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"Haft­stra­fe" vom Staats­an­walt
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Der Fall Wire­card hat wie­der ein­mal ge­zeigt, wie mäch­tig Staats­an­wäl­te ver­meint­lich sind – mit­un­ter selbst laut Zei­tun­gen, die als Qua­li­täts­me­di­en gel­ten dür­fen. So hieß es auf den Ti­tel­sei­ten von re­nom­mier­ten Blät­tern jüngst sogar in Über­schrif­ten: „Er­mitt­ler er­las­sen wei­te­re Haft­be­feh­le.“ Am Vor­tag fand sich diese For­mu­lie­rung im In­ter­net auch etwa bei öf­fent­lich-recht­li­chen Sen­dern.

17. Sep 2020

Un­be­kann­te Ge­wal­ten­tei­lung

Die Idee der Ge­wal­ten­tei­lung ist of­fen­bar in den Köp­fen vie­ler Re­dak­teu­re nicht so fest ver­an­kert, wie sich das nach dem Ge­mein­schafts­kun­de­un­ter­richt in der Schu­le ei­gent­lich ge­hört. Und das war kei­nes­wegs ein Ein­zel­fall. Mehr noch: Straf­ver­fol­ger haben laut nam­haf­ten Zei­tun­gen auch schon mal Straf­be­feh­le er­las­sen – und sogar mehr­jäh­ri­ge Haft­stra­fen ver­hängt. „Was kommt als nächs­tes?“, frag­te ein Rechts­an­walt dar­auf­hin im Kurz­nach­rich­ten­dienst Twit­ter iro­nisch und ver­gab sar­kas­tisch den Hash­tag „StPO-Re­form“.

Ver­wech­sel­te Rechts­mit­tel

Dass Be­ru­fung und Re­vi­si­on ver­wech­selt wer­den, ist quasi ein Dau­er­de­likt in Ga­zet­ten; eben­so Be­klag­te und An­ge­klag­te. Da wer­den Ge­rich­te um­be­nannt oder in an­de­re Städ­te ver­legt. Eher sa­ti­risch mutet es hin­ge­gen an, dass vor einem hal­ben Jahr in einer Re­por­ta­ge einer bun­des­wei­ten Ta­ges­zei­tung das Ge­richt im In­ter­net in Gän­se­fü­ßchen mit der For­mu­lie­rung zi­tiert wurde, der wegen Cum-Ex-Deals An­ge­klag­te habe die Mög­lich­keit von Ge­set­zes­brü­chen „miss­bil­li­gend in Kauf“ ge­nom­men: Die­ser Freud’sche Ver­schrei­ber wurde als­bald kor­ri­giert. Dass ein Land­ge­richt, das sich von Die­sel-Kla­gen über­rollt fühlt, in einem an­de­ren bun­des­wei­ten Blatt als „über­las­te­te Be­hör­de“ be­ti­telt wurde, passt da­ge­gen nicht zur Un­ab­hän­gig­keit die­ser In­sti­tu­ti­on. Ver­fehlt ist auch, wenn unter „Jus­tiz“ nur das Ge­richt, nicht aber eben­so die Staats­an­walt­schaft ver­stan­den wird.

Eile keine Ent­schul­di­gung

Dies ist kei­nes­wegs alles der Hek­tik des Me­di­en­be­triebs ge­schul­det: Längst nicht jeder Ar­ti­kel ent­steht in Zeit­not und unter Stress. Zudem gilt in den Re­dak­tio­nen von Re­nom­mier­blät­tern in aller Regel (zu­min­dest) das Vier-Augen-Prin­zip. Wis­sens­lü­cken kom­men hinzu. Dass es die auch im Pres­se­recht gibt, des­sen Grund­kennt­nis­se zum Hand­werks­zeug von Me­di­en­ma­chern ge­hö­ren soll­ten, wird deut­lich, wenn es in der Be­richt­erstat­tung zu Vor­ver­ur­tei­lun­gen kommt. Zwar fehlt das Wört­chen „mut­ma­ß­lich“ selbst dann nicht, wenn es sich um einen vor lau­fen­der Ka­me­ra ge­sche­he­nen Mord durch einen ge­stän­di­gen Täter han­delt. Doch wenn deut­sche oder eu­ro­päi­sche Be­hör­den bei­spiels­wei­se Kar­tell­stra­fen ver­hän­gen oder die EU-Kom­mis­si­on Deutsch­land Ver­trags­ver­let­zun­gen vor­wirft, wer­den die Vor­wür­fe meist ohne jede Ein­schrän­kung wie fest­ste­hen­de Tat­sa­chen ver­mel­det – ob­wohl sie spä­ter von Ge­rich­ten ver­wor­fen wer­den kön­nen.

Feh­len­de Feh­ler­kul­tur

Das alles ist aber kein Grund für Ju­ris­ten, sich in Über­heb­lich­keit und Bes­ser­wis­se­rei zu er­ge­hen. Auch in einem Fach­buch fand sich schon mal der EGMR in Lu­xem­burg wie­der. Und was in Schrift­sät­zen oder Fach­bei­trä­gen mit­un­ter an Feh­lern steckt, lässt einem die Haare zu Berge ste­hen. Vie­les muss von der Jus­tiz im In­stan­zen­zug aus­ge­bü­gelt wer­den. Doch Irren ist nun ein­mal mensch­lich. Re­dak­tio­nen und Kanz­lei­en, Ge­rich­te und Lehr­stüh­le müs­sen eine Feh­ler­kul­tur prak­ti­zie­ren, zu der neben sorg­fäl­ti­ger Ar­beit ein kon­struk­ti­ver Um­gang mit Pan­nen ge­hört. In man­chen Zei­tun­gen gibt es re­gel­mä­ßi­ge Kor­rek­tur­spal­ten, die die Leser nicht auf Falsch­in­for­ma­tio­nen sit­zen las­sen und so Ver­trau­en in die Red­lich­keit der „Vier­ten Ge­walt“ schaf­fen.

Me­di­en­nut­zer müs­sen auf­pas­sen

Das führt nicht daran vor­bei, dass auch Me­di­en­nut­zer einen kri­ti­schen Blick üben müs­sen. Nicht alles, was schwarz auf weiß in einer Zei­tung steht – oder in bun­ter Ani­ma­ti­on auf deren Web­sei­te –, muss man glau­ben. Je mehr Spe­zia­li­sie­rung sich eine Re­dak­ti­on leis­ten kann, umso qua­li­fi­zier­ter ist zwar deren Be­richt­erstat­tung. Doch der oft über­zo­ge­ne Wett­lauf um Ak­tua­li­tät und Ex­klu­si­vi­tät scha­det der Se­rio­si­tät und ist durch das In­ter­net wei­ter ge­stei­gert wor­den. Die welt­weit sin­ken­den Print­auf­la­gen von Ta­ges­zei­tun­gen hei­zen die­ses „Rat­ten­ren­nen“ zu­sätz­lich an. Wozu das füh­ren kann, war zu be­ob­ach­ten, als das BVerfG vor drei Jah­ren sein mit Span­nung er­war­te­tes NPD-Ur­teil ver­kün­de­te: Re­por­ter, die sonst mit Rechts­the­men wenig zu tun haben, ver­wech­sel­ten den vom da­ma­li­gen Ge­richts­prä­si­den­ten An­dre­as Vo­ß­kuh­le zu­nächst vor­ge­tra­ge­nen An­trag des Bun­des­rats auf ein Ver­bot mit dem Ver­dikt der Rich­ter. Ein paar Mi­nu­ten lang glaub­te dar­auf­hin fast jeder, der den elek­tro­ni­schen Nach­rich­ten­strom ver­folg­te, die Par­tei werde nun­mehr auf­ge­löst.

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung.