Die Bundesbildungsministerin geht für das Wintersemester von einer Rückkehr der Hochschulen „in den Normalbetrieb“ aus. Abstandsregeln stehen aber quer zu den beschränkten Raumkapazitäten, und umfangreiche Teststrategien sind im alltäglichen Lehr-, Labor- und Bibliotheksbetrieb schlicht unpraktikabel. Ein Zurück zum Normalbetrieb wäre wünschenswert, gelingt aber wohl nicht schon mit der Herbeiführung von Herdenimmunität. Dieser Begriff beschreibt nur die Wegmarke zur gesamtgesellschaftlichen Kontrolle des Pandemiegeschehens. Das Risiko lokaler Ausbrüche bliebe bestehen. Ohnehin spricht vieles dafür, dass ein allgemeines Impfangebot verbunden mit Anreizen aus der Privatwirtschaft noch nicht zur Herdenimmunität hinführen wird.
Die Studienlage, der Fortschritt bei der Impfstoffherstellung, der Präzedenzfall der Masernimpfpflicht und erste positive Signale aus der Verfassungsrechtsprechung (vgl. EGMR, NJW 2021, 1657 - in diesem Heft: Pflichtimpfungen im Kindesalter für den Zugang zu Vorschuleinrichtungen) sind Anlass genug, um über die Impfpflicht an Hochschulen nachzudenken. In den USA wird die in Deutschland gleichsam im Keim erstickte Diskussion längst geführt. Sie verläuft zudem vergleichsweise unaufgeregt. Rechtliche Bedenken beschränken sich im Kern darauf, dass die Impfstoffe bisher nur die Notfallzulassung erhalten haben. Die Zahl der (staatlichen und privaten) Hochschulen, die ab Herbst eine vollständige Rückkehr zum Präsenzunterricht planen und gleichzeitig ihre Studierenden wie auch ihr (nicht-)wissenschaftliches Personal - unter Berücksichtigung medizinisch und religiös begründeter Vorbehalte - dazu verpflichten, sich gegen Covid impfen zu lassen, nahm in den letzten Wochen sprunghaft zu. Hierzu zählen das MIT und die bildungspolitisch den Takt vorgebenden Eliteuniversitäten Yale, Harvard und Stanford. Die noch nicht zur Pflicht entschlossenen Hochschulen erarbeiten einstweilen umfangreiche Aufklärungs- und Anreizkonzepte.
Bildung gilt als die zentrale Voraussetzung für die Selbsterfüllung des mit der Staatsgründung der USA abgegebenen Aufstiegsversprechens (Life, Liberty and the Pursuit of Happiness). Auch deshalb sind Impfpflichten im dortigen Bildungssystem üblich, rechtlich anerkannt und gelten nicht als Widerspruch zu einer Wettbewerbsgesellschaft, die die Freiheit des Individuums ins Zentrum rückt.
Der Deutsche Ethikrat hat sich für die Diskussion um bereichsspezifische Impfpflichten immerhin offen gezeigt. Sich bei einer Pandemiebekämpfung politisch nicht zu früh festzulegen, ist auch etwas, was man von den USA lernen kann. Und wie oft war unser argwöhnischer Blick über den großen Teich am Ende nicht nur ein Blick in die Kristallkugel? .