Wenn Menschen vor Bildschirmen sitzen, kann man interessante Dinge erleben. Kinder können sich kaum lösen und sind wie gebannt von dem Geschehen, das sich für sie als wirklich darstellt. Eltern kleiner Kinder schätzen daher das TV-Programm am frühen Sonntagmorgen, aus Gründen. Sind wir erwachsen, finden wir es völlig normal, mit vielen anderen vor der Mattscheibe zu stehen und lautstark unsere Lieblingsmannschaft anzufeuern. Menschen vor Monitoren, das ist schon besonders.
Durch Corona sind wir nicht mehr nur davor, sondern mittendrin. Seit März befinden wir uns gefühlt dauernd in Videokonferenzen. Der Rechtsmarkt wäre ohne Digital-Meetings und Online-Verhandlungen gar nicht mehr funktionsfähig. Dabei lernen wir uns völlig neu kennen. Die meisten von uns sind ohne Vorbereitung in diese Art der Kommunikation gestolpert, und das merkt man auch. Insbesondere scheinen viele kein Gespür dafür zu haben, wie sie eigentlich „rüberkommen“ und dass nichts unbemerkt bleibt. Zum Beispiel der Benutzername. Wenn in der Videokonferenz alle registrieren, dass der renommierte Herr Prof. P den Benutzernamen Purzel hat, dann ist danach nichts mehr so wie vorher. Wenn der Professor mit dem rhetorischen analogen Werkzeugkasten gestisch und mimisch wie beim Festvortrag loslegt und alle den Spitznamen Purzel vor Augen haben, stellt sich unweigerlich der Loriot’sche Nudeleffekt ein. Lebhafte Gestik vor der Kamera ist sowieso skurril, jedenfalls aber nicht videotauglich, weil analog. Manchen ist auch nicht klar, dass man bei Licht von hinten nur als Silhouette erscheint. Von anderen wiederum sieht man nur die Stirn oder den Hals.
Auch bei der Akustik tun sich manchmal Abgründe auf. Es gibt die Profis mit den Headsets, die wissen, was „mute“ bedeutet, es gibt die akustischen Maskenverweigerer, die aus Nonkonformismus jegliches Headset ablehnen, und es gibt die Novizen, die noch nicht wissen, was Rückkopplung und Echo bedeuten. Längst ein Klassiker ist die ständig in Videokonferenzen hineingerufene Frage: „Hören Sie mich?“ Ein Juraprofessor machte damit eine Parlamentsanhörung, zu der er zugeschaltet war, zu einem viralen Ereignis. Einen Kopfhörer trug er auch, aber nicht auf dem Kopf, sondern um den Hals, so bestimmungsgemäß wie die Maske am Kinn.
Schließlich der Hintergrund: Manche scheinen nicht zu verstehen, dass man über die Kamera den gesamten Hintergrund sehen kann, mit allen Details. Bei manchen Anbietern kann man sich virtuelle Hintergründe einschalten, dann sieht es aus, als säße man unter Palmen oder an der Golden Gate Bridge. Man sollte während der Konferenz nicht damit herumspielen, denn die anderen sehen es und denken sich ihren Teil. Vergessen Sie nicht den Nudeleffekt.
Bei Twitter gibt es den Room Rater, der Screenshots aus Videokonferenzen zeigt und auf einer Skala von 0–10 bewertet. Wenn Ihnen mal ein Malheur passiert sein sollte, dann trösten Sie sich damit, dass es immer noch viel schlimmer geht. •