NJW-Editorial
Gemäß „des“ BGB?
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Manches entdeckt man nur zufällig, etwa im Wortlaut des neuen § 327t BGB: „Auf Verträge zwischen Unternehmern, die der Bereitstellung digitaler Produkte gemäß der nach den §§ 327 und 327a vom Anwendungsbereich des Untertitels 1 erfassten Verbraucherverträge dienen, sind ergänzend die Vorschriften dieses Untertitels anzuwenden.“ Natürlich muss es nach deutscher Standardsprache im Dativ Plural „gemäß den“ heißen. Insbesondere Juristen sollten wissen, dass die typisch juristischen Präpositionen gemäß, laut und entsprechend den Dativ und nicht den Genitiv verlangen.

30. Jun 2022

Selbstverständlich entwickelt sich die Sprache weiter. Ebenso ist nicht zu übersehen, dass eine Genitivverwendung bis in seriöse Medien hinein vorkommt, weshalb selbst der Duden formuliert: „Präposition mit Dativ, selten mit Genitiv.“ Der Duden bildet aber bekanntlich nur ab und ist ohnehin nicht verbindlich; standardsprachlich bleibt, wie einschlägige Grammatiklehrbücher bestätigen, der Dativ richtig.

Zudem sollte das Gebot der Einheitlichkeit der Gesetzessprache bedacht werden. So lässt sich die bemerkenswerte Zahl von über 44.000 deutschen und europäischen ­Normen ermitteln, in denen gemäß zutreffend mit dem Dativ verwandt wird, darunter bezeichnenderweise 26 Vorschriften des EGBGB und seiner Anhänge, also des Ge­setzes, welches das BGB einführt. Die Gegenbeispiele mit Genitiv bewegen sich im Ein-Prozent-Bereich (447), wobei man wiederum darüber streiten mag, ob das beruhigend oder schlimm genug oder beides zugleich ist. Gleichviel, die Rechtssprache sollte jedenfalls einheitlich bleiben, und wenigstens das BGB könnte man doch von derartigen Fehl­griffen verschonen.

Strebt man nach sprachlicher Modernisierung, bietet sich viel eher an, die im BGB in fünf nach wie vor anwendbaren Vorschriften (§§ 645, 755, 1011, 1288, 2188) benutzte Wendung „in Gemäßheit des …“ (hier stimmt der Genitiv) durch das zeitgemäße und zugleich schlichtere „gemäß“ zu ersetzen. „In Gemäßheit des“ erscheint als ein Relikt aus der Zeit des verschwurbelten Kanzleideutschs, von dem man getrost Abschied nehmen kann, da gemäß den obigen Ausführungen ein ohne Präzisionsverlust verwendbarer ­Ersatzbegriff verfügbar ist. Auch die jüngste Änderung des § 1288 BGB (in Kraft ab 1.1.2023) hält demgegenüber an der bisherigen Formulierung fest.

Bedenklich bleibt zudem, was all dies über den Gesetzgebungsprozess aussagt. An­scheinend ist der Fehler weder im Justizministerium noch parlamentarisch aufgefallen – oder noch schlimmer: es ist jemandem aufgefallen, es war aber der betreffenden Person gleichgültig oder sie wurde mit ihrem Hinweis ignoriert. Man muss nicht gleich eine Initiative zur Bekämpfung des Genitivabusus in der Rechtssprache ins Leben rufen. Mehr sprachliche Sorgfalt täte aber doch Not.

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Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Pfeiffer ist Direktor des Instituts für ausländisches und internationales​Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg.