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Nicola Quarz

Automatisierte Gesichtserkennung bedroht grundrechtliche Freiheit. Deshalb ist es auch aus verfassungsrechtlich bedenklich, wenn ein Abgeordneter des Bundestags sich in einem Unternehmen engagiert, das auf diesem grundrechtssensiblen Feld tätig ist.

19. Jun 2020

Automatisierte Gesichtserkennung bedroht grundrechtliche Freiheit. Ob von staatlicher oder privater Seite eingesetzt, bewirkt sie, verstärkt im Zusammenklang mit weiteren Techniken der Beobachtung und Überwachung und dem Einsatz „künstlicher Intelligenz“, massive Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und weitere Freiheitsgrundrechte. Sie zu schützen, ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Dies bedeutet einerseits, auf automatisierte Gesichtserkennung zugreifende Überwachungstechniken, wenn überhaupt, dann nur unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit einzusetzen, andererseits deren Einsatz von privater Seite in Wahrnehmung grundrechtlicher Schutzpflichten Grenzen zu ziehen.

Auch und gerade deshalb erscheint es auch aus verfassungsrechtlicher Sicht in hohem Maße als bedenklich, wenn Mandatsträger sich auf diesem grundrechtssensiblen Feld in potenzielle Abhängigkeiten begeben – konkret: wenn ein Abgeordneter des Bundestags sich nicht nur für, sondern auch in einem Unternehmen engagiert, das als Geschäftsmodell Software zur automatisierten Gesichtserkennung und zur künstlichen Intelligenz angibt, um dann für eben dieses Unternehmen Lobbyistenfunktionen wahrzunehmen. Dies gilt dann umso mehr, wenn das Unternehmen nicht im Geltungsbereich des Grundgesetzes und auch nicht dem des europäischen Rechts angesiedelt ist und der allenfalls legitimierende Aspekt der Wirtschaftsförderung schwerlich darstellbar ist.

Es ist nicht zuletzt dieser spezifische Unternehmensgegenstand, der möglichen Interessenkollisionen etwa in der Ausschussarbeit besondere verfassungsrechtliche Brisanz verleiht. Der einem Unternehmen der globalen Überwachungsindustrie verbundene Abgeordnete wird sich unweigerlich der Vermutung ausgesetzt sehen, Konflikte maßgeblich aus unternehmensnaher Sicht zu bewerten, sich der Faszination des technisch Machbaren nicht entziehen zu können.

Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht sollte dies Anlass geben, über Konsequenzen nachzudenken. Dies kann nicht bedeuten, berufliche Tätigkeiten des Abgeordneten neben seiner Mandatswahrnehmung generell etwa nach beamtenrechtlichen Grundsätzen zu begrenzen, zumal die Einbringung beruflicher Erfahrungen – so vorhanden – die parlamentarische Arbeit bereichern, der Vielfalt parlamentarischer Repräsentation durchaus förderlich sein kann. Sehr wohl aber würden erhöhte und spezifizierte Transparenzpflichten das Wählervertrauen ebenso stärken wie zum „entwickelten Verantwortungsbewusstsein“ (BVerfG NVwZ 2007, 916 [925]) der Abgeordneten beitragen.

Darüber hinaus wäre es auch mit der Freiheit des Mandats als einer pflichtgebundenen Freiheit nicht schlechthin unvereinbar, Ausschlusskriterien für bestimmte Tätigkeiten, etwa für sicherheitsrelevante Bereiche, zumindest mit Appellwirkung zu normieren, ohne dass damit bereits Sanktionen verbunden sein müssten. Dies allerdings würde erhebliche Reformbemühungen des Parlaments erfordern – eines Parlaments, das sich bisher beharrlich als unwillig gezeigt hat, sich selbst auf eine arbeitsfähige Größe zu begrenzen. •

Prof. Dr. Christoph Degenhart ist Professor für Staats- und Verfassungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig.