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Drittschutz in der Anwaltshaftung
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In besonderen Konstellationen kann sich die Reichweite eines Mandats auf Dritte erstrecken und deren Einbeziehung in vertragliche Schutzpflichten bewirken. Damit ist das Risiko einer erweiterten Haftung verbunden.

7. Jan 2025

Im Mittelpunkt der Rechtsberatung steht der Auftraggeber. Gleichwohl können ausnahmsweise Fürsorgepflichten gegenüber Außenstehenden, die nicht Partei des Anwaltsvertrags sind, in Betracht kommen. Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (im Folgenden: VSD) hat in der Beraterhaftung längst einen festen Platz eingenommen. Danach steht einem Dritten ein eigener Schadensersatzanspruch zu, wenn er in den Schutzbereich einer vertraglichen Beziehung eingebunden wurde. Da explizite Absprachen zwischen Anwalt und Auftraggeber hierzu aber meistens fehlen, müssen regelmäßig die Grundsätze der ergänzenden Auslegung des Beratervertrags bemüht werden, um drittschützende Pflichten identifizieren zu können. Dieser Umstand offenbart die Haftungsanfälligkeit des VSD: Vorhandener Drittschutz wird häufig verkannt, denn der Fokus der anwaltlichen Tätigkeit liegt naturgemäß auf der Interessenvertretung für den Mandanten.

Was sind die Voraussetzungen des VSD?

Zur Begrenzung drittbezogener Risiken aus der beruflichen Tätigkeit stellt die Rechtsprechung an den VSD zu Recht hohe Anforderungen (vgl. BGH NJW 2023, 2775). Zwingende Kriterien sind Leistungsnähe, ein schutzwürdiges Interesse des Mandanten an der Einbeziehung des Dritten, Kenntnis bzw. Erkennbarkeit der Gläubigernähe und schließlich die Schutzbedürftigkeit des Dritten (BGH NJW 2016, 3432; NJW 2018, 608).

Gerade die erforderliche Leistungsnähe ist regelmäßig Streitpunkt haftungsrechtlicher Auseinandersetzungen. Diese liegt vor, wenn die anwaltliche Leistung Rechtsgüter eines Dritten mit Rücksicht auf den Vertragszweck bestimmungsgemäß und typischerweise beeinträchtigen kann (BGH NJW 2023, 2775). An dieser Stelle kommen nahestehende Personen ins Spiel, deren Interessen durch Willenserklärungen des Mandanten berührt werden, etwa die vermeintlichen Begünstigten testamentarischer Verfügungen (s. BGH NJW 1995, 51). Allein die Familienzugehörigkeit ist jedoch kein drittschützendes Kriterium. Dies zeigt ein Fall, in dem die Töchter der Mandantin die fehlende Sicherung ihrer Ansprüche vor dem Eintritt der Verjährung beanstandeten. Der Anwalt war jedoch ausschließlich mit der Durchsetzung der Schadensersatzforderungen der Mutter infolge eines Unfalls beauftragt worden. Der Zweck des Mandats umfasste hingegen nicht die Wahrnehmung der Rechtspositionen der Töchter, wenngleich diese den Unfallhergang miterleben und fortan unter dem Ereignis leiden mussten (s. BGH NJW 2020, 3169). Selbst die Aussicht auf eine Erwachsenenadoption begründet keine Leistungsnähe im Sinne des VSD. In einem Haftungsverfahren vor dem OLG Düsseldorf (NJW 2024, 3658) wurde einer Anwältin vorgeworfen, einen notariell beurkundeten Antrag auf Adoption nicht rechtzeitig vor dem Tod des potenziellen Adoptivvaters beim Familiengericht eingereicht zu haben. Somit war der Ausspruch der Annahme des Klägers als Kind nicht mehr zulässig (s. § 1753 II BGB), und er forderte angesichts der entgangenen Erbenstellung Schadensersatz im sechsstelligen Bereich. Da ein Anwaltsvertrag nur mit den potenziellen Adoptiveltern bestand, waren die Voraussetzungen des VSD Gegenstand der richterlichen Prüfung. In diesem Kontext kam der Vorschrift des § 1767 I BGB besondere Bedeutung zu, wonach die Annahme der Adoption eines Volljährigen sittlich gerechtfertigt, also vornehmlich von familienbezogenen Zwecken und nicht von wirtschaftlichen Motiven geprägt sein muss. Vor diesem Hintergrund lehnte das OLG eine Haftungserstreckung auf den wirtschaftlichen Schaden, also die entgangene Erbschaft, ab.

Weitere Fallkonstellationen

Allerdings gibt es typische Konstellationen mit zum Teil hohem Schadenspotenzial, in denen die Anwendbarkeit des VSD positiv bestätigt wurde. Diese sollten Berater kennen und die Entwicklung in der Rechtsprechung verfolgen, um das Bewusstsein für vorhandene Drittinteressen zu schärfen. Betroffene Dritte können etwa Tochtergesellschaften oder Gesellschafter im Rahmen der Beratung von Unternehmen sein, aber auch in besonders gelagerten Fällen Geschäftsleiter. Ein Beispiel: Ein Geschäftsführer wurde vom Insolvenzverwalter wegen verbotener Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife persönlich haftbar gemacht. Daraufhin nahm er den von der Gesellschaft zuvor mit einem Krisenmandat beauftragten Anwalt wegen Verletzung der Warn- und Hinweispflicht bei möglichem Insolvenzgrund in Anspruch (BGH NJW 2023, 2775). 

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Inga Willems ist Rechtsanwältin bei der HDI Versicherung AG, Köln.