Urteilsanalyse
Insolvenzanfechtung von abgeführter Winterbeschäftigungsumlage gegenüber der Lohnausgleichskasse
Urteilsanalyse
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Ist der Arbeitgeber zur Abführung der Winterbeschäftigungsumlage über die gemeinsame Einrichtung seines Wirtschaftszweigs oder über eine Ausgleichskasse verpflichtet, so ist nach einem Urteil des BGH vom 10.12.2020 in der Insolvenz des Arbeitgebers die gemeinsame Einrichtung oder Ausgleichskasse zur Rückgewähr einer in anfechtbarer Weise erlangten Zahlung der Umlage verpflichtet.

18. Feb 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Dr. Pascal Schütze, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 04/2021 vom 18.02.2021

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Sachverhalt

Die Schuldnerin war ein Betrieb des Dachdeckerhandwerks und beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer. Sie war zur Entrichtung der Winterbeschäftigungsumlage verpflichtet. Nachdem die Schuldnerin die Umlage für März 2015 in Höhe von 215 EUR nicht entrichtet hatte, erließ die Bundesagentur für Arbeit durch die Agentur für Arbeit Frankfurt am Main am 11.6.2015 einen Leistungsbescheid. Mit Vollstreckungsanordnung vom 14.7.2015 beauftragte die Bundesagentur das Hauptzollamt Berlin mit der Vollstreckung und bat, eingezogene Beträge an die Beklagte auszukehren. Am 1.10.2015 zahlte die Schuldnerin die offene Umlage an das Hauptzollamt, das die bei ihm eingegangenen 215 EUR an die Lohnausgleichskasse weiterleitete. Die Lohnausgleichskasse führte die Umlage an die Bundesagentur ab. Nach Eigenantrag der Schuldnerin vom 21.10.2015 erhob der klagende Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin gegenüber der beklagten Lohnausgleichskasse Anfechtungsklage nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Sowohl das AG als auch das LG Wiesbaden sahen die Klage wegen fehlender Passivlegitimation der Beklagten als unbegründet. Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision hob der Neunte Zivilsenat des BGH die Urteile des Amts- und Landgerichts Wiesbaden auf und gab der Klage – bis auf einen geringen Teil der Zinsforderung – statt.

Entscheidung

Nach dem BGH richte sich der Anfechtungsanspruch, soweit die Vermögensübertragung unmittelbar auch eigene Rechte oder Pflichten der Zwischenperson berühre, diese also nicht als Zahlungs- und Verrechnungsstelle eingeschaltet sei, grundsätzlich gegen die Zwischenperson. In gleicher Weise sei die Zwischenperson verpflichtet, wenn sie selbst Vollrechtsinhaberin sei und – sofern dies nicht lediglich auf einer Abtretung beruhe – schuldbefreiend nur an sie geleistet werden könne, was bei einer Einzugsstelle für Gesamtsozialversicherungsbeiträge ebenso wie bei den Umsatzsteuerforderungen einziehenden Bundesland und der Betreiberin eines Systems zur Erhebung der Lkw-Maut im Guthaben-Abrechnungsverfahren zu bejahen sei. Bei der Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Steuern sei die Einzugsstelle auch insoweit Anfechtungsgegnerin, als die Mittel von ihr im Innenverhältnis an einen anderen Rechtsträger abzuführen seien. Wesentlicher Grund hierfür sei, dass im Außenverhältnis der Einzugsstelle zu dem Abgabenschuldner dieser nur an die Einzugsstelle mit befreiender Wirkung leisten könne. Die Einzugsstelle sei daher wie eine Vollrechtsinhaberin anzusehen.

Arbeitgeber, auf welche die Tarifverträge über die gemeinsamen Einrichtungen oder Ausgleichskassen Anwendung fänden, seien gem. § 356 Abs. 1 Satz 1 SGB III verpflichtet, die Winterbeschäftigungsumlage über die gemeinsame Einrichtung ihres Wirtschaftszweigs oder über eine Ausgleichskasse abzuführen. Die gemeinsame Einrichtung oder Ausgleichskasse führe die eingezogene Umlage an die Bundesagentur für Arbeit ab. Daraus folge, dass ein Arbeitgeber, auf den, wie im Streitfall auf die Schuldnerin, der entsprechende Tarifvertrag Anwendung finde, die Winterbeschäftigungsumlage mit befreiender Wirkung gemäß gesetzlicher Anordnung nur an die Beklagte abführen könne. Die Beklagte sei daher richtige Anfechtungsgegnerin.

Im Übrigen seien die Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO zeitlich erfüllt und auch eine inkongruente Deckung gegeben, da diese auch dann vorliege, wenn der Schuldner in der Krise – wie hier – zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistet habe.

Praxishinweis

Die Abweisung einer Klage wegen fehlender Passivlegitimation – ohne weitere inhaltliche Auseinandersetzung – ist für einen Prozessanwalt die Höchststrafe. Im Anfechtungsrecht ist dabei die Kenntnis der Rechtsprechung des BGH zur Bestimmung des richtigen Anfechtungsgegners im Mehr-Personen-Verhältnis unerlässlich. Denn für die zweite Fallgruppe ergibt sich – wie der BGH in dem Urteil weiter ausführt – ein völlig anderes Ergebnis: Mittelbare Zuwendungen, die unter Einschaltung eines Dritten an einen Gläubiger vorgenommen werden, werden regelmäßig so behandelt, als habe der befriedigte Gläubiger unmittelbar vom Schuldner erworben. Der Rückgewähranspruch richtet sich in solchen Fällen grundsätzlich gegen den, der in Folge der anfechtbaren Handlung den Gegenstand aus dem Vermögen des Schuldners erhalten hat. Tilgt der Schuldner eine zum Zweck des Forderungseinzugs treuhänderisch abgetretene Forderung gegenüber einem Inkassounternehmen als Forderungszessionar, kann die Zahlung gegenüber dem ursprünglichen Forderungsinhaber angefochten werden. Eine Anfechtung gegenüber dem Inkassounternehmen soll nicht möglich sein. Der BGH verweist in diesem Zusammenhang auf sein Urt. v. 12.9.2019 – IX ZR 264/18, in dem er diese Differenzierung der Fallgruppen nochmals dargelegt hat; diese Grundsätze wendet er nunmehr für die Abführung der Winterbeschäftigungsumlage an.

BGH, Urteil vom 10.12.2020 - IX ZR 80/20 (LG Wiesbaden), BeckRS 2020, 39952