Kolumne
Herrschaft auf Zeit
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© Nicola Quarz

Demokratie bedeutet Herrschaft auf Zeit. Für das Amt des mit überschaubaren Herrschaftsbefugnissen ausgestatteten Bundespräsidenten ist nur einmalige Wiederwahl zulässig. Demgegenüber findet sich im Grundgesetz keine zeitliche Begrenzung für das wichtigste politische Amt, nämlich das des Bundeskanzlers. Sollte sich das ändern?

19. Mrz 2021

Demokratie bedeutet Herrschaft auf Zeit. Für das Amt des mit durchaus überschaubaren Herrschaftsbefugnissen ausgestatteten Bundespräsidenten ist, wie auch anderweitig für Staatspräsidenten in Präsidialsystemen, nur einmalige Wiederwahl zulässig. Demgegenüber findet sich im Grundgesetz keine wie immer geartete zeitliche Begrenzung für das wichtigste politische Amt, das bereits verfassungsrechtlich deutlich machtvoller angelegte, wenn auch nicht mit der Machtfülle etwa des Präsidenten der V. Republik ausgestattete Amt des Bundeskanzlers. (Das Grundgesetz spricht nun einmal nicht von der Bundeskanzlerin, sondern vom Bundeskanzler, mögen auch nur die Älteren unter den Lesern einen solchen bewusst erlebt haben.) Wohl besteht die Möglichkeit vorzeitiger Ablösung durch eine qualifizierte Parlamentsmehrheit, unbegrenzte Wiederwahl ist jedoch nicht ausgeschlossen.

Kanzlerschaften über drei oder vier Wahlperioden mögen dem Bedürfnis nach Stabilität entgegenkommen, nach Kontinuität in der politischen Führung, wie sie gerade in der Corona-Pandemie zunächst jedenfalls durchaus begrüßt wurde. Doch begünstigte eben diese eine sich schon in vorhergehenden Krisensituationen abzeichnende Entwicklung, die mit einer Verlagerung von Herrschaftsmacht vom Parlament hin zur Regierung und innerhalb der Regierung von den Ressorts zum Kanzleramt zusehends zu Verwerfungen in der Tektonik der grundgesetzlichen Gewaltenteilung führt. Ein Übermaß an institutioneller und personeller Kontinuität durch überlange Amtszeiten aufgrund wiederholter Wiederwahl dürfte hierzu maßgeblich beitragen. Dann aber wäre deren Begrenzung etwa auf zwei Amtszeiten zumindest der demokratischen Kultur zuträglich. Dies könnte nicht zuletzt der Entwicklung vorbeugen, dass ein Amtsinhaber, der sich so stets erneut bestätigt sieht, letztlich von der Alternativlosigkeit seiner Entscheidungen überzeugt, zu der Gewissheit gelangt, im Großen und Ganzen stets alles richtig zu machen und sich kritischem Diskurs – vulgo Diskussionsorgien – verweigert.

Jüngst wurde aus publizistischer Sicht gefordert, politische Korrespondenten, vor allem Hauptstadtkorrespondenten, sollten sich gelegentlich ablösen, um hier nicht auf Dauer zu starke Nähebeziehungen zwischen Politik und Medien entstehen zu lassen. Langfristige personelle Kontinuität aufseiten der Medien, das Sich-aneinander-Gewöhnen, so die Überlegung, gefährdet die Distanz zwischen Medien und Politik. Amtszeitbegrenzungen aufseiten der Politik mögen die – während der Corona-Pandemie wie schon früher in ähnlich angespannter Lage eher schwach ausgeprägte – Bereitschaft zu kritisch-distanzierter Berichterstattung nicht unmittelbar fördern. Sie dürften aber doch einen Beitrag leisten gegen jenes „Zusammenwachsen der medialen mit der politischen Klasse“ (Habermas), besonders ausgeprägt, aber keineswegs nur bei den öffentlich-rechtlichen Medien zu konstatieren, das die Wächterfunktion der Medien, ihre „schlechthin konstituierende“ Bedeutung für die Demokratie langfristig schwächen muss. •

Prof. Dr. Christoph Degenhart ist Professor für Staats- und Verfassungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig.