NJW-Editorial
Grauzonen der Rechtsbeugung

Vor wenigen Wochen wurde ein Amtsrichter vom LG Erfurt gem. § 339 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, seine Zuständigkeit als Familienrichter manipuliert zu haben, um eine pandemiebedingte ­Maskenpflicht von Schulkindern richterlich zu unterbinden.

21. Sep 2023

Rechtsbeugungsurteile sind selten. Vereinzelt findet man Fälle wie etwa die Verheim­lichung von Untätigkeit eines Richters, die Fälschung von Aktenteilen, aber auch staatsanwaltschaftliche Ermittlung nach ideologischer Voreingenommenheit. Der Rechtsbeugungsvorsatz ist praktisch nicht nachzuweisen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH bedarf es eines elementaren Rechtsverstoßes, der die bewusste und schwerwiegende Entfernung von Recht und Gesetz zum Nachteil einer Partei offenbart. Unvertret­bare Entscheidungen genügen nicht. Fast immer durchlaufen die Verfahren alle Instanzen. Das liegt neben den extremen Vorsatzanforderungen auch daran, dass § 339 StGB zu den Verbrechen zählt und auf eine Verurteilung der Verlust des Richterstatus folgt.

Man muss weit zurückblicken, um historische Rechtsbeugungsurteile zu finden. So bestätigte der BGH entsprechende Verurteilungen von DDR-Richtern in Fällen, in denen Ausreisewillige nur deshalb verurteilt worden waren, weil sie an der Grenze ihre Pässe vorgelegt hatten mit der Aufforderung, ihnen die Ausreise zu gestatten. Rechtsbeugung bejahten die Richter auch bei Verurteilungen von DDR-Bürgern, die die Ständige Vertretung der Bundesrepublik mit dem Wunsch nach Ausreise aufgesucht hatten.

In diesem Zusammenhang ist auch der Umgang der bundesrepublikanischen Justiz mit Richtern erinnernswert, die neben dem Mörder und Präsidenten des Volksgerichtshofs Roland Freisler ihren Dienst taten. Verurteilt wurde keiner von ihnen: Freislers Bei­sitzer Hans-Joachim Rehse wurde zunächst nicht verfolgt, weil nicht nachgewiesen werden konnte, ob er für oder gegen ein Todesurteil gestimmt hatte. Das LG Berlin ver­urteilte ihn dann doch noch am 3.7.1967 wegen Beihilfe zum Mord in drei Fällen und Beihilfe zum versuchten Mord in vier Fällen zu fünf Jahren Zuchthaus. Der BGH hob dieses Urteil auf, weil die vom erkennenden Landgericht festgestellte „Rechtsblindheit“ und „Verblendung“ einem Rechtsbeugungsvorsatz entgegenstünden. Das LG Berlin sprach ihn anschließend frei: Es sei der Tatbestand der Feindbegünstigung erfüllt, die Beweisführung des Volksgerichtshofs habe sich aber „im Rahmen sachlicher Über­legungen gehalten“, und man könne Rehse nicht nachweisen, dass er Strafvorschriften bewusst unrichtig angewandt habe. Die Verhängung der Todesstrafe sei zwar objektiv rechtswidrig gewesen, sie habe jedoch der scharfen Bekämpfung der Wehrkraftzer­setzung durch den Volksgerichtshof entsprochen, der derartige Fälle in der Regel als ­todeswürdig angesehen habe. Das Urteil löste helle Empörung unter Studierenden aus. Bevor der BGH dieses erneut überprüfen konnte, starb Rehse.

Dr. Stefanie Schork ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht in Berlin.