Urteilsanalyse
Insolvenzschutz von Wertguthaben
Urteilsanalyse
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Vom Arbeitgeber aufzubringende Beitragsanteile, die das während der Freistellungsphase fingierte Arbeitsentgelt betreffen, sind – jedenfalls soweit in der Ansparphase die Beitragsbemessungsgrenze überschritten wurde – erst in der Freistellungsphase fällig und können deshalb nicht im Rahmen der Betriebsprüfung nachgefordert werden- so das LSG Baden-Württemberg..

19. Sep 2022

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 19/2022 vom 16.09.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt

Die Klägerin – eine Unternehmensberatung in der Rechtsform einer GmbH – beschäftigt ca. 40 Mitarbeiter. Mit mehreren Mitarbeitern hat sie die Bildung von Zeitwertkonten vereinbart und Vorkehrungen getroffen, um die angesparten Beträge gegen das Risiko der Insolvenz vollständig abzusichern. Während der Laufzeit der geschlossenen Vereinbarung wurden in die Wertguthaben jeweils das Arbeitsentgelt und der darauf entfallende Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag für Entgelte bis zur Beitragsbemessungsgrenze eingestellt. Für Entgelte oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze unterblieb die Einzahlung des Arbeitgeberanteils und die Insolvenzsicherung.

Die beklagte DRV beanstandete im Rahmen einer Betriebsprüfung, dass zu wenig Arbeitgeberanteile insolvenzgesichert seien. Da in der Freistellungsphase auch über der Beitragsbemessungsgrenze erzieltes und ins Wertguthaben eingestelltes Arbeitsentgelt regelmäßig beitragspflichtig entspart werde, sei der Arbeitgeberanteil auf die volle Höhe des Arbeitsentgelts ohne Begrenzung auf die Beitragsbemessungsgrenze gegen Insolvenz abzusichern. Die getroffenen Wertguthabenvereinbarungen seien – wegen der fehlenden Insolvenzsicherung – von Anfang an als unwirksam anzusehen, so dass sie aufzulösen sind und in Form eines „Störfalls“ zu verbeitragen seien. Daraus ergebe sich eine Nachforderung von 11.083,25 EUR. Die Klägerin habe aber die Möglichkeit, den Mangel innerhalb von zwei Monaten zu beheben und eine ausreichende Insolvenzsicherung (nachträglich) nachzuweisen. Werde der Nachweis einer geeigneten ausreichenden Insolvenzsicherung nicht innerhalb dieser Frist erbracht, werde der aus dem Wertguthaben zu zahlende Gesamtsozialversicherungsbeitrag sofort fällig, und an die Einzugsstelle zu zahlen. Widerspruch und Klage waren erfolglos. Das SG hat die betroffenen Arbeitnehmer zum Verfahren beigeladen und die Vereinbarungen über das Zeitwertguthaben als von Anfang an unwirksam angesehen, weil es an der vollständigen Insolvenzsicherung fehle. Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, dass eine Verpflichtung zum voraussorgenden Schutz, was die Arbeitgeberanteile anlangt, nicht besteht, da diese überhaupt noch nicht feststehen und möglicherweise auch nie eintreten. Der Gesetzgeber habe sich seit jeher darauf verlassen, dass ein durch eine Insolvenz nicht daran gehinderter Arbeitgeber seinen sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen im Übrigen auch den arbeitsrechtlichen Verpflichtungen nachkomme.

Entscheidung

Auf die Berufung hebt das LSG das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides auf. Der angefochtene Bescheid der Betriebsprüfung sei einerseits inhaltlich nicht ausreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X), vor allem aber fehlt es für die getroffenen Regelungen an einer Ermächtigungsgrundlage. Die Betriebsprüfung ist gem. § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV lediglich ermächtigt, im Prüfbescheid den Fall der Untersicherung und den aus dem Wertguthaben vom Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag auszuweisen. Nach § 7e Abs. 6 Satz 1 SGB IV sei die Betriebsprüfung aber nicht befugt, fehlende Sicherungsmittel für den im Wertguthaben enthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeitrag durch Verwaltungsakt zur Zahlung an die Einzugsstelle festzusetzen. Die gesetzliche Regelung des § 7e Abs. 6 Satz 2 SGB IV überlässt es grundsätzlich den Arbeitsvertragsparteien, ob sie den von der Prüfstelle festgestellten Insolvenzsicherungsmangel beheben oder eine Auflösung des Wertguthabens in Kauf nehmen wollen. Eine sozialversicherungsrechtliche Nachschusspflicht, die vom Rentenversicherungsträger überwacht und durch Verwaltungsakt durchgesetzt werden könnte, ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Die Beiträge, um deren Sicherung es schlussendlich geht, werden erst in der Auszahlungsphase fällig, nicht aber während der Arbeitsphase, so dass auch § 28b Abs. 1 SGB IV als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht kommt.

Praxishinweis

1. In der Auszahlungsphase ist der Arbeitgeber verpflichtet, auf die ausgezahlten Beiträge die dann gültigen Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung zu zahlen. Dies unabhängig davon, ob die Auszahlbeträge aus einem Guthaben stammen, welches gefüllt wurde mit Entgeltbestandteilen jenseits der damals geltenden Beitragsvermessungsgrenze (BSG, FD-SozVR 2013, 352009). Das LSG Hessen hat mit Urteil vom 16.11.2017 (BeckRS 2017, 151993) entschieden, dass der Arbeitgeber geschätzte Arbeitgeberanteile aus allen Entgelten, die während der Ansparphase in das Wertguthaben eingestellt wurden, an die DRV Bund zu zahlen hat, soweit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Übertragung an die DRV Bund gem. § 7f SGB IV beantragt haben. Das BSG (Terminsbericht v. 1.4.2019 – B 12 KR 15/18 R) ist der Auffassung, dass über diese Art der Beitragspflicht die Einzugsstelle zu entscheiden hat. Die DRV Bund teilt diese Auffassung nicht, sondern nimmt die Übertragung nur dann an, wenn in dem Übertragungskapital die Arbeitgeberanteile in vollem Umfang mitenthalten sind.

2. Das LSG hatte im vorliegenden Fall auch zu entscheiden über den Antrag der Klägerin, die - wegen des Sofortvollzugs gem. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG - gezahlten Beträge von der Einzugsstelle zurückzuerhalten. Das LSG weist diesen Antrag ab, da die Beitragserstattung ein gesondertes Verfahren sei, welches bei der Einzugsstelle gem. §§ 26, 27 SGB IV zu beantragen ist. Jedenfalls dürfte aber das vorliegende Klageverfahren die Verjährung gem. § 27 SGB IV gehemmt haben.


LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2022 - L 4 BA 3605/20, BeckRS 2022, 19207