Interview
Impfpriorität der Anwaltschaft
Interview
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© Die Hoffotografen

Anwältinnen und Anwälte gehören als Organe der Rechtspflege zur priorisierten Impfgruppe 3. Unklar ist dabei, wie die Voraussetzung der „besonders relevanten Position“ zu werten ist. In Berlin hat sich die dortige Rechtsanwaltskammer dafür eingesetzt, dass dies für alle Mitglieder gilt. Mit Erfolg, wie uns Präsident Dr. Marcus Mollnau berichtet hat. Die Kammer will sogar mit Zustimmung des Senats die Impfeinladungen verschicken – per beA.

29. Apr 2021

NJW: Herr Dr. Mollnau, seit 10.3. haben Anwälte und Notare einen Anspruch auf eine Corona-Schutzimpfung mit erhöhter Priorität. Was heißt das konkret?

Mollnau: Durch die CoronaImpfV wurde neben den Kategorien höchste Priorität und hohe Priorität eine letzte Kategorie der erhöhten Priorität geschaffen. In diese Kategorie sind auch die Rechtsanwältinnen und Notare aufgenommen. Sobald die Schutzimpfungen für diese Kategorie beginnen, werden die Mitglieder der Berliner Anwaltschaft eine Impfeinladung erhalten und somit die Möglichkeit haben, zu entscheiden, ob sie sich impfen lassen wollen.

NJW: Nach § 4 I Nr. 4b CoronaImpfV erfordert die Impfpriorisierung neben der Tätigkeit in der Rechtspflege außerdem eine Tätigkeit in „besonders relevanter Position“. Welche Anwälte und Notare erfüllen diese Voraussetzung?

Mollnau: Alle Mitglieder der Berliner Rechtsanwaltskammer sind gleichermaßen von § 4 I Nr. 4b CoronaImpfV erfasst, denn sie sind alle Organe der Rechtspflege. Die besonders relevante Position ergibt sich aus der Einordnung jeder anwaltlichen bzw. notariellen Tätigkeit in die Systemrelevanz. In Berlin wurde aus dem allgemeinen Bereich der Rechtspflege eine Reihe von Berufen definiert, die systemrelevant sind, also allein durch die Berufsträgereigenschaft eine relevante Position bekleiden. Dazu zählen – neben der Anwaltschaft – etwa Verfahrensbeistände, Dolmetscher oder Sachverständige. Auch dafür hat die RAK gekämpft.

NJW: Gilt die Impfpriorisierung auch für das Kanzleipersonal?

Mollnau: Die RAK Berlin hat sehr früh begonnen, Gespräche mit der Berliner Gesundheitsverwaltung zu führen. Ziel war unter anderem auch die Einbeziehung des Kanzleipersonals in die erhöhte Priorität. Anknüpfungspunkt war hier die Einordnung der Arbeit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als systemrelevante Tätigkeit. Und ich freue mich, dass sich die Gesundheitsverwaltung unserer Auffassung angeschlossen hat. Die erhöhte Impfpriorisierung gilt also auch für das Kanzleipersonal.

NJW: Im Rahmen dieser Gespräche hat Ihre Kammer der Berliner Gesundheitsverwaltung angeboten, sie bei der Vorbereitung und Organisation der Impfungen zu unterstützen. Wie wurde dieses Angebot aufgenommen?

Mollnau: Die Ausgangsüberlegung der RAK war einfach: Die Kammer verfügt über eine taggenaue Übersicht aller zugelassenen Kammermitglieder und deren Kanzleianschrift. Zwar ergeben sich diese Daten auch aus dem bundeseinheitlichen Anwaltsverzeichnis, das jedermann im Netz einsehen kann. Aber eine EDV-basierte Verknüpfung mit diesem Verzeichnis besteht nur für die Kammer. Und zudem: Die Kammer verfügt mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) über eine Möglichkeit, jedes Kammermitglied adressieren zu können. Deshalb war es denklogisch, dass die RAK die Versendung der Impfcodes an die Mitglieder übernimmt. Dadurch ersparen wir der Gesundheitsverwaltung zum einen sehr viel Arbeit, zum anderen folgt die RAK dem Grundsatz der Datensparsamkeit. Es ist aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten besser, wenn diejenige Stelle, die kraft Gesetzes über alle Daten verfügt, eine Versendung durchführt, als wenn die Daten erst aufgearbeitet, an Dritte übergeben und dort (erneut) verarbeitet werden. Die Gesundheitsverwaltung hat unser Angebot angenommen. Es ist offenkundig, dass sie am Limit ist, teilweise weit darüber hinaus. Jede Entlastung, die zudem schneller ein Impfangebot aussprechen lässt, ist sinnvoll. Ich danke der Senatorin Dilek Kalayci sowie dem Staatssekretär Martin Matz, aber auch Justizsenator Dr. Dirk Behrendt für die bisherige Zusammenarbeit auch auf diesem Gebiet.

NJW: Und wie wird Ihre Unterstützung aussehen? Vergeben Sie künftig Impftermine für Ihre Mitglieder oder stellt die Kammer Bescheinigungen aus, die bestätigen, dass Kollegen bei der beruflichen Tätigkeit besonderen Infektionsrisiken ausgesetzt sind?

Mollnau: Sobald Impftermine gemäß § 4 I Nr. 4b CoronaImpfV vergeben werden, soll – so die derzeitigen Planungen – der Impfcode via beA verschickt werden. Der Code ist nicht personalisiert, allein der Besitz eines Codes berechtigt zur Vereinbarung eines Impftermins. Unser wichtigstes Ziel: Es soll möglichst schnell und unbürokratisch gehen. Deshalb sehen wir beispielsweise davon ab, sich durch individuelle Bescheinigungen, Anwaltsausweise etc. zusätzlich legitimieren zu müssen. Diese Vorgehensweise ist nicht unproblematisch und auch für Missbrauch anfällig. Aber: Die Zulassung zur Anwaltschaft impliziert ein besonderes Vertrauen in Rechtstreue und Integrität eines jeden Berufsträgers. Wenn ich als Kammerpräsident den Kammermitgliedern dieses Grundvertrauen nicht entgegenbringen würde, könnte ich gleich einpacken! Derzeit gehe ich davon aus, dass wir nicht sofort für alle Berechtigten Impfcodes erhalten werden. Die CoronaImpfV normiert jedoch die Reihenfolge der Versendung des Codes; es beginnt der älteste Geburtsjahrgang (§ 4 II iVm § 2 II). Und hier zeigt sich wieder, dass unsere Entscheidung richtig ist: Denn die Kammer verfügt auch über diese Daten.

NJW: Lässt sich bereits absehen, wann mit der Impfung der im Einzugsgebiet der RAK Berlin tätigen Anwälte und Notare und deren Mitarbeiter begonnen werden kann?

Mollnau: Leider nicht. Wir erleben tagtäglich, wie schnell sich bisherige Erkenntnisse verflüchtigen können, wie rasch neue Festlegungen und Entwicklungen eintreten. Derzeit rechne ich mit einem Start im Frühsommer 2021. Und dies impliziert eine weitere Unwägbarkeit: Wenn die Verfügbarkeit von Impfstoff weiter ansteigt, könnte es möglich sein, dass die Impfpriorisierungen fallengelassen werden und eine Freigabe für alle Impfwilligen erfolgt. Dann wäre alles, was die RAK bis dahin vorbereitet und organisiert hat, nicht mehr erforderlich, Arbeit und Aufwand also umsonst. Aber der Kammervorstand hat das diskutiert und ist sich einig: Nicht vorbereitet zu sein, wäre schlimmer!

NJW: Wie kommt Ihr Engagement denn bei den Kollegen an? Als BRAK und DAV im Januar für ihren Berufsstand einen beschleunigten Zugang zu Corona-Schutzimpfungen gefordert haben, wurde dies zum Teil mit deutlichen Worten kritisiert.

Mollnau: Die Anwaltschaft ist ein Teil der Gesellschaft, sie repräsentiert mithin alle in unserer Gesellschaft vorhandenen Auffassungen. Die Reaktionen reichen deshalb von großer Begeisterung und sogar Dankbarkeit bis hin zu Ablehnung, Protest und Vorwürfen. Nach meinem Verständnis muss eine RAK den Interessen ihrer Mitglieder dienen. Dazu zählt in der derzeitigen Situation: Wer sich impfen lassen möchte, soll dazu so schnell wie möglich Gelegenheit erhalten. Und wer sich nicht impfen lassen möchte, der lässt es eben bleiben. Man möge dann nur den Code zurücksenden, damit wir andere damit ausstatten können.

NJW: Und wie halten es die anderen Kammern in Sachen Corona-Schutzimpfung für Anwälte? Hat Ihr Einsatz bereits Nachahmer gefunden?

Mollnau: Dazu liegen mir keine Erkenntnisse vor, zumal es nicht um Nachahmung oder „wer war der Erste?“ geht. Der Vorstand der RAK Berlin und ich sind für die Berliner Anwaltschaft tätig – damit haben wir derzeit mehr als genug zu tun. •

Seit 1996 ist Dr. Marcus Mollnau als Rechtsanwalt in Berlin tätig, seit 2009 als Fachanwalt für Erbrecht. 2017 wurde er zum Notar bestellt. Studiert hat Mollnau in Halle (Saale) und Berlin. Dem Vorstand der RAK Berlin gehört er seit 2003 an; 2012 wurde er zu deren Präsidenten gewählt. Darüber hinaus engagiert er sich unter anderem im Ausschuss Berufsrecht der Bundesrechtsanwaltskammer und im Vorstand des Forums Recht und Kultur im Kammergericht e.V.

Interview: Dr. Monika Spiekermann.