Anmerkung von
Rechtsanwalt Harald Kroth, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 22/2020 vom 06.11.2020
Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Miet- und Wohnungseigentumsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de
Sachverhalt
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Gläubigerantrag vom 13.2.2014 am 16.6.2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners (S). Dieser und dessen Ehefrau unterhielten bei der beklagten Bank (Bank) auf Basis eines Kontoeröffnungsvertrages, in den die AGB-Banken einbezogen waren, ein Girokonto als Gemeinschaftskonto mit jederzeit widerruflicher Einzelverfügungsbefugnis (sogenanntes Oder-Konto). Zwischen der Beklagten einerseits sowie dem Schuldner und seiner Ehefrau andererseits bestand zudem aus einem Darlehensvertrag ein Rückzahlungsanspruch der Bank in Höhe von rd 26.500 EUR.
Der zunächst als Gutachter bestellte Kläger informierte die Bank mit Schreiben vom 25.3.2014 über das Insolvenzeröffnungsverfahren. Nach seiner Bestellung am 14.4.2014 zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt und der Ermächtigung, Bankguthaben und sonstige Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen, erklärte der Kläger den Widerruf der Einzelverfügungsbefugnis für das Gemeinschaftskonto.
Am 2.6.2014 kündigte die Bank sowohl den Vertrag über die Führung des Girokontos als auch den Darlehensvertrag und verrechnete ihren in Höhe von noch 26.306 EUR bestehenden Darlehensrückzahlungsanspruch mit dem im Kündigungszeitpunkt auf dem Girokonto in Höhe von 14.912 EUR vorhandenen Guthaben.
Der Kläger hielt die von der Bank ausgesprochene Kündigung des Darlehensvertrages für anfechtbar mit der Folge der insolvenzrechtlichen Unwirksamkeit der von ihr vorgenommene Verrechnung und forderte von der Bank die Auszahlung des Giroguthabens.
Das LG wies die Klage ab. Das Berufungsgericht verurteilte die Bank zur Zahlung von 3.329 EUR nebst Zinsen und wies die Berufung des Klägers im Übrigen zurück.
Entscheidung
Die Revision des Klägers blieb erfolglos.
Der Kläger habe, so der BGH, wegen des unwirksamen Widerrufs der Einzelverfügungsbefugnis zwar Auszahlung des Kontoguthabens verlangen können, mit Erfolg allerdings nur in der Höhe, in der der Anspruch nicht durch Aufrechnung der Bank mit ihrem Darlehensrückzahlungsanspruch erloschen sei.
Mit dem Übergang der Verfügungsbefugnis gem. § 80 Abs. 1 InsO sei die Einzelverfügungsbefugnis des Schuldners, dem als Mitinhaber des Gemeinschaftskontos als Gesamtgläubiger im Sinne des § 428 BGB ein eigenes Forderungsrecht zugestanden habe, auf den Kläger übergegangen, der damit Auszahlung des gesamten Kontoguthabens an sich habe verlangen können.
Die Einzelverfügungsbefugnis des Schuldners habe fortbestanden, weil dem Kläger als vorläufigem Insolvenzverwalter durch den vom Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO angeordneten Zustimmungsvorbehalt nicht die Befugnis zu dem von ihm erklärten Widerruf erteilt worden sei und sich diese auch nicht aus den dem Kläger gem. § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO eingeräumten Einzelbefugnissen, Bankguthaben und sonstige Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen, ergeben habe, der Widerruf daher wirkungslos geblieben sei.
Die Bank habe durch eine zumindest gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO anfechtbare Rechtshandlung, nämlich die Kündigung des Darlehensvertrages und den damit (in Höhe von 26.306 EUR) fällig gestellten Rückzahlungsanspruch, eine Aufrechnungsmöglichkeit erlangt.
In Höhe von 3.329 EUR liege die nach § 129 Abs. 1 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung vor, weil insoweit ein in der Krise an dem Kontoguthaben entstandenes AGB-Pfandrecht als inkongruente Sicherung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar sei (BGH BeckRS 2002, 3416; BGH BeckRS 2008, 1004).
In Höhe von 11.584 EUR fehle jedoch die Gläubigerbenachteiligung, da die Bank in dieser Höhe an dem bis zu dem nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO maßgeblichen Zeitraum des letzten Monats vor dem Eröffnungsantrag auf dem Gemeinschaftskonto vorhandenen Guthaben von 11.780 EUR durch ein anfechtungsfestes AGB-Pfandrecht gesichert gewesen sei, dem auch der Anspruch auf das Tagesguthaben unterliege. Das Pfandrecht erfasse sämtliche auf das Kontoguthaben bezogene Ansprüche des Kunden gegen die Bank, an denen ein Pfandrecht bestellt werden könne. Daher sei es unerheblich, dass konkret zu Beginn dieses Anfechtungszeitraums ein Rechnungsabschluss nicht durchgeführt worden sei, dieser Abschluss erst während des von § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfassten Zeitraums angestanden habe und bei bestehender Kontokorrentbindung ein Pfandrecht an den in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen nicht erworben werden könne (vgl. BGH NZI 2009, 599 Rn. 9).
Der Insolvenzfestigkeit des AGB-Pfandrechts der Bank an dem vor dem letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Höhe von 11.780 EUR bestehenden girovertraglichen Auszahlungsanspruch stehe nicht entgegen, dass (auch) in dem der Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterliegenden Zeitraum fortlaufend neue Tagessalden gebildet worden seien und es zu einem Rechnungsabschluss mit anschließendem Saldoanerkenntnis gekommen sein könne. Insoweit liege ein die objektive Gläubigerbenachteiligung und damit die Anfechtbarkeit ausschließender masseneutraler Sicherheitentausch vor (vgl. dazu BGH NZI 2017, 349 Rn. 12). In Höhe von 196 EUR habe die Bank allerdings am 15.1.2014 durch die Zulassung von Belastungsbuchungen das ihr anfechtungsfest zustehende Pfandrecht freigegeben (BGH NZI 2004, 314), so dass ein anfechtungsfestes Pfandrecht in Höhe von nur 11.584 EUR verblieben sei.
Praxishinweis
„Was kann/darf er, was nicht“?
Der BGH hat mit der vorliegenden Grundsatzentscheidung die Rechtsstellung und Befugnisse des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters weiter konkretisiert. Der nur mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattete (und daher so genannte) „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalters ist „rechtlich nicht in der Lage [...], den Schuldner gegen dessen Willen zu Handlungen anzuhalten.“ (so schon BGH BeckRS 2002, 7078). Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter kann den Schuldner zwar nicht daran hindern, weiter zu tun und zu lassen, was dieser will, er kann aber die Wirksamkeit der Verfügungen, die der Schuldner ohne seine Zustimmung vornimmt, verhindern. Umgekehrt kann auch der schwache vorläufige Insolvenzverwalter, soweit ihm nicht zur Erfüllung bestimmter Pflichten gem. § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO korrespondierende einzelne Befugnisse eingeräumt sind, alleine nicht wirksam verfügen.
Die dem mit Zustimmungsvorbehalt ausgestatteten vorläufigen Verwalter eingeräumten Einzelbefugnisse müssen, worauf der BGH ausdrücklich hinweist, aus Gründen der Rechtsklarheit und des Schutzes von Vertragspartnern für diese nach Art und Umfang eindeutig sein, weshalb eine Auslegung der gerichtlichen Anordnung nur in engen Grenzen möglich ist.
Eine Ermächtigung zum Einzug von Bankguthaben und sonstigen Forderungen des Schuldners sowie zur Entgegennahme eingehender Gelder kann nach der Entscheidung, das wird sich der Praktiker merken (müssen, auch wenn in Eröffnungsverfahren Oder-Konten nicht allzu oft anzutreffen sein dürften), nicht als Ermächtigung zum Widerruf der Einzelverfügungsbefugnis ausgelegt werden. Dies selbst dann nicht, wenn damit der Ausgleichsanspruch, der dem Schuldner im Innenverhältnis zu dem weiteren Kontoinhaber zusteht, an den die Bank weiterhin schuldbefreiend leisten kann, gesichert werden könnte (vgl. dazu BGH BeckRS 2018, 14928 Rn. 19 ff.).
Der vorläufige schwache Insolvenzverwalter, der es nicht nur gewohnt ist, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen oder nehmen zu müssen und Stärke zu zeigen, muss sich bei seinem Handeln seiner „rechtlichen Schwäche“ bewusst sein. Entweder er kann mit dem Schuldner – genau genommen umgekehrt, da er diesem nur an die Seite gestellt ist (auch eine Art Schattenverwalter) - zusammen wirksam handeln oder er muss bei Gericht die Anordnung (weiterer) konkreter und unmissverständlicher Einzelbefugnisse bis hin zur Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots anregen. Auf sein nur subjektives Verständnis von Umfang einer Einzelermächtigung sollte er sein Handeln im Zweifel nicht stützen.
BGH, Urteil vom 24.09.2020 - IX ZR 289/18 (OLG Frankfurt a.M.), BeckRS 2020, 25906