NJW: Sie machen gerade mit dem Bundesjustizministerium das Projekt „Mit Methode zum ersten Entwurf
eines Gesetzes“. Worum geht es da?
Breidenbach: Meist beginnt Gesetzgebung in einem
Ministerium mit einem Auftrag der Hausleitung an ein
federführendes Ressort. Steht ein erster Entwurf, geht
er den üblichen Weg: Abstimmungen unter anderem
mit anderen Ministerien, Verbändeanhörung, Normenkontrollrat, parlamentarisches Verfahren usw. Wie der
erste Entwurf inhaltlich entsteht, wird in der Rechtswissenschaft kaum thematisiert, und es kommt in der
juristischen Aus- und Fortbildung bestenfalls am Rande
vor. Vor allem in der Entwurfsphase werden aber die
Weichen gestellt für die handwerkliche und vor allem
sprachliche Umsetzung des politisch Gewollten. Hier
entscheidet sich, welchen Regelungsansatz die Legisten – also die Autorinnen und Autoren des Entwurfs –
verfolgen: Mit diesen strukturellen Vorgaben bestimmen sie oft auch den weiteren politischen und fachlichen Diskurs. Hier werden die Grundlagen für gute
Gesetzgebung – die inhaltlich sachgerechte, überzeugende und sprachlich verständliche Norm – gelegt. Das
BMJV will daher jungen Legisten in seinen Ressorts
eine erste Schulung bieten. Dafür haben wir einen
Online-Kurs mit dem genannten Titel entwickelt.
NJW: Wie sieht die darin vermittelte Methode konkret
aus?
Breidenbach: Gesetze sind gesellschaftliche Strategien
und verändern komplexe Systembedingungen. Unser
Vorschlag ähnelt daher einer Strategieentwicklung und
enthält Methoden der Komplexitätsbewältigung. Es
sind insgesamt 25 idealtypische Schritte, die allerdings
nicht linear, sondern iterativ und dynamisch durchlaufen werden können: Gute Legisten analysieren differenziert die als Regulierungsbedarf gesehenen Probleme. Sie legen präzise und abgestufte Ziele fest. Sie
analysieren systemisch die Akteure im Regelungsbereich und die Wirkzusammenhänge, in die die Regelung
eingreift. Zentral ist auch, dass sie die Regelungsoptionen und die Argumente jeweils dafür und dagegen
transparent auffächern. Sie entwickeln die Normen
erst als Strukturen, bevor sie sich auf eine erste Textversion festlegen. Sie denken dabei den Vollzug, insbesondere die Digitalisierung, mit, arbeiten an verständlicher Sprache und achten auf die politische Kommunikation („storytelling“).
NJW: Durch welche technischen Tools wird diese Methode unterstützt?
Breidenbach: Das Bundesjustizministerium hat bereits
bei der Reform des Versorgungsausgleichs begonnen,
mit dem von mir und Tilo Wend entwickelten Werkzeug Logos von knowledgeTools die Entwurfsphase zu
unterstützen. Es ist zunächst ein Design-Tool. Die
künftigen Regeln werden bis auf das einzelne Tatbestandsmerkmal visualisiert und im Zuge der Arbeit in
immer wieder sich verändernden Strukturen neu sortiert und abgeschichtet. Die Visualisierung erlaubt ein
darin integriertes präzises Wissensmanagement und
eine genau verortete Kommunikation im Team. Die
visuelle Darstellung hilft auch, transparenter und nachvollziehbarer als anhand von fertigen Texten über
die Regelungsinhalte nach außen zu kommunizieren.
Schließlich könnte Logos in Zukunft auch genutzt werden, um die Regeln unmittelbar in eine digitale Anwendung zu überführen.
NJW: Könnte aus Ihrer Sicht die Digitalisierung noch
auf andere Weise für die Gesetzgebung nutzbar gemacht werden?
Breidenbach: Wir wollen gerade in einem Pilotprojekt
einen bruchlosen toolbasierten Prozess von dem Design der gesetzlichen Regeln, dem Web-Interface für
die Dateneingabe von Bürgern und die dann folgende
verwaltungsinterne automatische Bearbeitung bis zum
abschließenden Bescheid und der Aktenführung in der
Behörde entwickeln. Eine integrierte digitale Gesetzgebungs- und Umsetzungsstrecke mit allen Möglichkeiten der – zulässigen – aggregierten Datenauswertung. Das ist jetzt möglich.
NJW: Ändert dies perspektivisch das Anforderungsprofil von denjenigen, die Gesetze entwerfen? Anders
gefragt: Auf welche Kompetenzen kommt es in den Ministerien künftig entscheidend an?
Breidenbach: Der Umgang mit digitalen Tools wird bald
selbstverständlich sein. Daraus folgt auch, dass Legisten in Zukunft noch präziser denken und zugleich klar
und verständlich formulieren. Code – und gute Gesetze – verlangen das. Zugleich entwickeln sie gesellschaftliche Strategien und Regeln für Problemstellungen, die oft ein hohes Maß an Komplexitätsverarbeitung verlangen. Verantwortung und Anforderungen
steigen.
NJW: Aus Ihrer Sicht sollte Gesetzgebungstechnik
schon Gegenstand des Jurastudiums sein. Ist das nicht
sehr speziell – nur sehr wenige Absolventen sind später beruflich mit Gesetzgebung befasst?
Breidenbach: Ein rechtswissenschaftliches Studium
kann sich aus meiner Sicht nicht überwiegend nur mit
Rechtsanwendung beschäftigen. Rechtsetzungswissenschaft fordert und öffnet zugleich mehr Perspektiven des Denkens. Es öffnet den Blick dafür, Recht nicht
als gegeben hinzunehmen. Wir haben in konkreten
Projekten mit Studierenden gearbeitet und gesehen,
wie viel Begeisterung, Freude an Kreativität und vertieftes Verständnis das auslöst. Studierende können
mehr, als ihnen zugetraut wird. Der Kollateralnutzen:
Wer Normen gestalten kann, kann sie auch anwenden.
NJW: Es gibt gerade noch ein anderes Projekt, in dem
Sie die eben dargestellte Vorgehensweise konkret anwenden. Erzählen Sie.
Breidenbach: Die NGO German Zero hat in Zusammenarbeit mit einer großen Gruppe von Experten einen
Plan entwickelt, wie die Wende in der Klimapolitik in
Deutschland noch rechtzeitig gelingen und damit ein
weltweiter positiver Dominoeffekt ausgelöst werden
kann. Ausgehend von diesem Klimaplan werden wir
bis Mitte 2021 die Eckpunkte eines umfassenden
1,5-Grad-Klimagesetzespakets als Vorschlag an die Politik gestalten, das insgesamt den rechtlichen Rahmen
schafft, um die Klimaneutralität bezogen auf Deutschland bis 2035 erreichen zu können. Die Leitung dieses
Teams von technischen Fachleuten, Wissenschaftlern,
Unternehmern und Juristen habe ich im Januar 2020
übernommen. Über 150 Freiwillige aus Kanzleien, Unternehmen und Universitäten unterstützen uns mittlerweile. Wir wollen das in Deutschland umsetzen, was die
Bundesregierung 2015 beim UN-Klimagipfel in Paris
bindend zugesagt hat: Die Erdüberhitzung auf 1,5 Grad
zu begrenzen. Das Klimagesetzespaket enthält im Kern
den Entwurf für ein neues Energiegesetzbuch und
damit eine Energiewende – zu einem dekarbonisierten
und 100 % erneuerbaren Energiesystem. Zahlreiche darauf abgestimmte Einzelmaßnahmen in allen Sektoren
helfen insgesamt, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Notwendig ist das bereits bis 2035. Das politisch bisher gesetzte Zieldatum 2050 kann mit großer Wahrscheinlichkeit das 1,5-Grad-Ziel nicht sicherstellen.
NJW: Machen Sie das vornehmlich, um Ihre Methode
anhand eines Beispiels darzustellen, oder haben Sie
auch die Hoffnung, dass der Gesetzgeber Ihren Entwurf aufgreift?
Breidenbach: Die Politik ist im Verzug, den Weg in eine
noch mögliche 1,5-Grad-Zukunft zu gestalten. Deshalb
haben wir als Teil der Zivilgesellschaft gesagt: Wir machen es einfach. Unser Gesetzespaket ist ein Vorschlag,
wie bis 2035 eine treibhausgasneutrale Zukunft entstehen kann. Eine exponentiell wachsende Zahl von
Bürgern unterstützt und erwartet das. Wir hoffen daher, dass der Gesetzgeber diese Signale noch ernster
nimmt und unsere Vorschläge oder gleichwertige Alternativen zeitnah umsetzt. Sonst ist das Zeitfenster
für 1,5 Grad zu. Im Übrigen leisten wir viele Vorarbeiten, die in der ministeriellen Arbeit lange Zeit in Anspruch nehmen würden. Die kann genutzt werden. •
Prof. Dr. Stephan Breidenbach studierte von 1975 bis 1980 Rechtswissenschaft und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er auch promoviert und habilitiert wurde. Er war bis Ende 2020 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/ Oder. Er ist Professor für Mediation an der Universität Wien und arbeitet als Mediator und Schiedsrichter, etwa am CAS. 2011 erhielt er im Team des Bundesjustizministeriums den Preis für Gute Gesetzgebung der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung.