Urteilsanalyse
Hinweispflichten auch bei anwaltlich vertretener Partei
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Die Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO besteht - so der BGH - grundsätzlich auch in Prozessen, in denen die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Prozessbevollmächtigte die Rechtslage erkennbar falsch beurteilt. 

16. Aug 2023

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 16/2023 vom 11.08.2023

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Sachverhalt

In einer zur Auseinandersetzung einer Miteigentümergemeinschaft betriebenen Teilungsversteigerung wird B auf das Meistgebot der Zuschlag erteilt. Daraufhin erklärt K gegenüber B die Ausübung des Vorkaufsrechts. Gestützt darauf, das Vorkaufsrecht durch Einwurfeinschreiben auch gegenüber den vormaligen Miteigentümern ausgeübt zu haben, verlangt K mit der Klage, B zur Zustimmung zur Auflassung des Grundstücks und Bewilligung der Eintragung des Eigentumsübergangs zu verurteilen, Zug um Zug gegen Zahlung von 300.000 EUR.

Das LG weist die Klage ab, das OLG die Berufung zurück. Die Ausübung des Vorkaufsrechts hätte gegenüber allen ehemaligen Miteigentümern erklärt werden müssen. Den ihm insoweit obliegenden Beweis des Zugangs der Ausübungserklärung habe K nicht geführt. In erster Instanz habe er nur Beweis für die Kuvertierung und Einlieferung der Einwurfeinschreiben angeboten. Soweit er in zweiter Instanz zum Beweis für den Zugang der Einwurfeinschreiben die Statusberichte der Sendungen vorlege und die Empfänger der Sendungen als Zeugen benenne, sei dies iSd § 531 Abs. 2 ZPO verspätet. Eines Hinweises des LG, dass der in erster Instanz angebotene Beweis nicht ausreichend gewesen sei, habe es nämlich nicht bedurft, weil B bereits in der Klageerwiderung darauf hingewiesen hätte, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Ausübung des Vorkaufsrechts bei K liege. Gegen die damit verbundene Nichtzulassung der Revision wendet sich K mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Mit Erfolg.

Entscheidung: Der Beschluss verletzt den Anspruch des K auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise!

Zwar habe K in erster Instanz nicht ausreichend unter Beweis gestellt, das Vorkaufsrechts wirksam ausgeübt zu haben. Denn für den Absender streite beim Einwurfeinschreiben nur nach Vorlage des Einlieferungsbelegs zusammen mit der Reproduktion des Auslieferungsbelegs der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen ist, wenn das ordnungsgemäße Zustellungsverfahren vom Zusteller eingehalten worden sei (Hinweis auf BGH NJW 2017, 68 Rn. 33). Hieran fehle es.

Die Nichtzulassungsbeschwerde rüge aber zu Recht, dass die in der Berufungsinstanz angebotenen Beweise (Statusberichte, Zeugen) für den Zugang der Ausübungserklärung bei den Verpflichteten nicht erhoben worden seien. Die Annahme, diese Beweisangebote seien nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, sei offenkundig fehlerhaft. Die Beweisantritte seien gem. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen, weil sie infolge eines LG-Verstoßes gegen die Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO unterblieben seien. Denn nach § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO habe das Gericht darauf hinzuwirken, dass sich die Parteien über alle erheblichen Tatsachen vollständig erklären und sachdienliche Anträge stellen, insbesondere auch ungenügende Angaben der geltend gemachten Tatsachen ergänzen und Beweismittel bezeichnen. Diese Hinweispflicht bestehe grundsätzlich auch in Prozessen, in denen die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten werde, jedenfalls dann, wenn der Prozessbevollmächtigte die Rechtslage erkennbar falsch beurteile (Hinweis auf BGH NJW-RR 2006, 524 Rn. 10). Das LG hätte K daher darauf hinweisen müssen, dass der für die Absendung der Ausübungserklärung angetretene Beweis unzureichend gewesen sei. Der Hinweis sei auch nicht wegen des Vortrags des B entbehrlich gewesen. Zwar bedürfe es keines gerichtlichen Hinweises, wenn die Partei durch einen eingehenden und von ihr erfassten Vortrag der Gegenpartei zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet sei (Hinweis auf BGH MarkenR 2017, 551 Rn. 12). So sei es hier aber schon deshalb nicht, weil B nur zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber den Verpflichteten vorgetragen und sich nicht damit befasst habe, dass K nur die Absendung und nicht den Zugang der Einwurfeinschreiben unter Beweis gestellt habe.

Praxishinweis

Das LG war der Ansicht, ein Gericht müsse eine Partei nicht auf die Benennung von Beweismitteln hinweisen. Dies trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu (vgl. BGH NJW 2007, 3069 Rn. 16). Darum geht es aber nicht, wenn das Gericht erkennt, dass die Partei für eine in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht erhebliche Tatsache versehentlich keinen Beweis angeboten hat. Dann ist ein richterlicher Hinweis auf den fehlenden Beweisantritt geboten (§ 139 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 ZPO). So war es hier. Für das LG war offensichtlich, dass der Prozessbevollmächtigte des K die Rechtsprechung zum Beweis des Zugangs eines Einwurfeinschreibens verkannt, das Beweisangebot für die Absendung als ausreichend angesehen und deshalb für die erhebliche Tatsache des Zugangs keinen Beweis angeboten hatte.

Hält ein Gericht eine Darlegung für unzureichend, muss es ferner rechtzeitig darauf hinweisen, dass und in welcher Hinsicht es eine Ergänzung des Vortrags für erforderlich hält. An der Hinweispflicht ändert es nichts, wenn der Gegner seinerseits die „fehlende Substanziierung“ rügt (BGH BeckRS 2023, 5946 Rn. 12; BGH BeckRS 2016, 4424 Rn. 8): Eine Partei kann in aller Regel nicht wissen, ob das Gericht die Einschätzung des Gegners, der den Vortrag in tatsächlicher Hinsicht für unzureichend hält, teilt.

Ebenso wie im Falle eines missverstandenen gerichtlichen Hinweises führt das Missverständnis eines im gegnerischen Parteivortrag enthaltenen Hinweises im Übrigen dazu, dass es einer Klarstellung durch das Gericht bedarf, um die betroffene Partei in die Lage zu versetzen, ihren Sachvortrag sachdienlich zu ergänzen (BGH MarkenR 2017, 551 Rn. 12). So wird es aber in der Regel liegen, wenn die betroffene Partei den Hinweis der Gegenseite ignoriert.

BGH, Beschluss vom 11.05.2023 - V ZR 203/22 (OLG München), BeckRS 2023, 17364