Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 05/2022 vom 11.03.2022
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Sachverhalt
Vermieter K klagt gegen Mieter B auf rückständige Miete und Nutzungsausfall iHv von 48.772 €. B behauptet, K sei bestimmten Verpflichtungen nicht nachgekommen. Hilfsweise erklärt er die Aufrechnung mit Ersatzansprüchen. Das LG weist die Klage ab, weil K‘s Forderungen durch die Hilfsaufrechnung vollständig erloschen seien. Auf die Berufung verurteilt das OLG den B hingegen antragsgemäß. Die Aufrechnung sei nicht begründet. Diese Sichtweise offenbart das OLG dem B erstmals in der mündlichen Verhandlung. Gegen dieses Vorgehen wendet sich B. Mit Erfolg.
Entscheidung: Das OLG hat das rechtliche Gehör des B verletzt!
Eine in erster Instanz siegreiche Partei dürfe darauf vertrauen, vom Berufungsgericht einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen wolle und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich halte. Der Hinweis müsse so rechtzeitig erteilt werden, dass der Berufungsbeklagte noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagieren könne. Erteile das Berufungsgericht den Hinweis entgegen § 139 IV ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, müsse es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Sei offensichtlich, dass sich die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären könne, müsse das Gericht, wenn es nicht ins schriftliche Verfahren übergehe, die mündliche Verhandlung auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Hinweis auf BGH NJW-RR 2020, 574 Rn. 9 = FD-ZVR 2020, 428244 mAnm Toussaint). Gegen diese Pflichten habe das OLG verstoßen. Es habe den in erster Instanz hinsichtlich der Hilfsaufrechnung siegreichen B erst in der mündlichen Berufungsverhandlung darauf hingewiesen, dass seine Aufrechnung erfolglos bleibe.
Praxishinweis
Der BGH entnimmt Art. 103 I GG, dass eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen darf, vom Berufungsgericht einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und auf Grund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält; der Hinweis muss dabei – wie auch der Entscheidung zu entnehmen ist – grundsätzlich so rechtzeitig erteilt werden, dass der Berufungsbeklagte noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagieren kann (vgl. nur BGH NJW-RR 2020, 121 Rn. 7; BGH NJW 2018, 2202 Rn. 8; BGH NJW-RR 2014, 177 Rn. 8).
BGH, Beschluss vom 12.01.2022 - XII ZR 26/21, BeckRS 2022, 2092