Interview
Grundlagen für gute Gesetze
Interview
Foto_Stephan_Breidenbach_WEB
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Seit Jahren wird darüber debattiert, inwieweit die Digitalisierung und Legal Tech den Zugang zum Recht und die Rechtsanwendung verbessern können. Ob und wie auch die Gesetzgebung von technischen Tools und einer darauf abgestimmten Methodik profitieren kann, erprobt derzeit Prof. Dr. Stephan Breidenbach von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder. Wir haben nachgefragt.

9. Feb 2021

NJW: Sie machen gerade mit dem Bundesjustizministerium das Projekt „Mit Methode zum ersten Entwurf eines Gesetzes“. Worum geht es da?

Breidenbach: Meist beginnt Gesetzgebung in einem Ministerium mit einem Auftrag der Hausleitung an ein federführendes Ressort. Steht ein erster Entwurf, geht er den üblichen Weg: Abstimmungen unter anderem mit anderen Ministerien, Verbändeanhörung, Normenkontrollrat, parlamentarisches Verfahren usw. Wie der erste Entwurf inhaltlich entsteht, wird in der Rechtswissenschaft kaum thematisiert, und es kommt in der juristischen Aus- und Fortbildung bestenfalls am Rande vor. Vor allem in der Entwurfsphase werden aber die Weichen gestellt für die handwerkliche und vor allem sprachliche Umsetzung des politisch Gewollten. Hier entscheidet sich, welchen Regelungsansatz die Legisten – also die Autorinnen und Autoren des Entwurfs – verfolgen: Mit diesen strukturellen Vorgaben bestimmen sie oft auch den weiteren politischen und fachlichen Diskurs. Hier werden die Grundlagen für gute Gesetzgebung – die inhaltlich sachgerechte, überzeugende und sprachlich verständliche Norm – gelegt. Das BMJV will daher jungen Legisten in seinen Ressorts eine erste Schulung bieten. Dafür haben wir einen Online-Kurs mit dem genannten Titel entwickelt.

NJW: Wie sieht die darin vermittelte Methode konkret aus?

Breidenbach: Gesetze sind gesellschaftliche Strategien und verändern komplexe Systembedingungen. Unser Vorschlag ähnelt daher einer Strategieentwicklung und enthält Methoden der Komplexitätsbewältigung. Es sind insgesamt 25 idealtypische Schritte, die allerdings nicht linear, sondern iterativ und dynamisch durchlaufen werden können: Gute Legisten analysieren differenziert die als Regulierungsbedarf gesehenen Pro­bleme. Sie legen präzise und abgestufte Ziele fest. Sie analysieren systemisch die Akteure im Regelungsbereich und die Wirkzusammenhänge, in die die Regelung eingreift. Zentral ist auch, dass sie die Regelungsoptionen und die Argumente jeweils dafür und dagegen transparent auffächern. Sie entwickeln die Normen erst als Strukturen, bevor sie sich auf eine erste Textversion festlegen. Sie denken dabei den Vollzug, insbesondere die Digitalisierung, mit, arbeiten an verständlicher Sprache und achten auf die politische Kommunikation („storytelling“).

NJW: Durch welche technischen Tools wird diese Methode unterstützt?

Breidenbach: Das Bundesjustizministerium hat bereits bei der Reform des Versorgungsausgleichs begonnen, mit dem von mir und Tilo Wend entwickelten Werkzeug Logos von knowledgeTools die Entwurfsphase zu unterstützen. Es ist zunächst ein Design-Tool. Die künftigen Regeln werden bis auf das einzelne Tatbestandsmerkmal visualisiert und im Zuge der Arbeit in immer wieder sich verändernden Strukturen neu sortiert und abgeschichtet. Die Visualisierung erlaubt ein darin integriertes präzises Wissensmanagement und eine genau verortete Kommunikation im Team. Die visuelle Darstellung hilft auch, transparenter und nachvollziehbarer als anhand von fertigen Texten über die Regelungsinhalte nach außen zu kommunizieren. Schließlich könnte Logos in Zukunft auch genutzt werden, um die Regeln unmittelbar in eine digitale Anwendung zu überführen.

NJW: Könnte aus Ihrer Sicht die Digitalisierung noch auf andere Weise für die Gesetzgebung nutzbar gemacht werden?

Breidenbach: Wir wollen gerade in einem Pilotprojekt einen bruchlosen toolbasierten Prozess von dem Design der gesetzlichen Regeln, dem Web-Interface für die Dateneingabe von Bürgern und die dann folgende verwaltungsinterne automatische Bearbeitung bis zum abschließenden Bescheid und der Aktenführung in der Behörde entwickeln. Eine integrierte digitale Gesetzgebungs- und Umsetzungsstrecke mit allen Möglichkeiten der – zulässigen – aggregierten Datenauswertung. Das ist jetzt möglich.

NJW: Ändert dies perspektivisch das Anforderungsprofil von denjenigen, die Gesetze entwerfen? Anders gefragt: Auf welche Kompetenzen kommt es in den Ministerien künftig entscheidend an?

Breidenbach: Der Umgang mit digitalen Tools wird bald selbstverständlich sein. Daraus folgt auch, dass Legisten in Zukunft noch präziser denken und zugleich klar und verständlich formulieren. Code – und gute Gesetze – verlangen das. Zugleich entwickeln sie gesellschaftliche Strategien und Regeln für Problemstellungen, die oft ein hohes Maß an Komplexitätsverarbeitung verlangen. Verantwortung und Anforderungen steigen.

NJW: Aus Ihrer Sicht sollte Gesetzgebungstechnik schon Gegenstand des Jurastudiums sein. Ist das nicht sehr speziell – nur sehr wenige Absolventen sind später beruflich mit Gesetzgebung befasst?

Breidenbach: Ein rechtswissenschaftliches Studium kann sich aus meiner Sicht nicht überwiegend nur mit Rechtsanwendung beschäftigen. Rechtsetzungswissenschaft fordert und öffnet zugleich mehr Perspektiven des Denkens. Es öffnet den Blick dafür, Recht nicht als gegeben hinzunehmen. Wir haben in konkreten Projekten mit Studierenden gearbeitet und gesehen, wie viel Begeisterung, Freude an Kreativität und vertieftes Verständnis das auslöst. Studierende können mehr, als ihnen zugetraut wird. Der Kollateralnutzen: Wer Normen gestalten kann, kann sie auch anwenden.

NJW: Es gibt gerade noch ein anderes Projekt, in dem Sie die eben dargestellte Vorgehensweise konkret anwenden. Erzählen Sie.

Breidenbach: Die NGO German Zero hat in Zusammenarbeit mit einer großen Gruppe von Experten einen Plan entwickelt, wie die Wende in der Klimapolitik in Deutschland noch rechtzeitig gelingen und damit ein weltweiter positiver Dominoeffekt ausgelöst werden kann. Ausgehend von diesem Klimaplan werden wir bis Mitte 2021 die Eckpunkte eines umfassenden 1,5-Grad-Klimagesetzespakets als Vorschlag an die Politik gestalten, das insgesamt den rechtlichen Rahmen schafft, um die Klimaneutralität bezogen auf Deutschland bis 2035 erreichen zu können. Die Leitung dieses Teams von technischen Fachleuten, Wissenschaftlern, Unternehmern und Juristen habe ich im Januar 2020 übernommen. Über 150 Freiwillige aus Kanzleien, Unternehmen und Universitäten unterstützen uns mittlerweile. Wir wollen das in Deutschland umsetzen, was die Bundesregierung 2015 beim UN-Klimagipfel in Paris bindend zugesagt hat: Die Erdüberhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das Klimagesetzespaket enthält im Kern den Entwurf für ein neues Energiegesetzbuch und damit eine Energiewende – zu einem dekarbonisierten und 100 % erneuerbaren Energiesystem. Zahlreiche darauf abgestimmte Einzelmaßnahmen in allen Sektoren helfen insgesamt, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Notwendig ist das bereits bis 2035. Das politisch bisher gesetzte Zieldatum 2050 kann mit großer Wahrscheinlichkeit das 1,5-Grad-Ziel nicht sicherstellen.

NJW: Machen Sie das vornehmlich, um Ihre Methode anhand eines Beispiels darzustellen, oder haben Sie auch die Hoffnung, dass der Gesetzgeber Ihren Entwurf aufgreift?

Breidenbach: Die Politik ist im Verzug, den Weg in eine noch mögliche 1,5-Grad-Zukunft zu gestalten. Deshalb haben wir als Teil der Zivilgesellschaft gesagt: Wir machen es einfach. Unser Gesetzespaket ist ein Vorschlag, wie bis 2035 eine treibhausgasneutrale Zukunft entstehen kann. Eine exponentiell wachsende Zahl von Bürgern unterstützt und erwartet das. Wir hoffen daher, dass der Gesetzgeber diese Signale noch ernster nimmt und unsere Vorschläge oder gleichwertige Alternativen zeitnah umsetzt. Sonst ist das Zeitfenster für 1,5 Grad zu. Im Übrigen leisten wir viele Vorarbeiten, die in der ministeriellen Arbeit lange Zeit in Anspruch nehmen würden. Die kann genutzt werden. •

Prof. Dr. Stephan Breidenbach studierte von 1975 bis 1980 Rechtswissenschaft und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er auch promoviert und habilitiert wurde. Er war bis Ende 2020 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/ Oder. Er ist Professor für Mediation an der Universität Wien und arbeitet als Mediator und Schiedsrichter, etwa am CAS. 2011 erhielt er im Team des Bundesjustizministeriums den Preis für Gute Gesetzgebung der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung.

Interview: Tobias Freudenberg.