Die Digitalisierung der Justiz geht in eine neue Phase. Zunehmend wird nicht mehr nur über die Digitalisierung gesprochen, sondern auch in der Praxis damit experimentiert. So war von KI-Assistenten zu lesen, die Richter bei der Bewältigung von Massenverfahren unterstützen, oder von Software zur Strukturierung des Parteivortrags, die an Gerichten pilotiert werden soll. Auch an Ideen mangelt es nicht, wie der „eJustice Cup“ in Hessen gezeigt hat. Dort kämpften nicht weniger als 60 Digitalisierungsideen um den Sieg. Der Wille zur Innovation ist vorhanden. Damit er sich aber entfalten kann, muss die Justiz zu einem innovationsfreundlicheren Ökosystem werden.
Es mangelt an Ressourcen
Schon jetzt beklagen die Länder, dass die flächendeckende Einführung der eAkte kostenintensiv sei und ihre personellen Ressourcen mit IT-Kompetenz weitgehend binde. Andere Vorhaben – deren Realisierung zudem nicht bundesgesetzlich angeordnet ist – treten demgegenüber zurück. Bemerkenswert ist, dass die Lasten dennoch kaum auf mehrere Schultern verteilt werden. Würden sich die Länder auf eine gemeinsame Zielvorstellung einer „digitalen Justiz“ verständigen und zentrale Standards schaffen, um die Interoperabilität der verschiedenen Anwendungen zu gewährleisten, müsste jedes Land nur noch einen Teil der anstehenden Digitalisierungsprojekte selbst umsetzen. Der Rest könnte dann von den anderen Ländern bezogen werden. Dazu müsste nur einmal der gordische Knoten gelöst werden, dass jedes Land bei einer solchen Kooperation seine Partikularinteressen durchsetzen und einmal getätigte Investitionen nicht aufgeben will. Wenn dies den Ländern nicht aus eigener Kraft gelingt, muss hier der Bund die Führung übernehmen.
Zudem kommt Software nicht ohne Rechenleistung aus. Die Auslagerung von Daten auf Server außerhalb der öffentlichen Hand stößt vielerorts auch bei strengen Rahmenvereinbarungen auf Bedenken, so dass derzeit nur die Landesrechenzentren bleiben. Diese sind aber im Gegensatz zu kommerziellen Cloud-Computing-Anbietern kaum in der Lage, kurzfristig Recheneinheiten unterschiedlicher Art bereitzustellen, die auch schnell skaliert werden können. Zudem braucht Informationstechnologie – wie der Name schon sagt – Informationen. Die Justiz sitzt auf einem riesigen Datenschatz, hat ihn aber kaum gehoben. Entscheidungen werden zurückhaltend und oft nur auf Anfrage veröffentlicht. Das sind keine guten Voraussetzungen für die Entwicklung von KI. Die Bundesregierung hat in ihrer „Digitalstrategie“ angekündigt, bis 2025 lediglich ein Konzept für eine „Justiz-Cloud“ entwickeln zu wollen. Bis dahin sollte die Cloud – mit den genannten Funktionen – besser schon voll funktionsfähig sein. Sonst wird die IT-Infrastruktur zum Flaschenhals der Digitalisierung.
Kein klarer Fahrplan
Wenn die Justiz selbst nicht über die notwendigen Ressourcen verfügt, ist sie auf die Unterstützung von Partnern aus der Wirtschaft angewiesen. In jedem Fall sollte die Justiz verstärkt auf diese Partner setzen und einen Wettbewerb um die besten Lösungen initiieren, anstatt zu versuchen, jedes Problem im Alleingang zu lösen. Damit dies gelingt, muss sie für Unternehmen ein attraktiveres Betätigungsfeld werden. Nur wenige Unternehmen werden die Initiative ergreifen, ein Problem der Justiz zu lösen, wenn ihnen keine Entwicklungsumgebung und keine Investitionssicherheit geboten wird. Für Außenstehende ist unklar, bei der Entwicklung welcher Lösungen die Justiz unter welchen Umständen kooperiert und die Lösung abnimmt. Es gibt keinen transparenten und standardisierten Ablaufplan, der den Weg vom Prototyping über den Einsatz in einem Reallabor bis hin zu einem Rollout in den flächendeckenden Betrieb aufzeigt. Dass Gerichte in jüngster Zeit mit KI-Assistenten Schlagzeilen machen konnten, verdanken sie der Bereitschaft von Unternehmen, diese Tools zunächst ohne monetäre Gegenleistung zu entwickeln. Das wird nicht auf Dauer so funktionieren.
Viele Probleme sind darauf zurückzuführen, dass es in Deutschland noch keine Strategie für eine echte Digitalisierung der Justiz gibt. Wie soll eine „digitale Justiz“ eigentlich aussehen? Welcher Weg führt dorthin? Welche Experimentierklauseln müssen geschaffen werden? Wie verteilen wir die Arbeit untereinander und wer entscheidet, wenn Abstimmungsprozesse zu keinem Ergebnis führen? Auf diese Fragen haben wir keine politisch maßgeblichen Antworten. Dabei ist es höchste Zeit.
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