Anmerkung von
Rechtsanwältin Elke Bäuerle, Fachanwältin für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 16/2020 vom 14.08.2020
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Sachverhalt
Der 1965 geborene Schuldner ist Polizeivollzugsbeamter im Dienst des Landes Hessen. Auf seinen Antrag hin wurde über sein Vermögen am 13.10.2011 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Am 18.2.2014 kündigte ihm das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung an und hob am 1.9.2014 das Insolvenzverfahren gem. § 200 InsO auf.
Der Schuldner streitet mit dem vormaligen Treuhänder über die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Nachtragsverteilung, da dem Schuldner aufgrund einer bereits im September 2009 erhobenen Klage vor dem Verwaltungsgericht wegen der Zurückweisung seines Antrags auf Einstufung in die letzte Dienstaltersgruppe seiner Besoldungsgruppe nebst Nachberechnung mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18.1.2017 eine Zahlung von iHv 9.050 EUR zugesprochen worden ist. Das Verwaltungsgericht führte in seiner Urteilsbegründung aus, dass die dem Schuldner im Zeitraum vom 18.8.2006 bis 28.2.2014 gewährte Besoldung zu einer Ungleichbehandlung iSv Artikel 2 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78/EG geführt habe, da ältere Beamte ohne jede Berufserfahrung bei ihrer erstmaligen Berufung in ein Beamtenverhältnis allein wegen ihres höheren Alters höher eingestuft worden seien. Dem Kläger stehe daher in Anbetracht dieser Diskriminierung dem Grunde nach ein unionsrechtlicher Haftungsanspruch wegen eines legislativen Unrechts für den Zeitraum 8.9.2011 bis 28.2.2014 zu, der nicht deckungsgleich mit den Ansprüchen nach § 15 Abs. 1 und 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sei. Weiter habe der Schuldner für den Zeitraum vom 18.8.2006 bis 7.9.2011 einen Anspruch auf Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG iVm § 24 Nr. 1 AGG.
Im Hinblick auf dieses Urteil hat der Schuldner einen Pfändungsschutzantrag gestellt mit der Begründung, dass die Ansprüche aus diesem Urteil gegen das Land Hessen nicht pfändbar seien und deswegen nicht in die Insolvenzmasse fallen. Der Treuhänder ist diesem Antrag entgegengetreten und hat seinerseits beantragt hinsichtlich dieser Ansprüche die Nachtragsverteilung anzuordnen. Das Insolvenzgericht wies den Pfändungsschutzantrag des Schuldners zurück und ordnete die Nachtragsverteilung an. Das LG wies die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen die Anordnung der Nachtragsverteilung zurück und lies die Rechtsbeschwerde zum BGH zu. Diese hatte jedoch keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BGH entschied, dass sowohl die titulierten Ansprüche aus § 15 Abs. 2 AGG für den Zeitraum 18.8.2006 bis 7.9.2011 als auch die titulierten unionsrechtlichen Haftungsansprüche für den Zeitraum vom 8.9.2011 bis zum 28.2.2014 grundsätzlich pfändbar sind.
Nach Auffassung des BGH sind die Ansprüche in die Insolvenzmasse gefallen und waren deswegen nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Nachtragsverteilung zugänglich, auch wenn die Zahlungsansprüche des Schuldners durch das Verwaltungsgericht erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ausgeurteilt worden sind, da es vielmehr darauf ankäme, dass der Lebenssachverhalt des anspruchsbegründenden Tatbestands bereits vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Ob die Forderung selbst schon entstanden oder fällig ist, ist dagegen unerheblich (BGH Beschl. v. 22.5.2014 – IX ZB 72/12, NZI 2014, 656 Rn. 11 mwN).
Die dem Schuldner gewährte Besoldung benachteiligte ihn wegen seines Alters vom Inkrafttreten des AGG am 18.8.2006 bis zur Änderung der Besoldung durch den hessischen Gesetzgeber ab März 2014. Die Ansprüche des Schuldners auf Entschädigung und Schadensersatz sind somit vor und während des laufenden Insolvenzverfahrens entstanden, und waren daher für den Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzbeschlag erfasst und fielen, soweit erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden, als Neuerwerb in die Insolvenzmasse, § 35 Abs. 1 InsO.
Der Anordnung der Nachtragsverteilung stand auch nicht die vom Schuldner geltend gemachte Unpfändbarkeit der Ansprüche entgegen. Der BGH bejahte die Pfändbarkeit des Anspruchs des Schuldners auf Ersatz des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 15 Abs. 2 AGG (vgl. BGH Urt. v. 24.3.2001 – IX ZR 180/10, BGHZ 189, 65 Rn. 21). Immaterielle Schäden sind seit dem Wegfall des § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. ab 1.7.1990 in der Pfändbarkeit nicht mehr beschränkt. Dies gilt nach der Auffassung des BGH auch für den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG. Der Pfändbarkeit gem. § 851 Abs. 1 ZPO steht § 399 BGB nicht entgegen, weil die Entschädigung nach § 15 Abs. 3 AGG durch das Land Hessen an den Dritten, hier den mit der Nachtragsverteilung beauftragten vormaligen Treuhänder, ohne Veränderung des Inhalts erfolgen kann. Nach § 399 BGB ist eine Forderung nicht übertragbar, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Leistung auf höchstpersönlichen Ansprüchen des Berechtigten beruht, die er nur selbst erheben kann, oder wenn ein Gläubigerwechsel zwar rechtlich vorstellbar ist, dass Interesse des leistenden Schuldners an der Beibehaltung einer bestimmten Gläubigerperson aber besonders schutzwürdig ist, oder wenn ohne Veränderung des Leistungsinhalts die dem Gläubiger gebührende Leistung mit seiner Person derart verknüpft ist, dass die Leistung an einen anderen Gläubiger als eine andere Leistung erschiene. In allen drei dieser Fallgruppen ist die Abtretbarkeit ausgeschlossen, weil andernfalls die Identität der abgetretenen Forderung nicht gewahrt bliebe (BGH, Urt. v. 24.3.2011 – IX ZR 180/10, BGHZ 189, 65 Rn. 2).
Der BGH hält in seiner Entscheidung fest, dass der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG jedoch in keine dieser drei Fallgruppen fällt. Er ist insbesondere kein höchstpersönlicher Anspruch, da beim Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht der Genugtuungsgedanke für eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Vordergrund stünde. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 15 Abs. 2 AGG mehrere europäische Richtlinien umsetzen und die Forderung der Rechtsprechung des EuGH nach einer wirksamen und verschuldensunabhängig ausgestalteten Sanktion bei Verletzung des Benachteiligungsverbots erfüllen (BT-Drs. 16/1780 S. 38; BAG, BeckRS 2009, 69954 Rn. 75; BVerwG, BeckRS 2015, 41911 Rn. 33f.).
Diese Richtlinien sahen vor, dass die Mitgliedstaaten zur Einhaltung dieser Richtlinien Verstöße wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sanktionieren müssen (EuGH Urt. v. 22.4.1997 – Rs C-180/95, ZIP 1997, 798 Rn. 24 zur RL 76/207/EWG). Diese Sanktionen können, müssen aber nach den umgesetzten Richtlinien nicht grundsätzlich in Schadensersatzleistungen an die Opfer bestehen. Mögliche und etliche Mitgliedstaaten haben die Sanktionen im Straf- oder Ordnungswidrigkeitsrecht umgesetzt. Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Rahmen des AGG für ein rein individualistisches Haftungssystem entschieden, was dazu führt, dass die Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung den europarechtlichen Anforderungen an die Sanktionierung von Diskriminierungen genügen müssen (EuGH Urt. v. 22.4.1997, a.a.O. Rn. 25; BVerwG, BeckRS 2015, 41911, a.a.O.). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG dadurch ein höchstpersönlicher Anspruch wird. Im Grundsatz begründet jeder Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 15 Abs. 2 AGG einen Entschädigungsanspruch (BAG, BeckRS 2009, 69262, BeckRS 2009, 69954 Rn. 72f). § 15 AGG stellt mithin keine Sonderregel der Persönlichkeitsverletzung, sondern ein gesetzliches Differenzierungsverbot dar (Beck OGK-AGG/Benecke, 2020, § 15 Rn. 45f). Daraus folgt, dass die Entschädigungszahlung dem Beschäftigten selbst nicht persönlich zugute kommen muss (vgl. BGH Urt. v. 24.3.2011 – IX ZR 180/10, BeckRS 2011, 7718 Rn. 44; BGH Urt. v. 22.5.2014 – IX ZB 72/12, NZI 2014, 656 Rn. 21).
Auch der Arbeitgeber, vorliegend das Land Hessen, hat kein besonders schutzwürdiges Interesse daran, die Entschädigungsleistung nur an den Schuldner zu erbringen, nicht aber zugunsten der Insolvenzmasse. Denn es handelt sich bei der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht um eine freiwillige Leistung und es soll nicht irgendein Leid oder eine erlittene Menschenrechts- oder schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung ausgeglichen werden. Der zur Zahlung verurteilte Arbeitgeber wird nicht nur entlastet, wenn er an den Schuldner persönlich leistet, sondern auch an den Zessionar oder den Pfändungsgläubiger oder den Insolvenzverwalter. Der BGH stärkte an dieser Stelle die Begründung des Beschwerdegerichts, dass mit recht darauf verwiesen habe, dass wäre der Schuldner von vornherein ohne Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot besoldet worden, ein höherer Geldbetrag als pfändbares Einkommen in die Insolvenzmasse geflossen wäre.
Der BGH führt aus, dass der unionsrechtliche Haftungsanspruch ebenso pfändbar ist und daher in die Insolvenzmasse fällt. Ein Geschädigter hat Anspruch auf Ersatz seines materiellen und ggf. auch immateriellen Schadens aufgrund des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs, wenn ein mitgliedsstaatliches Organ gegen eine unionsrechtliche Norm des Primär- oder Sekundärrechts, die nicht allein dem Interesse der Allgemeinheit gewidmet ist, sondern zumindest auch individuelle Rechte verleiht, verstoßen hat, sofern der Verstoß gegen diese Norm hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und der dem Geschädigten entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. BGH Urt. v. 14.12.2000 – III ZR 151/99, BeckRS 2001, 20261). Der BGH führt aus, dass nach deutschem Recht Staatshaftungsansprüche, selbst wenn sie auf den Ersatz immaterieller Schäden gerichtet sind, übertragbar und pfändbar sind (BGH Urt. v. 24.3.2000 – IX ZR 180/10, BeckRS 2011, 7718 Rn. 33). Für den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch dürfe daher nichts anderes gelten.
Praxishinweis
Der Fall wäre wahrscheinlich nicht zum BGH gekommen, hätte das Verwaltungsgericht bereits während des Laufs des Insolvenzverfahrens entschieden. Dass der Schuldner um den Erhalt der 2,5 Jahre nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ausgeurteilten Zahlung kämpft, war absehbar. Bei laufenden Aktivrechtsstreiten des Schuldners sollte der Insolvenzverwalter sich durch Akteneinsicht über die Erfolgsaussichten der Klage und die Möglichkeit eines Massezuflusses vergewissern und ggf. bereits im Zuge der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Nachtragsverteilung hinsichtlich der sich im Obsiegensfall des Schuldners ergebenden Ansprüche anordnen lassen. Das Interesse des Schuldners sofortige Beschwerde, § 204 Abs. 2 Satz 2 InsO, gegen die Anordnung der Nachtragsverteilung einzulegen, wird geringer sein, solange der Ausgang eines Aktivrechtsstreits noch nicht feststeht.
BGH, Beschluss vom 18.06.2020 - IX ZB 11/19 (LG Darmstadt), BeckRS 2020, 15813