Interview
Grenzen für Bürgerwissenschaftler
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privat/Studioline

Nicht nur Gelehrte an Hochschulen forschen und experimentieren – auch etliche Privatleute machen das. Aber manche beobachten nicht nur Sterne oder zählen Vögel, sondern basteln auch etwa im Heimlabor mit Genscheren. Der Jurist und Biologe Dr. Timo Faltus untersucht in einem neuen Projekt die rechtlichen Grenzen solcher „Bürgerwissenschaft“.

26. Aug 2020

NJW: Was ist „Citizen Science“ durch „Bürgerforscher“?

Faltus: Verallgemeinert handelt es sich um zugangsoffene wissenschaftliche bzw. wissenschaftsähnliche Projekte, die unter Mithilfe von Personen oder komplett durch Personen durchgeführt werden, die nicht in den Betrieb der an Universitäten und sonstigen Forschungseinrichtungen der institutionalisierten Wissenschaft eingebunden sind. Das gesamte Gebiet zeichnet sich durch seinen tatsächlichen, faktischen Überhang aus. Zuweilen ist auch die Abgrenzung zwischen Citizen Science und Wissenschaftskommunikation insbesondere unter Nutzung von Mitmachaktionen nicht immer eindeutig.

NJW: In welchen Bereichen gibt es das?

Faltus: Als ich begonnen hatte, mich mit Citizen Science zu beschäftigen, dachte ich, das beschränkt sich auf die Mithilfe bei der Erfassung von Tierbeständen oder dem Ordnen von Sammlungen an Museen. Dann habe ich festgestellt, dass die bearbeiteten Themen wesentlich zahlreicher sind und es wahrscheinlich einfacher wäre, Themen zu nennen, die nicht Gegenstand von Citizen-Science-Projekten waren oder sind. Aber auch hier muss ich mittlerweile sagen: Wenn ich auf eine Wissenschaftsdisziplin, ein Spezialgebiet aufmerksam werde und das im Rahmen einer Recherche mit dem Begriff „Citizen Science“ kombiniere – dann können Sie davon ausgehen, dass Sie dazu etwas finden. Nicht unbedingt ein Projekt in Deutschland, aber irgendwo wird es gemacht.

NJW: Auch in der Juristerei?

Faltus: Auch in den Geisteswissenschaften finden sich solche Projekte. Insgesamt ist hier aber eine trennscharfe Unterscheidung komplizierter als in den Naturwissenschaften. Wenn jemand in seiner Garage ein Labor einrichtet, ist der Unterschied zum Universitätslabor offensichtlich. Wo aber verläuft der Unterschied, wenn jemand, ohne das betreffende Fach studiert zu haben, unter Nutzung von Bibliotheken und/oder dem Internet zu einer geisteswissenschaftlichen Frage arbeitet? Citizen-Science-Projekte, die sich mit Rechtsfragen beschäftigen, gibt es jedenfalls auch. Vereinfacht ausgedrückt, bearbeiten hier Personen, die nicht Jura studiert haben, rechtliche Fragen. Allerdings muss man hier die Grenzen beachten, die das RDG setzt. Solche Projekte müssen sich also darauf beschränken, Rechtsfragen grundsätzlich losgelöst vom Einzelfall zu bearbeiten, also etwa Gutachten oder Zeitschriftenbeiträge zu schreiben.

NJW: Wo sehen Sie generell bei solchen Projekten besondere Rechtsprobleme?

Faltus: Das hängt vom Thema ab. Bei Projekten mit rechtlichen Fragen ist den Beteiligten, so wie ich das wahrnehme, grundsätzlich der durch die Rechtsordnung gesetzte Rahmen bekannt. Anders sieht das in den Bereichen Bio-/Gentechnik oder bei Projekten aus, die sich mit Therapien im Bereich der Humanmedizin beschäftigen. Hier sind den Beteiligten die unter anderem durch das Gentechnikgesetz oder durch das Arzneimittel- und Medizinproduktegesetz gesetzten Grenzen weniger gut bekannt. Die Folge ist, dass sich in diesen – sicher in der Mehrheit der Fälle gut gemeinten – Projekten Strafbarkeitsrisiken ergeben.

NJW: Was ist das Ziel Ihres Forschungsprojekts?

Faltus: In unserem durch die Fritz Thyssen Stiftung geförderten Projekt fokussieren wir uns zum einen darauf, empirisch einen Überblick zu Citizen-Science-Projekten im Bereich der Humanmedizin zu bekommen. Und außerdem darauf, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu bestimmen. In diesem Bereich wird zuweilen auch von „Patient Citizen Science“ gesprochen. Zum Teil gehören hierher auch Aktivitäten im Zusammenhang mit dem stark wachsenden Feld des „Quantified Self“, auch als Self-Tracking bezeichnet, wenn die dabei gewonnenen Daten in die Diagnose oder in die Entwicklung von Therapien einfließen. Beispielsweise finden sich heute schon therapieorientierte Projekte im Zusammenhang mit der Diabetes-, der Antibiotika-, der Alzheimer-, der Mukoviszidoseforschung, der Erforschung der Multiplen Sklerose sowie der Erforschung des Fragilen-X-Syndroms. In den USA wurden sogar gentherapeutische Ansätze unter Verwendung der so genannten Genscheren des CRISPR/Cas-Systems außerhalb des institutionalisierten Wissenschafts- und Medizinbetriebs entwickelt und angewendet. Letztlich wollen wir mit unserem Projekt den Citizen Scientists im Bereich der Humanmedizin helfen, ihre Vorhaben rechtskonform zu gestalten.

NJW: Die Wissenschaftsfreiheit in Art. 5 III GG nennt ja nicht einmal einen Schrankenvorbehalt. Wo liegen auf verfassungsrechtlicher Ebene die Grenzen?

Faltus: Die Wissenschaftsfreiheit wird gerne und oft von Citizen Scientists genannt, um ihr Handeln zu rechtfertigen. Diese Argumentation greift aber zu kurz. Denn die Wissenschaftsfreiheit hat zwar keinen geschriebenen, also einfachen oder qualifizierten Schrankenvorbehalt; sie unterliegt aber den ungeschriebenen Schrankenvorbehalten. In Anbetracht der Einheit der Verfassung sind daher kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte die Grundlage für die Einschränkung von Grundrechten ohne geschriebene Schrankenklauseln. Das wird von den Bürgerwissenschaftlern zuweilen übersehen. Ersichtlich sollte das aber auch für diese dadurch werden, dass selbst ein Wissenschaftler an einer Universität unter Rückgriff auf die Wissenschaftsfreiheit nicht tun und lassen kann, was er bzw. sie will. Im Übrigen: Nicht alles, was von Citizen Scientists als „Wissenschaft“ oder „Forschung“ bezeichnet wird, ist auch eine solche im Rechtssinne. Beispielsweise ist davon auszugehen, dass das bloße Nacharbeiten von in Anleitungen beschriebenen Experimenten nicht in den Schutzbereich von Art. 5 III GG fällt. Dabei handelt es sich nämlich nicht um einen der Wissenschaft eigenen, auf einem gewissen Kenntnisstand aufbauenden ernsthaften und planmäßigen Versuch zur Ermittlung der Wahrheit. Sondern eher um eine Freizeitbeschäftigung, die allenfalls durch Art. 2 I GG, also die Allgemeine Handlungsfreiheit, geschützt sein kann. Citizen Science ist nun einmal kein Paralleluniversum, das ein eigenes Rechtssystem hat.

NJW: Darf man Laienforscher genauso strengen Regeln unterwerfen wie Profis?

Faltus: Wenn von der betreffenden Tätigkeit, unabhängig von wem sie ausgeführt wird, die gleiche Wirkung ausgeht, dann natürlich ja. Warum sollte einer der beiden gegenüber dem jeweils anderen juristisch privilegiert werden? Macht es einen Unterschied, ob ein „Professor Dr. Dr.“ der XY-Exzellenzuniversität bei der Kartierung von Schmetterlingen ohne Erlaubnis in fremde Gärten geht oder ob es sich dabei um einen Citizen Scientist handelt? Warum sollte ein Bürgerwissenschaftler ohne objektiv überprüfte Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich gentechnischer Arbeiten mehr dürfen als jemand, der einen Universitätsabschluss in Biologie mit Schwerpunkt Molekulargenetik hat? Eine andere Frage ist, wie interessierte Bürger unabhängig von ihrer Ausbildung in die Wissensgenerierung eingebunden werden können: Recht ist jedenfalls nicht dazu da, Menschen von der Wissenschaft auszuschließen.

NJW: Ist das – verglichen mit Hochschulen – eher ein Rand- oder ein Massenphänomen?

Faltus: Es gibt Bereiche, da können Sie ohne Citizen Scientists kaum etwas bewirken. Das betrifft beispielsweise Projekte, bei denen die institutionalisierte Wissenschaft auf helfende Hände bei der großflächigen Bestandsaufnahme von Pflanzen und Tieren angewiesen ist. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei aber nicht um eigenständige Wissenschaft, sondern um Hilfstätigkeiten nach Anleitung; so hart es klingt, zudem am besten durch Personen, die möglichst kein Geld für diese Unterstützung bekommen müssen. Bei manchen Themen findet aber durchaus eine Interaktion auf wissenschaftlichem Niveau statt. Das klassische Beispiel ist die Astronomie: Seitdem diese wissenschaftlich institutionalisiert ist, besteht ein Neben- und Miteinander von Universitätsastronomen mit Citizen Scientists, die hier traditionell „Amateure“ genannt werden – wobei der Begriff keinen Rückschluss auf die Fähigkeiten und Kenntnisse zulässt. Schauen Sie, wie viele Himmelsobjekte von Amateuren entdeckt worden sind: Dazwischen gibt es alle Abstufungen.

Dr. iur., Dipl.-Jur., Dipl.-Biol. Timo Faltus studierte Biologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt a. M. Im Biologiestudium spezialisierte er sich auf die Bereiche der molekularen Genetik und der Zellkultur. Im Jurastudium konzentrierte er sich auf Medizinrecht, Gen-/Biotechnologierecht, Umweltrecht sowie Gewerblichen Rechtsschutz. Später war er Stipendiat am Translationszentrum für Regenerative Medizin an der Universität Leipzig und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht von Prof. Dr. iur. Winfried Kluth an der Universität Halle-Wittenberg. In seiner interdisziplinären Dissertation hat er Verfahren artifizieller Erzeugung von Stammzellen untersucht.

Interview: Joachim Jahn.