Standpunkt

In­no­va­ti­ons­freund­li­ches Öko­sys­tem
Standpunkt
denisismagilov/Adobe

Immer mehr Ge­rich­te ex­pe­ri­men­tie­ren mit Legal-Tech-Soft­ware. Auch an Ideen man­gelt es nicht. Was es nun braucht, ist ein Öko­sys­tem, in dem sich diese In­no­va­ti­on ent­fal­ten kann.

3. Feb 2023

Die Di­gi­ta­li­sie­rung der Jus­tiz geht in eine neue Phase. Zu­neh­mend wird nicht mehr nur über die Digitali­sierung ge­spro­chen, son­dern auch in der Pra­xis damit ­experimentiert. So war von KI-As­sis­ten­ten zu lesen, die Rich­ter bei der Be­wäl­ti­gung von Mas­sen­ver­fah­ren un­ter­stüt­zen, oder von Soft­ware zur Struk­tu­rie­rung des Par­tei­vor­trags, die an Ge­rich­ten pi­lo­tiert wer­den soll. Auch an Ideen man­gelt es nicht, wie der „eJu­sti­ce Cup“ in Hes­sen ge­zeigt hat. Dort kämpf­ten nicht we­niger als 60 Di­gi­ta­li­sie­rungs­ide­en um den Sieg. Der Wille zur In­no­va­ti­on ist vor­han­den. Damit er sich aber ent­fal­ten kann, muss die Jus­tiz zu einem in­no­va­ti­ons­freund­li­che­ren Öko­sys­tem wer­den.

Es man­gelt an Res­sour­cen

Schon jetzt be­kla­gen die Län­der, dass die flächen­deckende Ein­füh­rung der eAkte kos­ten­in­ten­siv sei und ihre per­so­nel­len Res­sour­cen mit IT-Kom­pe­tenz weit­gehend binde. An­de­re Vor­ha­ben – deren Rea­li­sie­rung zudem nicht bun­des­ge­setz­lich an­ge­ord­net ist – tre­ten dem­ge­gen­über zu­rück. Be­mer­kens­wert ist, dass die Las­ten den­noch kaum auf meh­re­re Schul­tern ver­teilt wer­den. Wür­den sich die Län­der auf eine ge­mein­sa­me Ziel­vor­stel­lung einer „di­gi­ta­len Jus­tiz“ ver­stän­di­gen und zen­tra­le Stan­dards schaf­fen, um die In­ter­ope­ra­bi­li­tät der ver­schie­de­nen An­wen­dun­gen zu ge­währ­leis­ten, müss­te jedes Land nur noch einen Teil der an­ste­hen­den Di­gi­ta­li­sie­rungs­pro­jek­te selbst um­set­zen. Der Rest könn­te dann von den an­de­ren Län­dern be­zo­gen wer­den. Dazu müss­te nur ein­mal der gor­di­sche Kno­ten ge­löst wer­den, dass jedes Land bei einer sol­chen Ko­ope­ra­ti­on seine Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen durch­set­zen und ein­mal ge­tä­tig­te In­ves­ti­tio­nen nicht auf­ge­ben will. Wenn dies den Län­dern nicht aus ei­ge­ner Kraft ge­lingt, muss hier der Bund die Füh­rung über­neh­men.

Zudem kommt Soft­ware nicht ohne Re­chen­leis­tung aus. Die Aus­la­ge­rung von Daten auf Ser­ver au­ßer­halb der öf­fent­li­chen Hand stößt vie­ler­orts auch bei stren­gen Rah­men­ver­ein­ba­run­gen auf Be­den­ken, so dass der­zeit nur die Lan­des­re­chen­zen­tren blei­ben. Diese sind aber im Ge­gen­satz zu kom­mer­zi­el­len Cloud-Com­pu­ting-An­bie­tern kaum in der Lage, kurz­fris­tig Re­chen­ein­hei­ten un­ter­schied­li­cher Art be­reit­zu­stel­len, die auch schnell ska­liert wer­den kön­nen. Zudem braucht In­for­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie – wie der Name schon sagt – In­for­ma­tio­nen. Die Jus­tiz sitzt auf einem rie­si­gen Da­ten­schatz, hat ihn aber kaum ge­ho­ben. Ent­schei­dun­gen wer­den zu­rück­hal­tend und oft nur auf An­fra­ge ver­öf­fent­licht. Das sind keine guten Vor­aus­set­zun­gen für die Ent­wick­lung von KI. Die Bun­des­re­gie­rung hat in ihrer „Di­gi­tal­stra­te­gie“ an­ge­kün­digt, bis 2025 le­dig­lich ein Kon­zept für eine ­„Jus­tiz-Cloud“ ent­wi­ckeln zu wol­len. Bis dahin soll­te die Cloud – mit den ge­nann­ten Funk­tio­nen – bes­ser schon voll funk­ti­ons­fä­hig sein. Sonst wird die IT-­Infrastruktur zum Fla­schen­hals der Di­gi­ta­li­sie­rung.

Kein kla­rer Fahr­plan

Wenn die Jus­tiz selbst nicht über die not­wen­di­gen Res­sour­cen ver­fügt, ist sie auf die Un­ter­stüt­zung von Part­nern aus der Wirt­schaft an­ge­wie­sen. In jedem Fall soll­te die Jus­tiz ver­stärkt auf diese Part­ner set­zen und einen Wett­be­werb um die bes­ten Lö­sun­gen in­iti­ie­ren, an­statt zu ver­su­chen, jedes Pro­blem im Al­lein­gang zu lösen. Damit dies ge­lingt, muss sie für Unter­nehmen ein at­trak­ti­ve­res Be­tä­ti­gungs­feld wer­den. Nur we­ni­ge Un­ter­neh­men wer­den die In­itia­ti­ve er­grei­fen, ein Pro­blem der Jus­tiz zu lösen, wenn ihnen keine Ent­wick­lungs­um­ge­bung und keine In­ves­ti­ti­ons­si­cher­heit ge­bo­ten wird. Für Au­ßen­ste­hen­de ist un­klar, bei der Ent­wick­lung wel­cher Lö­sun­gen die Jus­tiz unter wel­chen Um­stän­den ko­ope­riert und die Lö­sung ab­nimmt. Es gibt kei­nen trans­pa­ren­ten und stan­dar­di­sier­ten Ab­lauf­plan, der den Weg vom Pro­to­typ­ing über den Ein­satz in einem Re­al­la­bor bis hin zu einem Roll­out in den flä­chen­de­cken­den Be­trieb auf­zeigt. Dass Ge­rich­te in jüngs­ter Zeit mit KI-­Assistenten Schlag­zei­len ma­chen konn­ten, ver­dan­ken sie der Be­reit­schaft von Un­ter­neh­men, diese Tools zu­nächst ohne mo­ne­tä­re Ge­gen­leis­tung zu ent­wi­ckeln. Das wird nicht auf Dauer so funk­tio­nie­ren.

Viele Pro­ble­me sind dar­auf zu­rück­zu­füh­ren, dass es in Deutsch­land noch keine Stra­te­gie für eine echte ­Digitalisierung der Jus­tiz gibt. Wie soll eine „di­gi­ta­le Jus­tiz“ ei­gent­lich aus­se­hen? Wel­cher Weg führt dort­hin? Wel­che Ex­pe­ri­men­tier­klau­seln müs­sen ge­schaf­fen wer­den? Wie ver­tei­len wir die Ar­beit un­ter­ein­an­der und wer ent­schei­det, wenn Ab­stim­mungs­pro­zes­se zu kei­nem Er­geb­nis füh­ren? Auf diese Fra­gen haben wir keine po­li­tisch ma­ß­geb­li­chen Ant­wor­ten. Dabei ist es höchs­te Zeit.

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Paul F. Welter ist Jurist, Programmierer und Mitgründer​des Legal-Tech-Think-Tanks recode.law.