Anmerkung von
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 18/2021 vom 03.09.2021
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Sachverhalt
Das AG Mainz weist eine von K erhobene Anfechtungsklage ab. Das Urteil wird K am 22.1 zugestellt. In der Rechtsmittelbelehrung wird das LG Mainz als zuständiges Berufungsgericht bezeichnet. Dorthin richtet K seine Berufung und begründet diese. Das LG Mainz weist am 22.4 darauf hin, dass die Rechtsmittelbelehrung falsch und das LG Koblenz das zuständige Berufungsgericht sein dürfte. K solle kurzfristig mittteilen, ob das Berufungsverfahren dorthin abgegeben werden solle. Mit Schriftsatz vom 23.4 beantragt K vor diesem Hintergrund die Verweisung an das LG Koblenz. Die Akte geht dort allerdings erst am 10.6 ein. Das LG Koblenz verwirft die Berufung anschließend als unzulässig. K sei auch keine Wiedereinsetzung zu gewähren. Denn K habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass das LG Mainz die Akte innerhalb der am 6.5 endenden Wiedereinsetzungsfrist weiterleiten werde. Dagegen wendet sich K mit der Rechtsbeschwerde. Ohne Erfolg.
Entscheidung: K ist keine Wiedereinsetzung zu gewähren!
Das LG Koblenz habe die Wiedereinsetzung rechtsfehlerfrei versagt. Der Prozessbevollmächtigte des K habe ich nicht darauf vertrauen dürfen, dass das LG Mainz das Verfahren so rechtzeitig abgeben wird, dass die Akte vor Ablauf des 6.5 beim LG Koblenz eintrifft.
Der gerichtlichen Fürsorgepflicht seien im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz enge Grenzen gesetzt. Nur unter besonderen Umständen könne ein Gericht gehalten sein, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. So dürfe es nicht sehenden Auges zuwarten, bis die Partei Rechtsnachteile erleide (Hinweis ua auf BGH NJW-RR 2012, 1269 Rn. 13). Deshalb dürfe ein Rechtssuchender darauf vertrauen, dass ein mit der Sache bereits befasstes Gericht einen bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten werde. Gehe der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, dürfe die Partei auch darauf vertrauen, dass er noch fristgerecht bei dem Rechtsmittelgericht eingehe. Geschehe dies nicht, sei der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruhe (Hinweis ua auf BGH BeckRS 2015, 18256 Rn. 7 = FD-ZVR 2015, 373663 mAnm Elzer).
Solche besonderen Umstände seien im Fall aber nicht gegeben. Das LG Mainz habe K’s Schriftsatz vom 23.4 nicht entnehmen können, dass dieser eine fristgebundene Entscheidung des LG Koblenz herbeiführen wollte. Der Schriftsatz habe weder ein an das LG Koblenz gerichteten Wiedereinsetzungsantrag enthalten noch sei die Eilbedürftigkeit der Abgabe durch andere Ausführungen erkennbar gewesen. Infolgedessen sei für das LG Mainz nicht ersichtlich gewesen, dass die Abgabe (auch) der Wahrung der Wiedereinsetzungsfrist habe dienen sollen.
Praxishinweis
Wird ein fristgebundener Rechtsmittelschriftsatz irrtümlich beim falschen Gericht eingereicht und kann dieses seine Unzuständigkeit „ohne Weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ erkennen, ist der fehlgeleitete Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geschieht dies nicht, geht die nachfolgende Fristversäumnis nicht zu Lasten des Rechtsuchenden, wenn und soweit die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang für eine Fristwahrung ausgereicht hätte (exemplarisch etwa BGH BeckRS 2015, 18256 Rn. 7). Eine der Kardinalfragen bei dieser Rechtsprechung ist neben den Fragen, wer wohl wann was erkennen kann, wie früh die Rechtsmittelschrift beim falschen Gericht eingehen muss, damit man auf eine Weiterleitung vertrauen darf. Das BVerfG hat das bei einer Zeitspanne – berechnet von Eingang der Rechtsmittelschrift bis zum Ablauf der Rechtmittelfrist – von 9 Tagen bejaht (BVerfG NJW 2005, 2137), eine Zeitspanne von 5 Tagen aber als zu kurz angesehen (BVerfG NJW 2001, 1343). Der BGH sah 3 Tage als zu kurz an (BGH NJW 2008, 1890 Rn. 14) und mehr als 3 Wochen als ausreichend (BGH BeckRS 2015, 18256 Rn. 7).
In einem aktuellen Fall ging es um 13 Tage. Die Ausführungen überzeugen an dieser Stelle nicht vollständig. Denn das angerufene LG wusste um seine Unzuständigkeit und hatte das dem Kläger auch gesagt. Als dieser um die Abgabe bat, hätte das angerufene LG nicht zögern dürfen. Der Zeitraum von 13 Tagen dürfte für einen Aktentransport zwischen Mainz und Koblenz ausreichend gewesen sein. Folgt man indes dem BGH, hätte sich Prozessbevollmächtigte sofort direkt an das für die Wiedereinsetzung und die Berufung zuständige LG Koblenz wenden und die erforderlichen Anträge dort stellen müssen. Aber: was nutzt dann noch die Weiterleitung?
BGH, Beschluss vom 01.07.2021 - V ZB 71/20, BeckRS 2021, 22084