NJW-Editorial
Gleichberechtigung im Erwerbsleben
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Trotz mancher Verbesserungen durch die Gesetzgebung und die Rechtsprechung zur Entgelttransparenz spielen Geschlechtsunterschiede bei der Vergütung gleicher Arbeit noch immer eine Rolle. Ursächlich hierfür ist auch die unterschiedliche Verteilung der unentgeltlichen Sorgearbeit auf Frauen und Männer. Neben dem gender pay gap müsse daher auch der gender care gap in den Blick genommen werden.

22. Mrz 2023

Regelmäßig zum jährlichen Equal Pay Day, der dieses Jahr auch noch mit dem Inter­nationalen Frauentag zusammenfiel, wird die Schere zwischen weiblicher und männ­licher Vergütung beklagt, die sich ungeachtet aller rechtsstaatlicher Bemühungen nicht zu schließen vermag. Das BAG hat immerhin mit seiner Rechtsprechung zum Entgelttransparenzgesetz zu dessen Stärkung beigetragen, indem es die (höhere) Vergütung der anderen Geschlechtergruppe als Indiz einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung anerkannt hat. Mit seiner jüngsten Entscheidung vom 16.2.​2023 (8 AZR 450/21, ­becklink 2026156) hat es zudem deutlich gemacht, dass ein besseres Geschick in den Gehaltsverhandlungen das Indiz einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung nicht zu beseitigen vermag. Dies verwundert kaum, sind doch Arbeitgeberinnen und Arbeit­geber unabhängig von dem Verhandlungstalent der Arbeitsplatzbewerber verpflichtet, ihre Vergütungssysteme so auszugestalten, dass eine geschlechtsbezogene Benach­teiligung nicht nur möglichst vermieden wird, sondern – Achtung! – ausgeschlossen ist.

Bestürzend genug daher, dass Geschlechtsunterschiede bei der Vergütung gleicher ­Arbeit noch immer eine Rolle spielen. Ihre Beseitigung mag durch die bevorstehende Verabschiedung der EU-Richtlinie zur Stärkung der Entgelttransparenz weiter unterstützt werden; zwei wesentliche Ursachen des gender pay gap werden dadurch allerdings auch weiterhin nicht beeinflusst – zum einen die Tatsache, dass auch tarifliche Vergütungssysteme klassisch weiblich geprägte Tätigkeiten strukturell geringer bewerten, und zum anderen die noch immer unzureichende Vereinbarkeit von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit. Dabei wäre der weitere Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten, den Hubertus Heil jüngst angekündigt hat, sicher eine gute Idee. Doch bedarf es weiterer Schritte, um auch den gender care gap, mit dem die unterschiedliche Verteilung der unentgeltlichen Sorgearbeit auf Frauen und Männer bezeichnet wird und der erheblich zu dem gender pay gap beiträgt, zu schließen. So lange es innerhalb der Familie ein Akt wirtschaftlicher Vernunft ist, die Wahrnehmung der unentgeltlichen ­Sorgearbeit überwiegend dem geringer verdienenden, in der Regel weiblichen Elternteil zuzuweisen, wird echte Gleichberechtigung im Erwerbsleben nicht erreicht werden.

Der Rat der Europäischen Union hat die Mitgliedstaaten bereits Ende 2020 aufgefordert, größere Anstrengungen zu unternehmen, um die ausgewogene Aufteilung von ­bezahlter Arbeit und unbezahlter Betreuungsarbeit zwischen Frauen und Männern weiterzuentwickeln und Maßnahmen zu ergreifen, um die Wertschätzung der unbezahlten Betreuungsarbeit sicherzustellen. Was hält uns also davon ab, darüber nachzudenken, wie Sorgearbeit angemessener vergütet und echte Anreize dafür gesetzt werden können, dass Eltern diese unabhängig von ihrem Einkommen gleichmäßig untereinander aufteilen können?

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Dr. Nathalie Oberthür ist Fachanwältin für Arbeitsrecht in Köln ​sowie Mitherausgeberin der NJW.