Urteilsanalyse
Gerichtsstandsbestimmung nach Klagerücknahme
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Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO kommt nach einem Beschluss des BGH nicht mehr in Betracht, wenn die Klage vollständig zurückgenommen wurde. Dies gilt auch dann, wenn noch eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO zu treffen ist.

10. Mai 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 09/2023 vom 05.05.2023

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Sachverhalt

Der vor dem LG Baden-Baden aus einer Bürgschaft in Anspruch genommene (Drittwider-)Kläger hat auf Freistellung gerichtete isolierte Drittwiderklage gegen die in Potsdam ansässigen (Drittwider-)Beklagten erhoben. Das LG Baden-Baden hat die isolierte Drittwiderklage abgetrennt und den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das LG Potsdam verwiesen. Dieses hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und an das LG Baden-Baden zurückverwiesen, das die Übernahme des Verfahrens ebenfalls abgelehnt und eine Bestimmung des Gerichtsstands durch das OLG Karlsruhe veranlasst hat. Der Kläger hat die isolierte Drittwiderklage in der Folgezeit durch Schriftsatz an das LG Baden-Baden zurückgenommen; eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO ist bislang (infolge der Verweisungen) noch nicht ergangen. Das OLG hat das Verfahren dem BGH vorgelegt, weil es vom Beschluss des OLG Brandenburg, BeckRS 2000, 7460, das entschieden hat, eine Klagerücknahme stehe einer Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Beschluss nach § 269 Abs. 3 ZPO noch ausstehe, abweichen wolle (§ 36 Abs. 3 ZPO).

Entscheidung

Der BGH hat die Sache an das LG Baden-Baden zurückgegeben. Zwar sei die Vorlage zulässig, doch seien die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht mehr gegeben.

Klagerücknahme führt zur Unzulässigkeit der Gerichtsstandsbestimmung; daran ändert auch die noch fehlende Kostenentscheidung nichts

Der Kläger habe die Drittwiderklage wirksam vor einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen; das LG Baden-Baden sei hierfür der richtige Adressat gewesen, weil bei ihm die Hauptsache nach der Verweisung durch das LG Potsdam anhängig gewesen sei, woran sich auch durch die Ablehnung der Übernahme und Vorlage an das OLG nichts geändert habe. Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sei nur zulässig, solange noch gerichtliche Entscheidungen durch das in der Hauptsache zuständige Gericht zu treffen seien und komme daher dann nicht mehr in Betracht, wenn die Klage vollständig zurückgenommen worden sei. Hier stehe zwar noch der Beschluss nach § 269 Abs. 3 ZPO aus, doch sei dieser grundsätzlich von dem Gericht zu treffen, bei dem die Hauptsache zum Zeitpunkt der Klagerücknahme anhängig gewesen sei, unabhängig davon, ob dieses Gericht auch für die Entscheidung über die zurückgenommene Klage zuständig sei. Die Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO richte sich idR allein nach formellen Kriterien; soweit eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen gem. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO angestrebt werde, gelte nichts anderes, denn auch dann gehe es nicht um eine verbindliche Entscheidung über die frühere Zulässigkeit und Begründetheit der Klage, sondern um eine an Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Billigkeit orientierte Entscheidung über die Kosten, wie sie nach § 91a ZPO auch nach einer beiderseitigen Erledigungserklärung zu treffen sei.

Auch eine deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung entspr. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist nicht veranlasst

Eine Gerichtsstandbestimmung sei auch nicht in analoger Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO veranlasst. Zwar sei im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit regelmäßig eine deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung entspr. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dann geboten, wenn die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertige, dass eine baldige Beilegung des Zuständigkeitsstreits nicht erwartet werden könne. Hierfür bestünden aber keine Anhaltspunkte, weil die Klage erst nach Einleitung des Verfahrens zur Gerichtsstandbestimmung zurückgenommen worden sei und nicht angenommen werden könne, dass das LG Baden-Baden trotz der neu eingetretenen Prozesssituation eine Übernahme weiterhin ablehnen werde.

Praxishinweis

Die Entscheidung lehrt zwei Dinge:

1. Die Klagerücknahme ist stets dem Gericht gegenüber zu erklären, bei dem die Sache anhängig ist (LS 2). Dies gilt etwa im Instanzenzug, so dass bei Anhängigkeit in einer Rechtsmittelinstanz die Klagerücknahme nicht gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht, sondern gegenüber dem Rechtsmittelgericht zu erklären ist (zur wirksamen Vertretung einer gegenüber dem BGH zu erklärenden Klagerücknahme vgl. BGHZ 14, 210 (211 f.) = NJW 1954, 1405; BGH NJW-RR 2010, 934 Rn. 11; 2015, 2193 mAnm Toussaint FD-ZVR 2015, 370248). Wie der besprochene Fall zeigt, gilt dies aber auch dann, wenn das Gericht, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, nicht zuständig ist bzw sich nicht als zuständig ansieht. Im besprochenen Fall war die Sache infolge des (Zurück-)Verweisungsbeschlusses des LG Potsdam bei dem LG Baden-Baden (wieder) anhängig geworden; dessen Ablehnung der Übernahme änderte an dieser Anhängigkeit ebenso wenig wie die Vorlage an das OLG (bei dem damit nur die Zuständigkeitsfrage anhängig geworden ist) nichts.

2. Mit der vollständigen Klagerücknahme kommt eine Zuständigkeitsbestimmung nicht mehr in Betracht (LS 1). Das Gericht, bei dem der Rechtsstreit zum Zeitpunkt der Klagerücknahme anhängig war, kann die Sache auch nicht etwa weiterverweisen. Dies gilt insbes. auch für eine noch zu treffende Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO, diese ist vielmehr von dem – ggf. für die Hauptsache unzuständige – Gericht zu treffen, bei dem die Sache zum Zeitpunkt der Klagerücknahme anhängig war.

BGH, Beschluss vom 14.03.2023 - X ARZ 586/22 (OLG Karlsruhe), BeckRS 2023, 8347