Urteilsanalyse
Hinweis- und Warnpflicht eines Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund
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Die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund kann nach einem Urteil des BGH Drittschutz für den Geschäftsleiter der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit entfalten.

18. Sep 2023

Rechtsanwältin Sandra Maier, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 18/2023 vom 14.09.2023

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Sachverhalt

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer eines insolventen Rechtsanwalts in Anspruch. Sie macht geltend, dass ihr Schadensersatzansprüche aus abgetretenen Recht gegen den versicherten Rechtsanwalt aufgrund der Verletzung von Hinweis- und Warnpflichten zustünden.

Die Zedenten des abgetretenen Schadensersatzanspruches sind ein Vater und sein Sohn, die tatsächlicher bzw. faktischer Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft einer GmbH & Co. KG waren. Sie nahmen verschiedene Zahlungen der GmbH & Co. KG trotz Insolvenzreife vor, für die sie vom späteren Insolvenzverwalter als Gesamtschuldner erfolgreich in Anspruch genommen wurden.

In Höhe des Vergleichsbetrags fordert die Klägerin nun vom dem jahrelangen Stammberater der GmbH & Co. KG Schadensersatz mit dem Argument, der Rechtsanwalt habe seine Beratungspflichten im Hinblick auf die bestehende Insolvenzreife der GmbH & Co. KG verletzt und die Geschäftsführer seien in den Schutzbereich des mit der GmbH & Co. KG geschlossenen Mandatsvertrags einbezogen gewesen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts auf die Berufung der beklagten Haftpflichtversicherung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Entscheidung

Der u.a. für die Rechtsanwalts- und Steuerberaterhaftung zuständige IX. Zivilsenat hält die Revision der Klägerin für begründet und hat unter Aufhebung des Urteils die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückgewiesen.

Der BGH führt zu Beginn die wesentlichen Merkmale der von der Rechtsprechung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung entwickelten Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter aus. Danach stehe die vertraglich geschuldete Hauptleitung allein dem tatsächlichen Vertragspartner als Gläubiger zu. Der Dritte sei jedoch in der Weise in die vertraglichen Pflichten einbezogen, dass er bei einer Verletzung dieser Pflichten vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Zur Begrenzung des Haftungsrisikos seien jedoch an den Einbezug Dritter strenge Anforderungen zu stellen.

Daraufhin kritisiert der BGH, dass das Berufungsgericht fälschlicherweise die Qualität, der dem Rechtsanwalt unterstellten Pflichtverletzung bei der Bewertung der Frage der Einbeziehung eines Dritten in den vertraglichen Schutz berücksichtigt hat. Es sei von jeher ständiger Rechtsprechung, dass die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Vertrages auch bei der Verletzung von Schutz- oder Fürsorgepflicht in Betracht kommt. In Bezug auf mögliche Insolvenzgründe wurde seitens des BGH bislang allerdings nur ein Drittschutz angenommen, wenn Hauptleistungspflicht der Mandatsvereinbarung die Prüfung der Insolvenzreife war oder ein Steuerberater im Rahmen der Erstellung eines Jahresabschlusses Kenntnisse zu Insolvenzgründen erlangte.

Entscheidend für eine Ersatzpflicht von Vermögensschäden des Dritten sei, ob die vom Rechtsberater zu erbringende Leistung nach dem objektiven Empfängerhorizont auch dazu bestimmt ist, dem Dritten Schutz vor möglichen Vermögensschäden zu vermitteln. Der Dritte müsse bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommen. Dafür seien Ausprägung und Inhalt der Mandatsvereinbarung entscheidend. Ausreichend sei demnach, wenn das geschützte Drittinteresse – hier die Beachtung der Insolvenzantragspflicht und die Vermeidung drohender Haftungsfolgen – bei Erbringung der Hauptleistung typischerweise beeinträchtigt werden kann. Dies sei nicht der Fall, wenn der Rechtsberater nur mit der Durchsetzung eines konkreten Anspruchs beauftragt ist oder eine rechtliche Gestaltung unabhängig von einer Krise der Mandantin vornehmen soll.

Für den Rechtsberater entstehe auch kein unbilliges Haftungsrisiko, da die Hinweis- und Warnpflicht nur eingreife, wenn dem Rechtsberater der mögliche Insolvenzgrund bekannt ist, offenkundig ist oder sich der Insolvenzgrund bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängt. Eine bloße Erkennbarkeit reiche nicht aus. Ferner müsse der Rechtsberater Grund zu der Annahme haben, dass sich der Geschäftsführer nicht über den möglichen Insolvenzgrund und daraus folgende Handlungspflichten bewusst ist.

Schließlich stellt der BGH klar, dass der Drittschutz auch für den faktischen Geschäftsführer gelten kann, weil er auch zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet sei und für eine verspätete Antragsstellung hafte. Für die Einbeziehung des faktischen Geschäftsführers in den vertraglichen Schutzbereich müsse dessen Existenz für den Rechtsberater allerdings erkennbar sein. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, lässt der BGH allerfing offen.

Praxishinweise

Mit dem Urteil wird erstmalig höchstrichterlich festgestellt, dass auch die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund Drittschutz entfalten kann, obwohl die Beratung über Insolvenzgründe nicht Hauptleistung der Mandatsvereinbarung ist. Der BGH knüpft damit an seine Rechtsprechung zu den Hinweis- und Warnpflichten eines mit der Erstellung des Jahresabschlusses befassten Steuerberaters bei möglichem Insolvenzgrund (vgl. BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14) an. Die neuerliche Ausweitung des Drittschutzes zu Gunsten von Geschäftsführern bei anwaltlichen Pflichtverletzungen gegenüber einer Gesellschaft bewirkt folglich eine verschärfte Beraterhaftung. Auch wenn der BGH noch einige Einschränkungen macht (der Insolvenzgrund muss offenkundig sein oder sich aufdrängen) heißt es für Rechtsberater, die ein Unternehmen regelmäßig beraten, aber nicht firm im Insolvenzrecht sind, erhöhte Obacht insbesondere bei Randthemen und Annexfragen walten zu lassen. Bei den ersten Anzeichen einer Krise sollte vom Rechtsberater zur Vermeidung einer Haftung dringend ein Experte für Insolvenzrecht in das (Dauer-) Mandant einbezogen werden, welcher hilft die Situation zu bewerten und die erforderlichen Schritte zu unternehmen.

BGH, Urteil vom 29.06.2023 - IX ZR 56/22 (OLG Köln), BeckRS 2023, 19515