei­se: Ge­ra­de um das Staats­ex­amen und seine be­son­de­ren Qua­li­tä­ten zu schüt­zen, liegt es nahe, das Jura-­Studium mit einem sol­chen Zwi­schen­ab­schluss zu ent­las­ten und zu­gleich at­trak­tiv zu hal­ten. Denn: Die deut­schen Ju­ris­ten sind nicht al­lein auf der Welt; die all­ge­mei­ne Ent­wick­lung an den Uni­ver­si­tä­ten („Bo­lo­gna“) und das schon an den Schu­len ein­ge­üb­te Zweck­den­ken füh­ren bei Stu­di­en­in­ter­es­sier­ten zu der Wahr­neh­mung, dass das Jura­studium viel Ein­satz bei sehr un­ge­wis­sem Ge­winn ver­langt. Hier ist nun ein wenig dia­lek­ti­sche An­stren­gung ge­fragt: Wenn man die­sen vol­len Ein­satz für not­wen­dig hält und das Ziel des klas­si­schen ju­ris­ti­schen Stu­di­ums für loh­nens­wert, muss man die heu­ti­ge Stu­die­ren­den­ge­ne­ra­ti­on dafür erst ein­mal ge­win­nen. Dafür kann das er­reich­ba­re Ziel des „­integrierten Ba­che­lors“ nütz­lich sein, zumal für ihn durch­aus eine ge­wis­se be­ruf­li­che Nach­fra­ge be­steht. An­ders ge­wen­det: Die apo­ka­lyp­ti­schen Un­ter­tö­ne ver­gan­ge­ner Zei­ten („Nur einer von drei­en wird be­stehen“) funk­tio­nie­ren nicht mehr als An­reiz – wer so men­schen­un­freund­lich redet, sägt in der Ge­gen­wart am Ast des ju­ris­ti­schen ­Studiums und bald auch der ju­ris­ti­schen Be­ru­fe. Letzt­lich haben Uni­ver­si­tä­ten und Rechts­pra­xis ja ein ge­mein­sa­mes In­ter­es­se, dass zahl­rei­che ju­ris­ti­sche Fa­kul­tä­ten ein of­fe­nes Stu­di­um für jeden In­ter­es­sier­ten an­bie­ten. Nur so haben wir die Chan­ce, be­son­de­re Ta­len­te zu för­dern, die sich ihrer Sache nicht von vorn­her­ein si­cher sind, ge­ra­de auch be­gab­te Er­st­aka­de­mi­ker. Dazu muss das Ju­ra­stu­di­um aber erst ein­mal auf­ge­nom­men wer­den!

Gegen man­che Un­ken­ru­fe: Kein ernst­zu­neh­men­des Stu­di­um in Deutsch­land ist ge­gen­wär­tig so frei und so in­ter­es­sant wie das der Rechts­wis­sen­schaf­ten – und zwar ge­ra­de wegen des Staats­ex­amens. Will man es gegen die von man­chen an­ge­streb­te „Große ­Reform“ schüt­zen, ist der In­te­grier­te Ba­che­lor ein Ge­winn.

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Prof. Dr. Hinnerk Wißmann lehrt Öffentliches Recht in Münster.