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Gerichtsöffentlichkeit in Zeiten der Pandemie
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© Sebastian Gollnow / dpa
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In diesen Tagen nehmen viele Gerichte ihre Arbeit vor Ort Schritt für Schritt wieder auf. Doch Maskenpflicht, Plexiglasscheiben vor der Richterbank und strenge Vorgaben zum Lüften von Sitzungssälen deuten darauf hin, dass der Prozessbetrieb mit dem Gerichtsalltag vor Covid-19 auf lange Zeit nicht vergleichbar sein wird. Daher ist es erst einmal eine gute Nachricht, dass derzeit an einem Epidemiegerichtsgesetz gearbeitet wird.

29. Mai 2020

Mit dem bisher unveröffentlichten Gesetzentwurf aus Schleswig-Holstein, über den verschiedene Medien berichtet haben, sollen offenbar insbesondere die Möglichkeiten ausgeweitet werden, per Videokonferenz zu verhandeln. Betrüblich stimmt indes, dass der Gesetzentwurf auch Möglichkeiten enthalten soll, die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen einzuschränken. Überraschend ist das allerdings nicht: Auch der Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Funktionsfähigkeit speziell der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit während der Epidemie sollte zunächst zusätzliche Gründe für einen Ausschluss der Öffentlichkeit normieren (NJW-aktuell H. 20/2020, 3). Ein Sprecher von Justizminister Claus Christian Claussen (CDU) sagte der NJW, der Entwurf werde derzeit noch intern abgestimmt.

Einbahnstraße Richtung Einschränkung


Bislang hat der deutsche Gesetzgeber über Gerichtsöffentlichkeit in Zeiten der Pandemie nur in eine Richtung nachgedacht – in Richtung ihrer Einschränkung. Dass die neuen Gegebenheiten aber nicht nur besondere Anstrengungen zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege fordern, sondern auch im Hinblick auf die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen, hatte er noch nicht im Blick. Anders verhält es sich insbesondere im angloamerikanischen Ausland. So gab der US Supreme Court pandemiebedingt seine Aversion gegen Übertragungen seiner Verhandlungen auf. Während Kameras in vielen US-Gerichten seit dem Grundsatzurteil Chandler v. Florida von 1981 präsent sind, ließ der Oberste Gerichtshof seine Verhandlungen bisher nur im Ton aufzeichnen und die Aufnahmen später auf seiner Website hochladen. Nun richtete er erstmals einen Livestream ein, über den die Telefonkonferenz zwischen den Richtern und Anwältinnen, die an die Stelle der Präsenzverhandlung getreten war, verfolgt werden konnte.

Ein anderes Anschauungsbeispiel liefert das Vereinigte Königreich. Schon dessen Coronavirus Act 2020 aus dem März enthielt Möglichkeiten, die Öffentlichkeit in virtuellen Gerichtsverhandlungen sicherzustellen. Wird ein Prozess per Audio- oder Videokonferenz durchgeführt, kann das betroffene Gericht danach anordnen, dass diese Konferenz öffentlich übertragen wird. Rechtspolitiker der Labour-Partei forderten jüngst sogar, mit wenigen Ausnahmen alle Verhandlungen britischer Gerichte in Echtzeit zu übertragen. Livestreams dieser Art gibt es bisher nur am UK Supreme Court und in einzelnen Verhandlungen des Court of Appeal.

Kontrolle der Justiz

Diesem weitreichenden Vorschlag sollte der deutsche Gesetzgeber zwar nicht nacheifern. Eine so umfassende Öffnung der Gerichtssäle für Kameras und Mikrofone sollte sorgfältiger vorbereitet werden, als es die aktuellen Umstände erlauben. Der Vorstoß der Labour-Politiker kann jedoch insofern als Vorbild dienen, als sie sich überhaupt mit der Frage auseinandersetzen, wie in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und Abstandsgebot eine Gerichtsöffentlichkeit hergestellt werden kann, die diesen Namen auch verdient. Die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen ist ein demokratisches und rechtsstaatliches Gebot, das derzeit so relevant ist wie lange nicht mehr in seiner rund 150-jährigen Geschichte. Das betrifft insbesondere die dadurch ermöglichte Kontrolle der Gerichte. Angesichts der aktuellen, beispiellosen Grundrechtsbeschränkungen durch Exekutive und Legislative muss die Judikative, die diese beiden Gewalten kontrollieren soll, dabei ihrerseits von der Allgemeinheit überwacht werden können.

Möglich ist dies durchaus auch unter den Bedingungen des Physical Distancing – der Digitalisierung sei Dank. Weshalb nicht wie am US und UK Supreme Court einen Livestream aus den obersten Bundesgerichten einrichten? Und in den unteren Instanzen wenigstens akkreditierten Medienschaffenden die Möglichkeit einräumen, sich in eine Verhandlung per Videokonferenz einzuwählen? Der Fantasie des Gesetzgebers sind keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist allein, dass sich seine Bemühungen nicht mehr nur darauf richten, die Bürger aus den physischen Gerichtssälen fernzuhalten – sondern ebenso darauf, sicherzustellen, dass sie ihre Aufgabe als kontrollierende Öffentlichkeit auch aus der Ferne wahrnehmen können. •

Dr. Anna K. Bernzen ist Rechtsreferendarin in Frankfurt a.M.