Urteilsanalyse
Haftung des Arbeitgebers für Falschauskünfte gegenüber der Staatsanwaltschaft
Urteilsanalyse
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Äußerungen in einem Zivilprozess oder in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren führen nach einem Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern nicht zu einer zivilrechtlichen Haftung, nur weil sie sich später im Prozess oder nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder auch nur unaufklärbar erweisen.

25. Sep 2023

Anmerkung von
RA Prof. Dr. Martin Diller, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 37/2023 vom 21.09.2023

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Sachverhalt

Die Klägerin war bis Ende 2016 Personalleiterin des beklagten Hotelbetriebs. Ein halbes Jahr nach ihrem Ausscheiden wurde ein Hotelmitarbeiter durch einen Arbeitsunfall schwer verletzt. Die dadurch verursachten Kosten trug die Berufsgenossenschaft. In einem aufgrund des Arbeitsunfalls eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren machte die von der Beklagten eingeschaltete Rechtsanwältin die – offensichtlich unzutreffende – Aussage, zum Unfallzeitpunkt sei zentral die Klägerin für Unfallverhütungsmaßnahmen und deren fort­laufende Aktualisierung zuständig gewesen. Zwei Jahre später machte die Berufsgenossenschaft vor dem LG Aufwendungsersatzansprüche wegen grob fahrlässiger Herbeiführung eines Arbeitsunfalls gegen die Arbeitgeberin und sechs Beklagte als Gesamtschuldner geltend, darunter auch die ehemalige Personalleiterin. Die Arbeitgeberin mandatierte einen Rechtsanwalt, der auch die sechs mitverklagten Personen vertreten sollte. Diesen sechs Personen wurde mitgeteilt, die Mandatierung eines eigenen Rechtsanwalts zu Abwehr der Ansprüche der Berufsgenossenschaft sei weder sinnvoll noch erforderlich. Gleichwohl mandatierte die ehemalige Personalleiterin eine eigene Rechtsanwältin. Zugleich verlangte sie in einem beim ArbG angestrengten Verfahren die Übernahme der Anwaltskosten durch die beklagte Arbeitgeberin. Diese habe nachwirkende Schutzpflichten verletzt, weil sie über die von ihr damals eingeschaltete Rechtsanwältin falsche Auskünfte gegenüber der Staatsanwaltschaft gemacht habe. Erst aufgrund dieser Falschauskünfte sei das Verfahren der Berufsgenossenschaft ins Rollen gekommen.

Das ArbG gab der Klage statt.

Entscheidung

Das LAG hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Die während des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses geltenden wechselseitigen Schutz- und Rücksichtnahmepflichten enden nach Auffassung des LAG im Zweifel mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Nur einzelne Pflichten (Zeugnis, Auskunft, Geheimhaltung) könnten darüber hinaus weiterbestehen. Die Falschauskunft gegenüber der Staatsanwaltschaft sei jedenfalls nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt. Überdies fehle es auch am Schutzzweckzusammenhang, denn unzutreffende Auskünfte gegenüber der Staatsanwaltschaft seien typischerweise nicht geeignet, Klagen einer Berufsgenossenschaft auszulösen. Vor allem aber sei es die staatsbürgerliche Pflicht aller Beteiligten, sich gegenüber Behörden und Gerichten in Zivil- oder Ermittlungsverfahren zu äußern. Sanktionen an unzutreffende Äußerungen knüpfe der Gesetzgeber bewusst nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, nicht jedoch schon bei einfacher Fahrlässigkeit oder auch nur Unaufklärbarkeit der sachlichen Richtigkeit der Äußerungen. Das Interesse an einer funktionierenden Zivil- und Strafjustiz wiege schwerer als der persönliche Ehrschutz. Eine Haftung der beklagten Arbeitgeberin für die Kosten der Rechtsanwältin, die die Klägerin zur Verteidigung der Klage der Berufsgenossenschaft eingeschaltet habe, scheide deshalb aus.

Praxishinweis

Die Entscheidung überzeugt. Sie passt zu zahlreichen aktuellen Urteilen zum Thema „Datenschutz ist nicht Tatenschutz“. Der Schutz der Privatsphäre, der persönlichen Ehre und der persönlichen Daten findet dort ihr Ende, wo es um das Funktionieren der Zivil- und Strafjustiz geht. Die Justiz ist darauf angewiesen, dass auch solche Äußerungen getätigt werden, die persönliche Lebensbereiche Anderer betreffen und sich nachträglich als falsch oder unaufklärbar erweisen können. Erst bei grober Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz ist die Grenze überschritten.

Der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt zeigt aber auch ein weiteres: Bei schweren Arbeitsunfällen ist der Arbeitgeber gut beraten, die Aktivitäten aller Beteiligten und die Äußerungen gegenüber den beteiligten Behörden sorgfältig zu koordinieren. Alle Beteiligten hätten sich viel Ärger erspart, wenn man hier sorgfältiger vorgegangen wäre.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.09.2022 - 2 Sa 19/22 (ArbG Rostock), BeckRS 2022, 50655