Urteilsanalyse
Insolvenzfreies Vermögen als Gegenstand einer Zahlungsklage des Insolvenzverwalters
Urteilsanalyse
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Eine Zahlungsklage des Insolvenzverwalters gegen den Schuldner persönlich, mittels derer eine nach Verfahrenseröffnung eingetretene Masseverkürzung rückgängig gemacht werden soll, richtet sich nach einem Urteil des BGH bei interessengerechter Auslegung gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners.

16. Mai 2022

Rechtsanwalt Harald Kroth, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 10/2022 vom 13.05.2022

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Sachverhalt

Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin in dem am 14.7.2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten (Schuldner). Dieser hatte vor Verfahrenseröffnung einen Teil seiner Wohnung, die er angemietet hatte, untervermietet. Die Klägerin gab mit Wirkung vom 1.11.2017 hinsichtlich des Mietverhältnisses zwischen dem Beklagten und dem Hauptvermieter die Enthaftungserklärung nach § 109 InsO ab. Da die nach Verfahrenseröffnung bis Oktober 2018 gezahlten Untermieten nicht in die Insolvenzmasse gelangten, erhob sie Zahlungsklage gegen den Schuldner.

Die Klägerin war in erster Instanz überwiegend erfolgreich. Sie begehrte im Verfahren über die Berufung des Beklagten hilfsweise die Feststellung, dass ihr gegen den Beklagten ein Zahlungsanspruch in der vom Landgericht ausgeurteilten Höhe zustehe. Das Berufungsgericht hielt den Zahlungsantrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig, den Hilfsantrag zwar für zulässig, wies diesen aber als unbegründet ab.

Das Ziel der Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, hilfsweise die im Berufungsrechtszug begehrte Feststellung, erreichte die Klägerin mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision nicht.

Entscheidung

Mit der Klage werde, so der BGH, bei interessengerechter Würdigung des damit verfolgten Ziels die Rückgängigmachung der mit der Weiterleitung der Untermieten an die Hauptvermieterin bewirkten Masseverkürzung verfolgt. Die Klage beziehe sich damit auf insolvenzfreies, nicht schon von § 35 Abs. 1 InsO erfasstes Vermögen des Schuldners. Der nur insolvenzbeschlagenes Vermögen betreffende Vollstreckungszugriff nach § 148 Abs. 2 InsO sei damit nicht möglich. Der Anspruch müsse im Klageweg verfolgt werden, die Leistungsklage sei zulässig und scheitere nicht am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis. Die Prozessführungsbefugnis der Klägerin als Insolvenzverwalterin und damit als Partei kraft Amtes sei ebenfalls zu bejahen.

Die Klage sei jedoch unbegründet, weil es an einem materiell-rechtlichen Anspruch gegen Schuldner fehle, insbesondere die Voraussetzungen des § 816 Abs. 2 BGB nicht vorlägen.

Hinsichtlich der bis zum Eintritt der Wirkung der Enthaftungserklärung gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO vereinnahmten Beträge scheitere der Anspruch zumindest daran, dass die Masse durch die Weiterleitung um die gegenüber der Hauptvermieterin als Masseverbindlichkeit  zu zahlende Miete entlastet worden sei. Dies gelte nach der Rechtsprechung des BGH zu § 82 InsO bei Leistung eines Drittschuldners (BGH NZI 2021, 1018) und müsse auch dann gelten, wenn die Masse dadurch entlastet werde, dass der Schuldner in den Leistungsvorgang eingeschaltet werde.

Hinsichtlich der nach dem Eintritt der Wirkung der Enthaftungserklärung vereinnahmten Untermietzahlungen scheitere der Anspruch daran, dass der Beklagte berechtigt iSd § 816 Abs. 2 BGB gewesen sei. Ebenso wie das Hauptmietverhältnis habe das Wohnraum-Untermietverhältnis nach § 108 Abs. 1 InsO mit Wirkung für die Masse fortbestanden. Die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO bewirke nach der Rechtsprechung des BGH, dass ein Mietverhältnis vollständig in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners überführt werde, (BGH NZI 2014, 614 Rn. 14). Bei einem Wohnraummietverhältnis erstrecke sich die Enthaftungserklärung auf das den Wohnraum betreffende Untermietverhältnis.

Da die Klage zulässig sei, sei über den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag nicht zu entscheiden. Im Übrigen stünde der Zulässigkeit des Feststellungsantrags der Vorrang der Leistungsklage entgegen.

Praxishinweis

Die wohl begründete Entscheidung verdient Zustimmung. Sie setzt nicht nur die Rechtsprechung des BGH zu den sich von den Wirkungen einer Kündigung unterscheidenden Wirkungen der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO konsequent fort, sondern vermeidet auch eine Aufspaltung und damit verbundene Probleme bei einem Auseinanderfallen von Haupt- und Untermietverhältnis.

Die Enthaftungsmöglichkeit nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO steht dem Insolvenzverwalter in der Mieter-Insolvenz nur bei Wohnraummietverhältnissen zu. Vom Mieter und späteren Insolvenzschuldner begründete Untermietverhältnisse sind jedoch auch im Bereich der (gewerbliche) Geschäftsraum-Mietverhältnisse anzutreffen. Auch hier berührt die Kündigung des Hauptmietverhältnisses durch den Insolvenzverwalter des Mieters nicht die Wirksamkeit des von diesem begründeten und nach § 108 Abs. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehenden Untermietverhältnisses. Bei Kündigung des Hauptmietverhältnisses kann sich eine Rechtsmängelhaftung der Masse ergeben. Gegebenenfalls kommt für den Insolvenzverwalter Freigabe nach § 35 Abs. 1 InsO in Betracht.


BGH, Urteil vom 02.12.2021 - IX ZR 206/20 (KG), BeckRS 2021, 51056