Haftungsseite

Feh­len­de BGH-Recht­spre­chung – und nun?
Haftungsseite

Die an­walt­li­che Be­ra­tung hat sich stets an der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung zu ori­en­tie­ren. Aber was gilt und wor­auf müs­sen An­wäl­te ach­ten, um einen Haf­tungs­fall zu ver­mei­den, wenn der BGH die streit­ent­schei­den­de Rechts­fra­ge noch nicht ge­klärt hat?

5. Nov 2024

Kern­auf­ga­be des An­walts ist es, den Sach­ver­halt im Hin­blick auf das vom Man­dan­ten er­streb­te Ziel in jede Rich­tung um­fas­send recht­lich zu prü­fen, ihn ent­spre­chend zu be­leh­ren und Nach­tei­le für ihn zu ver­mei­den (BGH NJW 1993, 1779 (1780)). Seine Emp­feh­lun­gen hat er an der zum Zeit­punkt der Be­ra­tung ver­öf­fent­lich­ten höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung aus­zu­rich­ten (BGH NJW 2001, 146 (148)). Ent­ge­gen­ste­hen­de Ju­di­ka­tur von In­stanz­ge­rich­ten und ver­ein­zel­te Stim­men im Schrift­tum sind in der Regel nicht zu be­rück­sich­ti­gen, es sei denn, eine Än­de­rung er­scheint wegen neuer Ent­wick­lun­gen in Ju­di­ka­tur und Rechts­wis­sen­schaft mög­lich (BGH NJW 2009, 1593 (1594)). Ist eine streit­ent­schei­den­de Rechts­fra­ge bis­lang höchst­rich­ter­lich aber noch nicht ge­klärt, stel­len sich haf­tungs­recht­lich zwei Fra­gen, näm­lich die­je­ni­ge nach dem Pflich­ten­kreis des Rechts­an­walts und – im Be­reich der Kau­sa­li­tät – die­je­ni­ge des be­ra­tungs­rech­ten Ver­hal­tens des Man­dan­ten.

Ein pflicht­ge­mä­ßes an­walt­li­ches Han­deln er­for­dert in einer sol­chen Si­tua­ti­on zu­nächst ein­mal die Sich­tung von Kom­men­ta­ren und der Recht­spre­chung der Ober­ge­rich­te (OLG Zwei­brü­cken NJW-RR 2023, 1033). Zu prü­fen ist, ob und wel­che Ten­denz in der Ent­wick­lung der Ju­di­ka­tur fest­zu­stel­len ist (Henss­ler ua/Wein­land Hdb d. Be­ra­ter­haf­tung, 2. Aufl. 2023, Kap. 3 Rn. 186). Nicht nur eine Re­cher­che über ju­ris­ti­sche Da­ten­ban­ken und die Lek­tü­re von Spe­zi­al­zeit­schrif­ten (BGH NJW 2001, 675 (678); OLG Frank­furt a. M. BeckRS 2021, 22617), son­dern auch die Sich­tung der On­line-Ent­schei­dungs­da­ten­ban­ken der Ge­rich­te sind er­for­der­lich (OLG Jena NJOZ 2024, 400). Ganz ak­tu­ell hat sich der BGH mit die­ser The­ma­tik be­fasst (NJW 2024, 3290 [in die­sem Heft]). Dabei liegt der Schwer­punkt der Ent­schei­dung aber nicht bei der Pflicht­ver­let­zung, son­dern beim Be­weis des ers­ten An­scheins und der Ver­mu­tung des be­ra­tungs­ge­rech­ten Ver­hal­tens:

Aus über­ge­gan­ge­nem Recht hatte ein Rechts­schutz­ver­si­che­rer auf Er­satz des Kos­ten­scha­dens ge­klagt, weil der An­walt an­geb­lich einen aus­sichts­lo­sen Rechts­streit ge­führt hatte: Der rechts­schutz­ver­si­cher­te Man­dant hatte sich an einer in Form einer KG or­ga­ni­sier­ten Ka­pi­tal­an­la­ge über die dort als Treu­hand-/Grün­dungs­kom­man­di­tis­tin tä­ti­ge Steu­er­be­ra­tungs­ge­sell­schaft be­tei­ligt. Die­ser warf der Man­dant einen Ver­stoß gegen ihre Auf­klä­rungs­pflicht vor. Nach Frei­ga­be des De­ckungs­an­spruchs gegen den Ver­mö­gens­scha­den­haft­pflicht­ver­si­che­rer durch den In­sol­venz­ver­wal­ter der zwi­schen­zeit­lich in­sol­ven­ten Steu­er­be­ra­tungs­ge­sell­schaft erhob der An­walt Klage gegen den Ver­si­che­rer. Diese blieb er­folg­los, weil die Auf­klä­rungs­pflicht­ver­let­zung der Steu­er­be­ra­tungs­ge­sell­schaft als „nor­ma­le“ Ge­sell­schaf­te­rin aus einer un­ter­neh­me­ri­schen Tä­tig­keit folg­te, die nicht unter den Ver­si­che­rungs­schutz der Ver­mö­gens­scha­den­haft­pflicht­ver­si­che­rung fiel. Zum Zeit­punkt der Kla­ge­er­he­bung war diese Frage aber höchst­rich­ter­lich nicht ge­klärt. Al­lein der Um­stand, dass der BGH eine Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gegen eine Ent­schei­dung in einem ähn­lich ge­la­ger­ten Fall für un­zu­läs­sig er­ach­tet hatte, führt nicht dazu, dass die Rechts­la­ge als ge­klärt an­ge­se­hen wer­den konn­te.

Aus ex-ante-Sicht sah der BGH die vom kla­gen­den­den An­walt vor­ge­nom­me­ne Aus­le­gung der Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen nicht als un­ver­tret­bar an. Fehle es – so der IX.?Zi­vil­se­nat – an einer höchst­rich­ter­li­chen Klä­rung, müsse sich der Sach­ver­halt der­art unter Rechts­vor­schrif­ten sub­su­mie­ren las­sen, dass das Er­geb­nis einer Aus­le­gung unter kei­nem recht­li­chen Ge­sichts­punkt zwei­fel­haft sein kann. Nur dann grei­fe kein An­scheins­be­weis zu­guns­ten des Man­dan­ten. Denn die­ser setzt bei einer pflicht­wid­ri­gen Be­ra­tung über die Er­folgs­aus­sich­ten einer Klage vor­aus, dass die Rechts­ver­fol­gung aus tat­säch­li­chen oder recht­li­chen Grün­den ob­jek­tiv aus­sichts­los war (BGH NJW 2021, 3324). An die­ses Merk­mal wer­den je­doch hohe An­for­de­run­gen ge­stellt.

Fazit und Emp­feh­lung für die Pra­xis

Haf­tungs­recht­lich ist die Aus­gangs­la­ge bei höchst­rich­ter­lich un­ge­klär­ter Rechts­fra­ge für den An­walt also durch­aus po­si­tiv. Es wird von ihm nicht er­war­tet, die künf­ti­ge Recht­spre­chung zu­tref­fend zu pro­gnos­ti­zie­ren. Und die Kau­sa­li­tät einer Pflicht­ver­let­zung stellt – an­ders als sonst häu­fig zu sehen – eben­so eine Hürde für einen er­folg­rei­chen An­walts­re­gress dar. Hier­durch soll­te sich An­wäl­te aber nicht ver­lei­tet sehen, bei Feh­len höchst­rich­ter­li­cher Recht­spre­chung auf eine in­ten­si­ve Re­cher­che zu ver­zich­ten.

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Rafael Meixner ist Rechtsanwalt bei der HDI Versicherung AG, Köln.