Urteilsanalyse
Gröblicher und beharrlicher Weisungsverstoß setzt wirksame Weisung voraus
Urteilsanalyse
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Ein gröblicher und beharrlicher Weisungsverstoß gemäß § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB setzt - so das OLG Frankfurt a.M. - eine wirksam erteilte Weisung voraus.

6. Nov 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Lucas Merschmöller, Knierim Lorenz Breit Rechtsanwälte PartG mbB, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 22/2023 vom 02.11.2023

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Sachverhalt

Mit amtsgerichtlichem Urteil wurde der Verurteilte V wegen diversen Verstößen gegen das BtMG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wurde für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt und aufgrund von Verfehlungen rechtskräftig widerrufen. Nach teilweiser Verbüßung der Freiheitsstrafe wurde die Vollstreckung des Strafrests mit Beschluss des LG zur Bewährung ausgesetzt. Dabei wurde er für die Dauer der dreijährigen Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt. Ihm wurde u. a. die Weisung erteilt, innerhalb von einer Woche nach seiner Entlassung aus der Haft Kontakt mit seinem Bewährungshelfer aufzunehmen und ständig zu halten und Termine in regelmäßigen vorgegebenen Abständen zu vereinbaren. V wurde angewiesen, keine Betäubungsmittel zu konsumieren und sich nach Aufforderung des die Bewährungsaufsicht führenden Gerichts oder der Bewährungshilfe mindestens viermal pro Kalenderjahr, maximal sechzehnmal pro Kalenderjahr, unverzüglich einer nicht mit einem körperlichen Eingriff verbundenen Kontrolle zum Nachweis des Nichtkonsums von Betäubungsmitteln bei einem Gesundheitsamt einer Suchtberatungsstelle, dem rechtsmedizinischen Institut einer deutschen Universität oder einem niedergelassenen Arzt zu unterziehen, die Untersuchung von Proben zu dulden und die Befundergebnisse unverzüglich vorzulegen.

Mit dem angegriffenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Dabei hat die Kammer zum einen darauf abgestellt, dass V aus verschiedenen, im Einzelnen aber nicht glaubhaften Entschuldigungsgründen die meisten der ihm auferlegten Urinkontrolltermine nicht wahrgenommen habe. Zum anderen hat die Strafvollstreckungskammer angenommen, dass V beharrlich Termine bei der Bewährungshilfe abgesagt oder diese unentschuldigt habe verstreichen lassen.

Entscheidung

Die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer liege keiner der sich aus § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB ergebenden Widerrufsgründe vor, so das OLG. V habe unter anderem nicht gröblich und beharrlich gegen ihm erteilte Weisungen verstoßen.

Die Widerrufsentscheidung könne nur auf solche Verstöße gestützt werden, die zulässige, insbesondere auch hinreichend bestimmte Weisungen betreffen. Dies sei in Bezug auf die im Beschluss der Strafvollstreckungskammer enthaltene Weisung zur Abstinenzkontrolle nicht der Fall. Die Abstinenzweisung als solche und jedenfalls isoliert betrachtet, sei nicht zu beanstanden. Soweit die Abstinenzkontrolle betroffen sei, genüge jedoch die diesbezügliche Weisung dem Bestimmtheitserfordernis in mehreren Punkten nicht. Zu beanstanden sei die Weisung, da die Strafvollstreckungskammer selbst ausdrücklich diejenige Einrichtung nicht bezeichnet habe, bei der die Kontrolle durchzuführen sei. Die umfangreiche Aufzählung möglicher Stellen, die zur Durchführung der Kontrolle geeignet seien, enthalte keinen Hinweis, ob die Auswahl durch das Gericht, die Bewährungshilfe oder den Verurteilten selbst erfolgen solle. Auch der Zeitpunkt, ab wann eine Aufforderung zur Kontrolle erfolgen dürfe, sei nicht bestimmt. Auch sei nicht festgelegt, in welcher Frist die Ergebnisse vorzulegen seien. Es genüge jedenfalls nicht, dass dies „unverzüglich“ zu erfolgen habe.

Die Frage, ob die Unwirksamkeit der Weisung zur Abstinenzkontrolle aufgrund des inneren Zusammenhangs zur Abstinenzweisung als solche, die Unwirksamkeit dieser – isoliert betrachtet wirksamen – Anordnung zur Folge habe, könne dahinstehen. Jedenfalls hätten sämtliche Versäumnisse des V im Zusammenhang mit den Aufforderungen durch den Bewährungshelfer zur Durchführung der Urinkontrolle bei der hier zu treffenden Entscheidung, ob die Strafaussetzung zu widerrufen ist, unberücksichtigt zu bleiben. Dies bedeute auch, dass sich etwaige Rückschlüsse aus den nicht durchgeführten Kontrollen auf einen möglicherweise stattgehabten Konsum – wie es die Strafvollstreckungskammer in dem angegriffenen Beschluss mit den entsprechend geäußerten Zweifeln angedeutet habe – verbieten. Abgesehen davon, dass die zweite Urinkontrolle des V gerade einen rückläufigen THC-Wert und – was die Strafvollstreckungskammer verkannt habe – ein späterer Test einen negativen Befund auf sämtliche überprüfte Betäubungsmittel erbracht habe, verstehe es sich von selbst, dass in den Fällen fehlender Tests ein Verstoß gegen die Abstinenzweisung so lange nicht positiv festgestellt werden könne, als dieser nicht aus anderen Gründen, wie etwa durch (glaubhafte) Angaben des V, feststehe.

Praxishinweis

Ein Verstoß durch den Verurteilten kann nur gegen eine zulässige Weisung erfolgen (Fischer, StGB, § 56f Rn. 10). Schon mit Blick auf den Sinn und Zweck der Regelung des § 56 c StGB ist die Entscheidung konsequent und die Weisung hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung der Abstinenzkontrolle unwirksam. Weisungen dienen – im Gegensatz zur Auflage – nicht als Genugtuung für das begangene Unrecht, sondern sollen den Verurteilten darin unterstützen, in Zukunft keine weiteren Rechtsverstöße zu begehen (vgl. Groß/Kett-Straub, in: MüKo-StGB, § 56c Rn. 2) und durch z. B. die Abstinenzkontrolle eine entsprechende Kontrolle zu ermöglichen. Diese – vom Verurteilten geforderten – Bemühungen müssen aber durch konkrete Vorgaben des Gerichts protegiert werden. Das Gericht muss es dem Verurteilten ermöglichen, die Weisungen zu erfüllen, weshalb eine hinreichende Bestimmtheit der Weisung eine unabdingbare Voraussetzung für eine wirksame und zulässig Weisung ist. Es gilt das Bestimmtheitsgebot (Groß/Kett-Straub, aaO., § 56f, Rn. 12). Eine Verfehlung kann dem Verurteilten nur vorgeworfen werden, wenn dieser überhaupt die Möglichkeit hatte, eine Verfehlung zu begehen.

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 11.9.2023 – 7 Ws 168/23 BeckRS 2023, 27433