Gesetzgebung folgt ihren eigenen Regeln. Manchmal muss es schnell gehen. Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder fassten am 13. Dezember des vergangenen Jahres den Beschluss: "Für Gewerbemiet- und Pachtverhältnisse, die von staatlichen Covid-19-Maßnahmen betroffen sind, wird gesetzlich vermutet, dass erhebliche (Nutzungs-)Beschränkungen in Folge der Covid-19-Pandemie eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen können. Damit werden Verhandlungen zwischen Gewerbemietern bzw. Pächtern und Eigentümern vereinfacht." Hieraus ist bereits - die Pandemie mahnt zur Eile - ein Gesetz geworden. Am 1. Januar 2021 in Kraft getreten ist Art. 240 § 7 EGBGB, der eben die angekündigte Vermutungsregelung zu § 313 BGB enthält.
Hilft diese tatsächlich, die Frage zu klären und die Verhandlungen zu vereinfachen? Sicherlich nicht. Die Regelung ist schon insoweit überraschend, als dass erste Rechtsprechung der Pandemie auch da eine wesentliche Änderung der Geschäftsgrundlage angenommen hat, wo sie nicht zur Anpassung kam (LG Heidelberg, Urt. v. 30.7.2020 - 5 O 66/20, BeckRS 2020, 19165; LG München II, Endurt. v. 6.10.2020 - 13 O 2044/20, BeckRS 2020, 34263) Entscheidungen, die explizit gesagt hätten, durch die Pandemie hätte keine Änderung der Geschäftsgrundlage stattgefunden, finden sich demgegenüber nicht. Wenn ein Anspruch abgelehnt wird, dann aus Gründen der fehlenden Unzumutbarkeit (zuletzt LG Stuttgart, Urt. v. 19.11.2020 - 11 O 215/20, BeckRS 2020, 32275).
Daran wird sich auch nichts ändern. Vermutet wird die schwerwiegende Änderung eines zur Geschäftsgrundlage gehörenden Umstands. Hierüber wird meist schon gar kein Streit bestehen und noch seltener wird es ein non-liquet geben. Die Beweisschwierigkeiten, die Voraussetzung für die Anwendbarkeit einer Vermutungsregel ist, bestehen aber bei diesem Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage regelmäßig nicht. Sollte es doch einmal anders sein, wird es dem Vermieter meist gelingen, den Beweis des Gegenteils zu führen und nachzuweisen, dass die durchgängige Nutzbarkeit nicht Geschäftsgrundlage war, oder eben die Einschränkung der Nutzung nicht schwerwiegend im Hinblick auf die vertragliche Äquivalenz.
Meist wird aber vor allem oder sogar nur die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag streitig sein. Auf diese Frage bezieht sich die Vermutung aber gar nicht. Vermutet wird eben nur, dass sich Geschäftsgrundlage geändert hat, nicht aber die Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag.
Welchen Sinn will man der neuen Norm also geben? Sinn würde sein nur ergeben, wenn sie abweichend vom Wortlaut auch die Risikozuordnung mit in die Vermutung aufnehmen würde. Doch fällt es schwer, dann zu sagen, was die konkrete Folge wäre, und wie die Vermutung dann widerlegt werden könnte: Eine vermutete Risikozuordnung könnte nur durch die vertragliche Risikozuordnung widerlegt werden. Die aber ist offensichtlich bei Lektüre des Vertrags. Was soll die Vermutungsregel dann?
Es ist offensichtlich: Hier wollte man etwas regeln, nachdem wenige Wochen zuvor ein sehr weitgehender Antrag der Opposition zurecht abgelehnt wurde. Und man wann wollte halt irgendwas regeln, um deutlich zu machen, dass man sich des Problems annehmen will. Art. 240 § 7 EGBGB ist ein legislativer Griff ins Leere. Warten wir ab, was die Gerichte daraus machen werden. Die Koalitionsparteien hatten seinerzeit vor "Schaufensterpolitik" gewarnt und damit im Rechtsausschuss den Vorschlag der Grünen zurückgewiesen (BT-Drs. 19/24501, S. 5). Haben wir nun genau das? Mehr dazu in NZM 2021, 5.