Anmerkung von
Rechtsanwältin Dr. Ruth Anthea Kienzerle, Ignor & Partner GbR, Berlin
Aus beck-fachdienst Strafrecht 13/2021 vom 24.06.2021
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Sachverhalt
Nach den Feststellungen des LG traf der zur Tatzeit 18-jährige Angeklagte A die sechsjährige Geschädigte G zufällig auf der Straße. Er lief mit ihr auf eine Wiese ortsaußerhalb, wo er sexuelle Handlungen an der entkleideten G vornahm und an sich vornehmen ließ, die mit einem Eindringen seines Geschlechtsteils in den Körper der G verbunden waren.
Das LG sprach A des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig und ordnete die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Von der Verhängung einer Jugendstrafe sah es nach § 5 Abs. 3 JGG ab. Sachverständig beraten nahm die Kammer an, A leide an einer Autismusspektrum-Störung des Schweregrades II, habe pädophile Neigungen und eine leichte Intelligenzminderung. Aufgrund dessen sei seine Steuerungsfähigkeit bei der Tat erheblich vermindert gewesen. A sei auch gefährlich. Wegen seiner Erkrankung verbunden mit seiner Neigung für junge Mädchen, seien erneut sexuelle Missbrauchstaten zu erwarten.
Entscheidung
Auf die Revision des A hob der Senat das Urteil des LG im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf.
Die Unterbringungsentscheidung halte sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dürfe nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststehe, dass der Unterzubringende bei der Anlasstat zumindest vermindert schuldfähig gewesen sei und die Tatbegehung darauf beruhe. Dies setze die Feststellung eines länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der mindestens eine Verminderung der Schuldfähigkeit sicher begründe. Daran fehle es hier. Das LG habe nicht tragfähig begründet, dass die Steuerungsfähigkeit des A aufgrund einer krankhaft seelischen Störung erheblich vermindert gewesen sei. Das psychiatrische Sachverständigengutachten komme lediglich zu dem Ergebnis, die Steuerungs- und Hemmungsfähigkeit des A sei mit „sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ erheblich vermindert gewesen. Weitere Ausführungen zum Beleg der Feststellung der Kammer seien dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen.
Auch die Einschätzung, von A seien vergleichbare Taten zu erwarten, sei angesichts dessen, dass A bislang weder vorbestraft noch durch aggressives oder eindeutig sexualisiertes Verhalten aufgefallen sei, nicht tragfähig begründet. Zu Vorkommnissen von unangemessenem Nachschauen und Hinterherlaufen gegenüber deutlich jüngeren Mädchen habe die Kammer keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
Der Rechtsfehler bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit mache die Aufhebung der Maßregelanordnung erforderlich. Dadurch verliere auch die auf § 5 Abs. 3 JGG gestützte Entscheidung zum Absehen der Verhängung einer Jugendstrafe ihre Grundlage.
Praxishinweis
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine für den Betroffenen außerordentlich belastende Maßnahme und ein schwerwiegender Eingriff in seine Rechte. Die Anforderungen an eine Unterbringungsanordnung sind daher mit guten Gründen hoch. Nicht selten genügen die Tatgerichte ihnen nicht. Der ständigen höchstrichterlichen Rspr. zufolge darf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Tatbegehung aufgrund eines länger dauernden Defekts, der die erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit sicher begründet, zumindest vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf dem Zustand beruht (st. Rspr; BGH BeckRS 2019, 24653 mwN). Für die positive Feststellung reichte im vorliegenden Fall daher zurecht nicht aus, dass A nur mit „sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ in seiner Steuerungs- und Hemmungsfähigkeit erheblich vermindert war. Ebenso wenig genügt es, wenn der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt „nicht ausschließbar“ unfähig war, das Unrecht einzusehen (BGH BeckRS 2019, 24653). Ferner entspricht es st. Rspr., dass die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände vom Tatgericht umfassend darzustellen sind (BeckRS 2018, 1379 mwN). Auch daran mangelt es häufig. Nach neuerer Rspr. des BGH dürfen schließlich im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nur Schlüsse aus Vorfällen gezogen werden, zu denen ausreichende Feststellungen getroffen wurden (BeckRS 2020, 27934 in Fortführung von BGH BeckRS 2020, 10628). Auch insoweit befindet sich die vorliegende Entscheidung also im Einklang mit der geltenden höchstrichterlichen Rspr..
BGH, Beschluss vom 18.05.2021 - 6 StR 191/21 (LG Neubrandenburg), BeckRS 2021, 12735