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Fluch und Segen der Online-Recherche
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Vor der Rechtsberatung steht die Recherche der aktuellen Rechtslage zum Mandatsgegenstand. Diesbezüglich hat die haftungsrechtliche Rechtsprechung bestimmte Vorgaben entwickelt. Doch welche Recherchemöglichkeiten sind ein Muss und welche sind optional?

26. Mrz 2024

Mittelpunkt der anwaltlichen Tätigkeit und unabdingbare Voraussetzung für eine optimale Vertretung des Mandanten ist die Rechtsprüfung. Hierfür muss sich der Anwalt mandatsbezogene Rechtskenntnisse verschaffen, wobei wegen ihrer richtungsweisenden Bedeutung ein besonderes Augenmerk auf die höchstrichterliche Rechtsprechung gelegt werden muss (BGH NJW-RR 2003, 1212). Doch bei der Vielzahl der veröffentlichten Entscheidungen den Überblick zu behalten, ist gar nicht so einfach. Um die Anforderungen an die Recherchepflichten des Anwalts nicht zu überfrachten, reichte es daher für eine pflichtgemäße Tätigkeit lange Zeit aus, neben der amtlichen Entscheidungssammlung regelmäßig einschlägige juristische Fachzeitschriften auf mandatsbezogene Rechtsprechung durchzusehen (BGH NJW 2001, 675).

Nutzung von Online-Datenbanken

Eine verpflichtende Nutzung von juristischen Online-Datenbanken wurde dabei von der haftungsrechtlichen Rechtsprechung nicht verlangt, obgleich dies die Recherche zeitlich erheblich erleichtern könnte. Der BGH (NJOZ 2011, 328) hat im Jahr 2010 im Rahmen eines Steuerberaterregresses offengelassen, ob künftig Recherchen in Online-Datenbanken verpflichtend sind, und dies von einer fortschreitenden einfachen und kostengünstigen Informationstechnologie abhängig gemacht. In einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 26.1.2024 – 9 U 364/18, BeckRS 2024, 1903) hat das OLG Jena nunmehr eine solche Nutzungspflicht zu Lasten eines Anwalts angenommen.

In dem entschiedenen Fall hatte ein Anlegeranwalt zunächst einen Güteantrag zur Verjährungshemmung gestellt und dann Klage erhoben. Noch vor der mündlichen Verhandlung verschärfte der BGH die Anforderungen zur Hemmungswirkung eines Güteantrags (NJW 2015, 2407). Ihnen wurde der Antrag des Anwalts nicht mehr gerecht. Diese Entscheidung wurde mehrere Wochen vor Veröffentlichung in den Fachzeitschriften in die Online-Datenbank des BGH eingestellt. Der Anwalt führte das Verfahren dennoch erfolglos über zwei Instanzen fort. Das OLG Jena machte ihn für den daraus entstandenen Kostenschaden haftbar. Der Anwalt habe die Pflicht gehabt, sich mittels der online verfügbaren Datenbank über die fortlaufende Rechtsprechung zu informieren. Wegen der zunehmenden Digitalisierung sei die frei zugängliche Datenbank des BGH dem Druckwerk seiner amtlichen Sammlung gleichzustellen. Zumindest die für den konkreten Tätigkeitsbereich in der Datenbank abrufbaren Leitsatzentscheidungen seien zeitnah zur Kenntnis zu nehmen (OLG Jena BeckRS 2024, 1903 Ls. 6 Rn. 70).

Fortlaufende und zeitnahe Prüfungspflicht

Die Pflicht der Prüfung der Rechtsprechung ist fortlaufend und endet nicht mit der Klageerhebung. Verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muss der Anwalt den Mandanten darüber und über die daraus folgenden Konsequenzen – bis zum Abraten von der Verfahrensfortführung – aufklären (BGH NJW 2021, 3324). Dabei gilt bislang für die Kenntnisnahme neuer Rechtsprechung eine angemessene Karenzzeit von vier bis sechs Wochen (OLG Schleswig Urt. v. 11.4.2013 – 11 U 80/12, BeckRS 2013, 9391). Aufgrund der kurzfristigen Verfügbarkeit von Entscheidungen in der Online-Datenbank hält das OLG Jena (BeckRS 2024, 1903 Rn. 78) diesen Zeitraum aber für zu lang und gesteht dem Anwalt lediglich eine Frist von einer Woche nach Einstellung des Urteils in die Datenbank des BGH zur Kenntnisnahme zu. Ob diese doch sehr kurze Frist als allgemeingültig betrachtet werden kann, ist fraglich. Das OLG hat sie auch damit begründet, dass der beklagte Anwalt als Anlegeranwalt auch für weitere Mandanten massenhaft Güteanträge zur Verjährungshemmung eingereicht hatte und daher verpflichtet war, die Rechtsprechungsentwicklung des BGH zu dieser Frage zeitnah zu verfolgen.

Die Entscheidung des OLG Jena zeigt, dass Online-Datenbanken für die anwaltliche Tätigkeit Fluch und Segen zugleich sind: Zwar verschaffen sie dem Anwalt schnell einen guten Überblick über die Rechtsprechung. Gleichzeitig erhöht die zeitnahe Verfügbarkeit neuer Urteile die Anforderungen an eine pflichtgemäße Rechtsprechungsrecherche des Anwalts. Letztlich dürften die Vorteile technikgestützter Recherchemöglichkeiten aber überwiegen. 

Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wochen gratis testen inkl. Online-Modul NJWDirekt

Julia Braun ist Rechtsanwältin bei der HDI Versicherung AG, Köln.