Urteilsanalyse
Eigenbedarfskündigung: Mieter muss sich nicht auf Unterbringung in Alten- oder Pflegeheim verweisen lassen
Urteilsanalyse
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Auf eine Unterbringung in einem Alten- oder Pflegeheim muss sich der Mieter nach Ansicht des LG Hanau nicht verweisen lassen, wenn wegen der Erkrankungen und der Pflegebedürftigkeit des Mieters besondere Schwierigkeiten bei der Beschaffung von geeignetem Ersatzwohnraum vorliegen und die dringende Vermutung besteht, dass sich im Fall eines Auszuges die Notwendigkeit der Unterbringung in einem Pflegeheim kaum verhindern lassen dürfte.

7. Feb 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff,  Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 03/2022 vom 04.02.2022

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Sachverhalt

Der Kläger verlangt die Räumung der an den Beklagten vermieteten Wohnung wegen behaupteten Eigenbedarfs. Die betagten und gesundheitlich stark eingeschränkten Mieter erheben den Härteeinwand. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Entscheidung

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Der Kläger habe gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gemäß § 546 Abs. 1 BGB. Zwar habe der Kläger das Mietverhältnis wirksam gekündigt. Auch liege Eigenbedarf i.S.d. § 573 Abs. 2, Ziff. 2 BGB vor.

Die Beklagten seien jedoch als Mieter berechtigt, gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB der Kündigung zu widersprechen. Sie haben die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen können, weil die Beendigung des Mietverhältnisses jedenfalls für den Beklagten zu 1) eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen sei.

Die Kammer gehe nach Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 2) sowie nach Erörterung des vorgelegten ärztlichen Attestes und des vorgelegten Gutachtens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Beklagten zu 1) davon aus, dass eine derzeitige Beendigung des Mietverhältnisses für die Beklagten mit ganz besonders großen Härten verbunden wäre. Der Beklagte zu 1) sei ausweislich des Attestes und des Gutachtens nicht nur außerordentlich schwer erkrankt, wobei neben den Folgen eines Schlaganfalles, u.a. eine beginnende Demenz und eine Epilepsie zu nennen seien, sondern infolge seiner Erkrankungen zudem in einem ganz erheblichen Umfang pflegebedürftig. Die Einschränkungen gehen soweit, dass im Gutachten sogar der Pflegegrad 4 angenommen werde. Zu selbständigen Handlungen sei der Beklagte zu 1) weitgehend nicht mehr fähig. Aufgrund dieser massiven Erkrankungen und Einschränkungen des Beklagten zu 1) könne kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass ein erzwungener Auszug aus der streitgegenständlichen Wohnung mit zusätzlichen gesundheitlichen Risiken für ihn verbunden wäre. Hinzu komme, dass die Beklagte zu 2) im Termin nachvollziehbar erläutern konnte, dass wegen der Erkrankungen und der Pflegebedürftigkeit des Beklagten zu 1) besondere Schwierigkeiten bei der Beschaffung von geeignetem Ersatzwohnraum bestehen. Vor diesem Hintergrund bestehe die dringende Vermutung, dass sich im Fall eines Auszuges die Notwendigkeit der Unterbringung des Beklagten zu 1) in einem Pflegeheim kaum verhindern lassen dürfte. Auf eine Unterbringung in einem Alten- oder Pflegeheim müsse sich der Mieter aber nicht verweisen lassen.

Praxishinweis

Der Entscheidung ist zuzustimmen.

Als relevanten Härtegrund nennt das Gesetz in § 574 Abs. 2 BGB explizit, dass angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann. Steht nach erhobener Beweisaufnahme fest, dass der Mieter - insbesondere wegen der langen Mietdauer und der damit meist verbundenen günstigeren Miete, seines Alters und den damit evtl. besonderen Bedürfnissen und der auch damit verbundenen Verwurzelung in der Nachbarschaft sowie wegen etwaiger Erkrankungen – keinen angemessenen Ersatzwohnraum findet, kann dies nach den konkreten Umständen des Einzelfalls dem Härteeinwand des Mieters zum Erfolg verhelfen. Dabei muss sich der Mieter grds. nicht auf eine Unterbringung in einem Alten- oder Pflegeheim verweisen lassen (OLG Karlsruhe, Rechtsentscheid vom 03.07.1970 - 1 REMiet 1/70, NJW 1970, 1746), soweit er noch in der Lage ist – auch mit Hilfe von anderen – einen eigenen Haushalt zu führen (Häublein in Münchner Kommentar, 8. Auflage 2020, § 574 BGB Rn. 17). Der BGH hatte im Jahr 2017 über nahezu identisch gelagerten Sachverhalt zu entscheiden Urteil und ein der Räumungsklage stattgebendes Urteil aufgehoben und zur weiteren Sachverhaltsermittlung zurückverwiesen (BGH vom 15.03.2017 - VIII ZR 270/15 (LG Baden-Baden), BeckRS 2017, 105826 mit Anm. Bub/Bernhard FD-MietR 2017, 388714).

LG Hanau, Urteil vom 22.07.2021 - 2 S 138/20 (AG Hanau), BeckRS 2021, 38242