Kolumne
Ikarus
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© Frank Eidel

Vor gut fünf Jahren war die Zukunft da, quasi über Nacht: Ein Berliner Start-up namens „Ask Kelsen“ trat auf und behauptete, es sei nun möglich, dem Computer eine Rechtsfrage zu stellen, die Software werte dann mittels künstlicher Intelligenz alle verfügbaren deutschen Rechtsquellen aus und finde die passende Antwort, natürlich kostenlos und in Echtzeit. Da war gut was los, Investoren standen Schlange, aber es stellte sich heraus, dass der Gründer nicht nur maßlos übertrieben, sondern auch zwei große Datenbanken kopiert hatte, die von richtigen Anwälten kamen. Das Landgericht Berlin machte dem Spuk schnell ein Ende, ganz analog; im einstweiligen Verfügungsverfahren erkannte der Gründer alles an.

3. Feb 2021

Geschichte wiederholt sich bekanntlich als Farce. Dieser Tage teilt das kanadische Unternehmen ROSS Intelligence mit, dass man den Betrieb einstelle, weil man verklagt worden sei; der Rechtsstreit binde alle Ressourcen. ROSS war damals als eine Art Robo-Lawyer angetreten mit dem Versprechen, mit Hilfe künstlicher Intelligenz Rechtsfragen zu beantworten und insbesondere die passende Literatur und Rechtsprechung zusammenzustellen. Wenn man solche Behauptungen entsprechend aufbläst – in der Branche heißt das vornehm „overselling“ und gilt als lässliche Sünde –, erreicht man eine ganze Menge. Aufmerksame Leser dieser Kolumne erinnern sich natürlich sofort an den Beitrag „Ross und Recht“ von August 2016 und die dort geäußerte leise Skepsis gegenüber diesen Verheißungen. Die entsprechende Software Watson stammte von IBM und hatte schon in anderen Bereichen Furore gemacht mit dem Versprechen, durch Auswertung aller weltweit online verfügbaren medizinischen Studien erfolgreiche Behandlungskonzepte zu ermitteln. Das hat nie so richtig geklappt; lautstark gestartete Pilotprojekte mit deutschen Krankenhäusern wurden stillschweigend beendet, weil die Software nicht liefern konnte. Auch das Geschäftsmodell von ROSS basierte unter anderem darauf, juristische Datenbanken anzuzapfen oder zu kopieren. Und der nämliche Rechtsstreit, in den Worten von ROSS ein „spurious lawsuit“, geht um die Unterlassungsansprüche der Inhaber, die viel Geld in den Datenbankaufbau und die Recherchesoftware investiert haben und es eher uncool finden, wenn sich das jemand zum Nulltarif aneignen möchte, um es seinerseits zu verkaufen.

Man lernt viel aus solchen Geschichten, nicht nur über die skandalöse Geringschätzung des Urheberrechts im Internet. Aber offenbar ist der Wunsch, eine Maschine zu haben, die alle unsere Fragen beantwortet, übermächtig, auch bei Anwälten. Wer jetzt aber anmerkt, er habe ja schon immer gesagt, Legal Tech sei nur ein Hype, liegt weit daneben. Technik verändert die juristische Arbeit und den Rechtsmarkt schon heute viel mehr, als vielen bewusst ist. Aber durch künstliche Intelligenz? Das wird schwer. Bleiben Sie dran, demnächst gibt es hier mehr dazu. •

Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.