Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Böhm, Ignor & Partner GbR, Berlin
Aus beck-fachdienst Strafrecht 05/2021 vom 04.03.2021
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Sachverhalt
Eine Influencerin bot auf ihrem Instagram-Account Behandlungen mit Hyaluronsäure an, ohne über die hierfür erforderliche Zulassung als Heilpraktikerin zu verfügen. Im Rahmen dieser illegalen Schönheitsbehandlungen unterspritze die Frau zwischen September 2016 und April 2019 bei 33 Kundinnen deren Nasen oder Nasolabialfalten bzw. deren Lippen mit Hyaluronsäure. Aufgrund einer fehlerhaften Anwendung kam es dabei in neun Fällen zu der Bildung von Knötchen oder Knubbeln in der Lippe der Betroffenen. Das LG wertete dieses Vorgehen ua als gefährliche Körperverletzung in 33 Fällen, §§ 223, 224 Abs. 1 Nrn. 2, 5 StGB.
Nach sachverständiger Beratung durch eine Fachärztin für plastische und ästhetische Chirurgie stellte es insbesondere fest, dass „eine intravasale Injektion - versehentlich in ein Gefäß - mit der Folge von Gefäßverschlüssen und Gewebeuntergang […] selten, […] aber im Einzelfall schwerwiegende Komplikationen nach sich ziehen (kann) bis hin zur Erblindung und zum Schlaganfall“, wobei dieses Risiko vornehmlich bei der Behandlung der Nase und Nasolabialfalte besteht. Die Unterspritzungen wären deshalb, obschon gravierende Komplikationen (Erblindung, Schlaganfall) sehr selten sind, jedenfalls generell geeignet gewesen das Leben der Patientinnen zu gefährden.
Gegen dieses Urteil legte die Frau Revision ein und rügte die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidung
Die zulässige Revision hatte teilweise Erfolg.
Zwar bliebe nach Auffassung des BGH der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung unberührt, weil das LG im Hinblick auf die Verwendung einer Spritze zutreffend von einem gefährlichen Werkzeugs iSd § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ausging. Soweit das LG allerdings die Unterspritzung der Nase oder Nasolabialfalte als eine das Leben gefährdende Behandlung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB wertete, halte dies einer rechtlichen Nachprüfung nicht statt. Zwar sei es nicht erforderlich, dass die Tathandlung zu einer konkreten Lebensgefahr des Opfers führe; jedoch müsse die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen zumindest generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich sei die Schädlichkeit der körperlichen Einwirkung im Einzelfall. Die getroffenen Feststellungen belegten eine solche generelle Eignung der Verletzungshandlung nicht, da es nur sehr selten in Folge der Unterspritzung mit Hyaluronsäure zu lebensbeeinträchtigenden Komplikationen wie einem Schlaganfall komme. Um die gegenüber der einfachen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB höhere Strafandrohung begründen zu können, sei für die generelle Eignung der Lebensgefährdung mehr als der lediglich in sehr seltenen Fällen mögliche tödliche Ausgang der Verletzungshandlung zu fordern.
Praxishinweis
Die vorliegende Entscheidung zeigt gut, dass es nicht immer die kniffligsten Lebenssachverhalte oder kompliziertesten rechtlichen Problempunkte sein müssen, die Möglichkeiten für eine erfolgversprechende Verteidigung bieten. Vielmehr können auch vergleichsweise profane Fragestellungen von entscheidender Bedeutung sein, zumal wenn wie hier die falsche Auslegung von § 224 StGB zur Aufhebung des Strafausspruchs führt:
Im Hinblick auf die Verwendung der Spritze hat der BGH aber ein gefährliches Werkzeug gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht und den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung aufrechterhalten. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, wenngleich dieses Ergebnis nicht so eindeutig ist, wie es womöglich den Anschein erweckt. Zwar ist eine Spritze nach ihrer objektiven Beschaffenheit und der Art der Verwendung im konkreten Fall (Unterspritzung der Nasen oder Nasolabialfalten bzw. der Lippen mit Hyaluronsäure) grundsätzlich dazu geeignet, nicht nur unerhebliche Verletzungen hervorzurufen. Da die Spritze aber gerade in ihrer ursprünglichen Funktion als medizinisches Gerät verwendet wurde, könnte man sie durchaus als untaugliches Angriffsmittel einordnen und aus dem Anwendungsbereich des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ausschließen (so auch BGH NJW 1978, 1206). Aber: Mangels entsprechender behördlicher Genehmigungen konnte die Influencerin die Spritze als ärztliches Instrument ganz offenbar nicht de lege artis verwenden. Solchen Konstellationen ist – wie gerade der vorliegende Fall mit den Knötchenbildungen zeigt – ein gesteigertes Verletzungsrisiko immanent, sodass der Angriffscharakter der Spritze und damit auch ein gefährliches Werkzeug iSd § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegeben ist (zum Ganzen MüKo-StGB/Hardtung § 224 Rn. 50).
Die Verurteilung wegen §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hat der BGH hingegen zu Recht aufgehoben. Dabei verdeutlicht der 1. Strafsenat einmal mehr, dass § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB – in Übereinstimmung mit dem gesetzgeberischen Willen – keine konkrete Lebensgefahr voraussetzt (so aber NK-StGB/Paeffgen/Böse, § 224 Rn. 28), sondern (lediglich) eine Begehungsweise verlangt, die objektiv generell dazu geeignet ist, das Opfer in Lebensgefahr zu bringen. Entscheidend hierfür sind die Umstände des konkreten Falles wie Art, Dauer, Stärke und individuelle Schädlichkeit der Einwirkung (BGH NStZ 2013, 345 f.). Mit dieser Auslegung wird somit mehr verlangt als eine rein abstrakte Lebensgefährdung, aber weniger als eine konkrete Gefahr für das Leben (treffend BeckOK-StGB/Eschelbach, § 224 Rn. 42). Deshalb ist es richtig, dass der BGH den nur hypothetisch denkbaren tödlichen Ausgang der Unterspritzungen mit Hyaluronsäure als keine hinreichende lebensgefährdende Behandlung iSd § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB angesehen hat. Alles andere würde dem ultima ratio Grundsatz widersprechen.
BGH, Beschluss vom 28.10.2020 - 1 StR 158/20 (LG Bochum), BeckRS 2020, 41320