Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 20/2020 vom 02.10.2020
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Sachverhalt
Für den Betroffenen ist eine Betreuung eingerichtet, deren Aufgabenkreis alle Angelegenheiten umfasst. Der Betreuer hat die Genehmigung einer zahnärztlichen Zwangsbehandlung unter Vollnarkose beantragt. Das AG hat den Antrag auf Genehmigung der Zwangsbehandlung zurückgewiesen.
Dagegen hat der Betroffene selbst Beschwerde eingelegt und für das Beschwerdeverfahren Vkh beantragt. Das LG hat den Vkh-Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie weder zulässig noch begründet sei. Mangels Beschwerdeberechtigung sei die Beschwerde des Betroffenen als unzulässig zu verwerfen. Durch die Ablehnung einer Zwangsbehandlung sei der Betroffene nicht in eigenen Rechten gem. § 59 FamFG verletzt. Denn ein Recht des Betroffenen auf Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit gegen seinen Willen gebe es im deutschen Recht nicht. Sein Recht auf körperliche Unversehrtheit sei durch die Ablehnung der Genehmigung nicht verletzt. Daher stehe gegen die Ablehnung der Genehmigung nur dem Betreuer, nicht aber dem Betroffenen oder dem Verfahrenspfleger ein Beschwerderecht zu. Die Beschwerde habe zudem auch keine Aussicht auf Erfolg, da eine Genehmigung der zahnärztlichen Zwangsbehandlung nach § 1906 a I 1 Nr. 3 BGB zu Recht verweigert worden sei, weil der insoweit maßgebliche Wille des Betroffenen nicht positiv festgestellt werden könne.
Das LG hat im zugleich entschiedenen Verfahren über die Beschwerde die Rechtsbeschwerde nach § 70 II 1 Nr. 1 FamFG zugelassen, weil nach seiner Auffassung die Anwendung des § 1906a I 1 Nr. 3 BGB eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwerfe, die höchstrichterlich noch nicht geklärt wurde. Im Hinblick darauf hat es auch im Vkh-Verfahren die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Entscheidung
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der BGH den Beschluss des LG aufgehoben und dem Betroffenen unter Beiordnung eines Rechtsanwalts ratenfreie Vkh für das Beschwerdeverfahren gewährt.
Zulassung der Rechtsbeschwerde hätte nicht erfolgen dürfen, ist aber bindend
Die Rechtsbeschwerde sei nach § 76 FamFG, § 574 I Nr. 2 ZPO wegen ihrer Zulassung durch das LG statthaft und auch iÜ zulässig. Allerdings sei die Zulassung rechtsfehlerhaft, weil im Vkh-Verfahren nach stRspr des BGH die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 II ZPO nur in Betracht komme, wenn es um Fragen des Verfahrens der Vkh oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung gehe. Hänge die Bewilligung der Vkh dagegen aus der Sicht des Beschwerdegerichts allein von der Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ab, dürfe die Rechtsbeschwerde insoweit nicht zugelassen werden. Doch sei der Senat gem. § 574 III 2 ZPO an die Zulassung gebunden.
Vkh musste wegen der vom LG angenommenen grundsätzlichen Bedeutung bewilligt werden
Die Rechtsbeschwerde sei auch begründet. Die vom Beschwerdegericht gegebene Begründung trage die Versagung der Vkh nicht. Das Beschwerdegericht sei – wie weiter ausgeführt wird – zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Betroffenen die Beschwerdebefugnis für die Erstbeschwerde fehle. Zudem dürfe die Prüfung der Erfolgsaussicht nach der Rspr. des Senats nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Vkh zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Vkh-Verfahren wolle den Rechtsschutz, den das Rechtsstaatsprinzip erfordere, nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen. Sei das Beschwerdegericht daher, wie hier, der Auffassung, dass die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung von der Klärung einer höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage abhängen, müsse es dem Beschwerdeführer beim Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen insoweit Vkh bewilligen, und zwar auch dann, wenn das Beschwerdegericht die Auffassung vertrete, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Beschwerdeführers zu entscheiden sei. Danach habe das Beschwerdegericht dem Betroffenen Vkh für das Beschwerdeverfahren vorliegend nicht versagen dürfen, nachdem es im Hauptsacheverfahren die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen habe.
Da die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Vkh vorlägen, könne der Senat in der Sache selbst entscheiden.
Praxishinweis
1. Für den Anwendungsbereich des FamFG ist darauf hinzuweisen, dass sich die Anfechtung von Nebenentscheidungen regelmäßig nicht nach den Rechtsmittelregelungen des FamFG (§§ 58 ff. FamFG), sondern aufgrund ausdrücklicher Verweisung nach den Vorschriften der ZPO richtet. So richtet sich gem. § 76 II FamFG auch die Anfechtung eines Vkh-Beschlusses nach der ZPO (im besprochenen Fall: nach den §§ 574 ff. ZPO), während sich im besprochenen Fall die Anfechtung der Beschwerdeentscheidung in der Hauptsache nach den §§ 70 ff. FamFG richtet.
2. Die in der besprochenen Entscheidung angesprochenen Grundsätze gelten gleichermaßen für Vkh- und Pkh-Verfahren. Danach gilt, dass klärungsbedürftige Rechtsfragen nicht im Vkh-/Pkh-Verfahren geklärt werden dürfen, sondern dem Hauptsacheverfahren zu überlassen sind. Hängt aus Sicht des entscheidenden Gerichts der Erfolg einer Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung von der Beantwortung einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage ab, muss daher – wenn die erforderlichen persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen – Vkh/Pkh für das Hauptsacheverfahren (ggf. bis zur Herbeiführung einer höchstrichterlichen Klärung) gewährt werden; keinesfalls darf mit Blick auf die Rechtsfrage Vkh/Pkh versagt und zur weiteren Klärung im Vkh/Pkh-Verfahren ein Rechtsmittel zugelassen werden.