Urteilsanalyse
Für Berufsbetreuerin und "Seniorenbetreuer" errichtetes Testament rechtswidrig
Urteilsanalyse
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Ungeachtet der nach wie vor fehlenden Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind, kann nach einem Urteil des OLG Celle ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin und eines "Seniorenbetreuers" sittenwidrig sein. Dass als Folge der Nichtigkeit des Testaments der Fiskus erben wird (§ 1936 S. 1 BGB), verändere den Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB nicht zu Gunsten der eingesetzten Erben.

23. Mrz 2021

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 03/2021 vom 17.03.2021

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Sachverhalt

Der im Mai 2005 verstorbene Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Abkömmlinge.

Aufgrund zunehmender Verwirrtheit wurde der Erblasser am 29.12.2004 in die Psychiatrie verlegt, wo mittels erneuter Computertomografie des Kopfes ein frischer Hirninfarkt links temporal und occipital unter Einschluss des Thalamus links im fast kompletten Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior links diagnostiziert wurde.

Im Januar 2005 wurde die Beklagte zu 1 als Berufsbetreuerin zur Betreuerin des Erblassers bestellt.

Am 1.4.2005 wurde der Erblasser aus dem Krankenhaus entlassen und in eine gerontopsychiatrische Pflegeeinrichtung gebracht, wo er bis zu seinem Tod blieb.

Mit notarieller Urkunde errichtete der Erblasser im Wohnstift - in Anwesenheit der Beklagten zu 1 - ein Testament, in dem es u.a. heißt:

Ich setze hiermit Frau Rechtsanwältin … [Beklagte zu 1] und Herrn … [Beklagter zu 2] zu meinen Erben ein, und zwar untereinander zu gleichen Teilen.“

Die Beklagte zu 1 beantragte am 18.10.2012 einen Erbschein auf der Grundlage dieses notariellen Testaments. Der Erbscheinsantrag wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom Senat (6 W 200/13) mit Beschluss vom 18.11.2013 wegen Testierunfähigkeit des Erblassers zurückgewiesen.

Der Kläger wurde mit Beschluss vom 14.01.2014 zum Nachlasspfleger für die unbekannten Erben bestellt, und zwar zunächst zum Zwecke der Ermittlung der Erben und Sicherung des Nachlasses, später dann mit dem Wirkungskreis der Verwaltung des Nachlasses.

Wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Untreue ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen Berufsbetreuer, Notare u. a., darunter auch gegen die beiden Beklagten. In der Ermittlungsakte findet sich eine Vielzahl von Rechnungen des Beklagten zu 2, adressiert an die Beklagte zu 1, betreffend den Zeitraum 2005 bis 2009, für erbrachte Dienstleistungen wie Einkäufe, Besorgungen, Spaziergänge und Arztbesuche, die mit unterschiedlichen Beträgen, meist mit einer Monatspauschale von anfangs 275,86 EUR netto, ergänzt um „sonstige Kosten (Benzin…)“, später von 301,72 EUR netto bzw. 359,05 EUR brutto (z.B. Rechnung vom 23.01.2008) abgerechnet wurden, außerdem Rechnungen für verauslagte Aufwendungen und (sonstige) Dienstleistungen.

Am 19.03.2014 erhob der Kläger Stufenklage wegen dieser Abrechnungen. Die Beklagten erhoben mit Schriftsatz vom 10.07.2015 Widerklage gerichtet auf die Feststellung, dass die Beklagten zu 1 und 2 zu jeweils 1/2 Erben nach dem Erblasser geworden sind. Mit Teilurteil vom 02.03.2020 hat das Landgericht der Klage auf der Auskunftsstufe im Wesentlichen antragsgemäß stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

Mit der Berufung verfolgen die Beklagten ihre Auffassung, dass eine Testierunfähigkeit des Erblassers im Mai 2005 nicht feststellbar sei, weiter.

Entscheidung: Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet, weil das notarielle Testament vom 4. Mai 2005 sowohl wegen Testierunfähigkeit des Erblassers als auch wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist.

Der Senat ist aufgrund der Beweisaufnahme von der Testierunfähigkeit des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung überzeugt.

Der Senat hält das Testament vom 04.05.2005 darüber hinaus gemäß § 138 Abs. 1 BGB für sittenwidrig. § 138 Abs. 1 BGB gilt für alle Rechtsgeschäfte, auch für Verfügungen von Todes wegen, und zwar nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen der Umstände des Zustandekommens. Es sollen nicht „aus fremder Bedrängnis in sittenwidriger Weise Vorteile gezogen werden“ (BGH BeckRS 1990, 31065347). Bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit ist auf den konkreten Einzelfall und insoweit auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts abzustellen (vgl. BGH NJW 1956, 865).

Gemäß § 14 Abs. 5 HeimG ist es der Leitung, den Beschäftigten oder sonstigen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern des Heims untersagt, sich von oder zu Gunsten von Bewohnerinnen und Bewohnern neben der vom Träger erbrachten Vergütung Geld- oder geldwerte Leistungen für die Erfüllung der Pflichten aus dem Heimvertrag versprechen oder gewähren zu lassen, es sei denn, es handelt sich um geringwertige Aufmerksamkeiten. Der Grund für das Verbot ist das besondere Näheverhältnis zwischen Heimbewohner und Pflegepersonal und die damit verbundene Möglichkeit der Ausnutzung dieses Verhältnisses. Die Betreuung begründet ein ähnliches Näheverhältnis. Dessen ungeachtet ist das BayObLG in einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 davon ausgegangen, dass auf das Verhältnis zwischen Betreuer und Betreutem § 14 HeimG nicht entsprechend angewendet werden kann (NJW 1998, 2369). Dem schließt sich der Senat im Grundsatz an.

Damit ist aber nur die Anwendbarkeit von § 134 BGB verneint und über die Anwendung von § 138 BGB noch keine Aussage getroffen. Zwar fehlt bislang eine Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind. Allerdings sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in § 30 Abs. 1 S. 1, 2 Betreuungsorganisationsgesetz - BtOG - vor, dass es einem beruflichen Betreuer untersagt ist, von dem von ihm Betreuten Geld oder geldwerte Leistung anzunehmen, was auch für Zuwendungen im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen gilt (s. BR-Drs. 564/20, S. 101). Damit ist für aktuelle Sachverhalte noch keine abschließende Aussage über die Frage der Sittenwidrigkeit getroffen.

Der Senat schließt sich den folgenden Ausführungen in einem Urteil des OLG Braunschweig vom 04.11.1999 (BeckRS 1999, 30843645) ausdrücklich an: „[Den] Grundsätzen des Betreuungsrechts ist zu entnehmen, dass es das Gesetz als sittenwidrig mißbilligt, wenn ein Betreuer seine ihm gerichtlich verliehene Vertrauensstellung und seinen persönlichen Einfluss auf den Betreuten dazu benutzt, gezielt darauf hinzuwirken, dass der infolge seiner geistigen Behinderung leicht beeinflussbare Betreute ohne reifliche Überlegung über erhebliche Vermögenswerte zugunsten des Betreuers durch ein Testament vor einem Notar verfügt, der nicht von dem Betreuten als sein Berater hinzugezogen ist, sondern von dem begünstigten Betreuer.

Der Senat ist überzeugt, dass die Beklagten die Vertrauensstellung missbraucht haben.

Die Beklagte zu 1 war es, die die - ihr persönlich bekannte und „vertraute“ - Notarin beauftragte und, ohne dass dafür ein zwingender Grund ersichtlich wäre, bei der Aufnahme des Testaments anwesend war. Sie hat auch nicht behauptet, dem Erblasser vorher mitgeteilt zu haben, dass eine von ihr beauftragte Notarin zur Errichtung eines Testaments mit einem bestimmten Inhalt erscheinen werde. Der Senat wertet dies dahin, dass der Beklagten, damals Rechtsanwältin und (bis heute) Berufsbetreuerin, die Problematik der Testierfähigkeit im konkreten Fall bewusst war und sie erwartete, dass die gewählte Form des Testaments naheliegende Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers verstummen zu lassen am Ehesten geeignet sei. Außerdem verschaffte ihr die notarielle Form des Testaments die Möglichkeit, nach dem Tod des Erblassers ohne weiteres auf dessen Vermögen zuzugreifen.

Dem Beklagten zu 2 gegenüber erbrachte sie Leistungen aus dem Vermögen des Erblassers u.a. für gemeinsame Spaziergänge mit dem Erblasser. Dabei sind die Rechnungen des Beklagten zu 2 nichtssagend; sie enthalten weder Angaben zum genauen Inhalt, noch dem Umfang der Tätigkeit, noch zum „Stundensatz“. Für den Senat ist bei der Anhörung klar hervorgetreten, dass beide Beklagte den Rechnungen keine Aufmerksamkeit gewidmet hatten; den dort ausgewiesenen Beträgen kam gegenüber den mehreren hunderttausend Euro aus dem erwarteten Nachlass auch keine erhebliche Bedeutung zu.

Nach dem Tod des Erblassers versuchten die Beklagten, den gesamten Nachlass unter sich aufzuteilen. Ein Erbschein wurde anfangs nicht beantragt, sondern erst, als die Sparkasse die Auszahlung ungeachtet des notariellen Testaments verweigerte. Das Betreuungsgericht wurde weder während der Dauer der Betreuung noch in den Monaten nach dem Tod des Erblassers über die Erbenstellung und dann über die jedenfalls teilweise bereits stattgefundene Verteilung des Nachlasses informiert.

Die von der Beklagten zu 1 behauptete gute Beziehung zum Erblasser rechtfertigt die Erbeinsetzung nicht. Jedenfalls im Mai 2005 war der Erblasser von seiner schweren Erkrankung noch nicht völlig genesen. Er war auch nach dem Vortrag der Beklagten zu 1 eine im Umgang eher schwierige, „rigide Persönlichkeit“, ohne Angehörige und ohne Freunde. Der Kontakt zur Beklagten zu 1 entstand in einer für den Erblasser besonders schwierigen Situation einer schweren Erkrankung. Es musste sich jedem in Anbetracht der Situation des Erblassers kurze Zeit nach dem schweren Schlaganfall geradezu aufdrängen, dass die Äußerung zu einem „tiefen Vertrauen“ zu einer bis dahin völlig unbekannten Person einer nur halbwegs kritischen Hinterfragung nicht standhalten konnte.

Das vom Beklagten zu 2 betonte freundschaftliche Verhältnis zum Erblasser passt schwerlich zur Bezahlung.

Dass voraussichtlich als Folge der Nichtigkeit des notariellen Testaments vom 04.05.2005 das Land Niedersachsen erben wird (§ 1936 S. 1 BGB), verändert den Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB nicht zu Gunsten der Beklagten. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich vorliegend auch nicht aus einer Zurücksetzung von Angehörigen durch den Erblasser, sondern im Wesentlichen aus der im Zusammenwirken mit dem Beklagten zu 2 vorgenommenen Ausnutzung der Stellung der Beklagten zu 1 als Berufsbetreuerin gegenüber dem auf fremde Hilfe angewiesenen Erblasser und der von ihr veranlassten Testamentserrichtung am 04.05.2005.

Praxishinweis

Die Ausführungen des Senats zur Sittenwidrigkeit der Erbeinsetzung im notariellen Testament fordern teilweise Widerspruch heraus.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass sich die Frage der Sittenwidrigkeit eines Testaments gemäß § 138 Abs. 1 BGB eigentlich gar nicht stellen kann, wenn der Erblasser zur Zeit der Errichtung testierunfähig war (vgl. BGH BeckRS 1990, 31065347). Weil sich der Senat dennoch mit der Frage der Sittenwidrigkeit beschäftigt hat, sind einige Richtigstellungen an dieser Stelle geboten. Die Entscheidung birgt nämlich die Gefahr, dass die Erwägungen des Senats auf Fälle übertragen wird, in denen der Erblasser (noch) testierfähig ist.

Die Ausnutzung eines persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses bei Errichtung von Verfügungen von Todes wegen stellt ein großes praktisches Problem dar, und zwar weit über das hier behandelte Verhältnis zwischen Betreuer und Betreutem hinaus. Ungleich viel häufiger besteht ein solches Abhängigkeitsverhältnis nämlich bei der häuslichen Pflege schwer kranker Erblasser durch nahe Familienangehörige, insbesondere durch einzelne von mehreren Geschwistern, oder durch (bezahlte) Pflegekräfte, die nicht zum Betreuer bestellt sind. Mit der Drohung, sich andernfalls nicht mehr um die Pflege des Erblassers zu kümmern, werden alles andere als selten Testamente zugunsten der pflegenden Person „erzwungen“. Deshalb stellt sich die Frage, ob aufgrund dieser Entscheidung auch all diese letztwilligen Verfügungen sittenwidrig gemäß § 138 Abs. 1 BGB sein sollen.

Obwohl der Senat ausdrücklich feststellt, dass zurzeit kein gesetzliches Verbot der Erbeinsetzung usw. eines Betreuers durch den Betreuten existiert und eine analoge Anwendung der Heimvorschriften nicht möglich ist, folgert er aus dem geltenden Betreuungsrecht, dass es das Gesetz als sittenwidrig missbillige, wenn ein Betreuer seine ihm gerichtlich verliehene Vertrauensstellung und seinen persönlichen Einfluss auf den Betreuten dazu benutze, dass der Betreute ohne reifliche Überlegung über erhebliche Vermögenswerte zugunsten des Betreuers verfüge (vgl. OLG Braunschweig a.a.O.). Der Senat verkennt dabei allerdings das Grundrecht der Testierfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 2. Alt. GG, dessen Inhalt und Schranken nach dem Wortlaut der Verfassung durch die formellen und materiellen Gesetze bestimmt werden – und nicht durch die Gerichte. Nach dem vom Senat selbst geschilderten Gesetzgebungsverfahren herrscht derzeit Einigkeit darüber, dass ein derartiges Verbot erbrechtlicher Zuwendungen (unter Erlaubnisvorbehalt) nicht existiert. Darüber darf sich ein Gericht auch nicht auf der Grundlage des § 138 Abs. 1 BGB hinwegsetzen (Art. 20 Abs. 3 GG). Was der Gesetzgeber nicht verboten hat, nämlich die Einsetzung des Betreuers durch den Betreuten, ist folgerichtig zulässig und allenfalls unter besonderen Umständen unwirksam (Ludyga NZS 2013, 201, 206). Deshalb ist bspw. auch die - vom Senat sogar noch zitierte - höchstrichterliche Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit des „Geliebtentestaments“ aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile aufgegeben worden und damit obsolet (vgl. dazu BeckOK BGB/Förster, 57. Ed. 1.2.2021, BGB § 826 Rn. 90).

Hinzu kommt, dass der Senat nicht schlüssig erklären kann, aus welchem Grund die letztwillige Verfügung des Erblassers als Folge eines missbräuchlichen Verhaltens der eingesetzten Erben sittenwidrig sein soll. Zwar können auch letztwillige Verfügungen sittenwidrig sein, doch setzt dies voraus, dass der Erblasser durch den Inhalt der Verfügung die Tatbestandsvoraussetzungen des § 138 BGB verwirklicht hat, insbesondere durch zu weitreichende Bedingungen mit dem Ziel unzulässiger Einflussnahme auf das Verhalten der bedachten Personen (vgl. BVerfG NJW 2004, 2008 „Hohenzollernentscheidung“). Nur bei zwei- oder mehrseitigen Rechtsgeschäften kommt zur Inhaltssittenwidrigkeit die Umstandssittenwidrigkeit hinzu. Diese ergibt sich erst aus einer Zusammenfassung von Geschäftsinhalt, Beweggrund und Zweck sowie den zur Zeit des Geschäftsabschlusses bestehenden Umständen (MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2018, BGB § 138 Rn. 8). Auch die vom Senat zitierte Entscheidung des BGH vom 4.7.1990 (BeckRS 1990, 31065347) rechtfertigt die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf letztwillige Verfügungen nicht. In dem höchstrichterlich entschiedenen Fall ging es gerade nicht um die Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen, sondern um Darlehens- und Schenkungsverträge zwischen der Erblasserin und dem Beklagten, also um zweiseitige Rechtsgeschäfte zu Lebzeiten. Die Ausführungen des BGH zur Umstandssittenwidrigkeit sind deshalb keineswegs einfach auf letztwillige Verfügungen übertragbar. Interessant an dem vom BGH entschiedenen Fall ist dabei, dass die ebenfalls letztwillig verfügte Erbeinsetzung des Beklagten an der Testierunfähigkeit der Erblasserin gescheitert ist, aber nicht an der (Umstands-)Sittenwidrigkeit aufgrund des Verhaltens des Beklagten. Bei einseitigen letztwilligen Verfügungen scheidet eine Umstandssittenwidrigkeit deshalb entgegen der Auffassung des Senats des OLG Celle aus. Die bedingungslose Erbeinsetzung von zwei nicht mit dem Erblasser verwandten Personen kann auch nicht (mehr) wegen der Zurücksetzung der Verwandten sittenwidrig sein, weil die bereits erwähnte Rechtsprechung zum „Geliebtentestament“ aufgegeben worden ist.

Völlig übersehen hat der Senat bei seiner Begründung auch, dass das Gesetz für Fälle, in denen ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis bzw. ein besonderes Vertrauensverhältnis ausgenutzt wird, um eine Erbeinsetzung zu erreichen, die Anfechtbarkeit dieser letztwilligen Verfügung gemäß § 2078 BGB vorsieht. Ist die Drohung mit dem Entzug bzw. der Einschränkung der persönlichen Pflege oder Betreuung nachweisbar und kausal für die letztwillige Verfügung, so ist die Testamentsanfechtung gemäß § 2078 BGB der gesetzlich vorgesehene Weg, die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung zu beseitigen. Das Gleiche gilt, wenn, was der Senat in diesem Fall wohl vermutet, der Erblasser bei Testamentserrichtung getäuscht worden ist. Die Anfechtungstatbestände des § 2078 BGB wegen Irrtum, Täuschung oder Drohung sind ihrem Wesen nach abschließend und lassen keinen Raum mehr für die vom Senat propagierte Sittenwidrigkeit der letztwilligen Verfügung gemäß § 138 Abs. 1 BGB wegen Ausnutzens eines besonderen Vertrauensverhältnisses durch die eingesetzten Erben (a.A. Ludyga NZS 2013, 201, 206). Wenn Irrtum, Täuschung oder Drohung i.S.d. § 2078 BGB nicht festgestellt werden können oder die Anfechtungsberechtigten auf die Anfechtung verzichten, darf nach geltendem Recht die gesetzgeberische Grundentscheidung zugunsten der Wirksamkeit des Testaments (vgl. § 2084 BGB) nicht durch ein Verdikt der Sittenwidrigkeit wegen Ausnutzung von mehr oder weniger fassbaren Abhängigkeiten von Amts wegen konterkariert werden. Dies ist die Kehrseite der vom Grundgesetz garantierten Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG). Die Testierfreiheit verbietet es dem Richter nämlich, seine eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen in die auszulegende Verfügung zu projizieren (RGZ 142, 171, 174; BayObLGZ 1966, 390, 394; vgl. auch EGMR NJW 2005, 875, 878). Gleiches muss auch für die Prüfung der Sittenwidrigkeit durch die Gerichte gelten.

Gegen die Anwendbarkeit des § 138 Abs. 1 BGB wegen der Umstände, unter denen der letzte Wille erklärt worden ist, spricht auch, dass dieser Einwand an keinerlei Fristen gebunden ist, so dass noch Jahre und Jahrzehnte nach dem Erbfall – hier 16 Jahre - über die Gültigkeit einer Erbeinsetzung wegen Sittenwidrigkeit gestritten werden könnte. Dies widerspricht aber dem Gebot der Rechtssicherheit, dem das Erbrecht in besonderem Maße verpflichtet ist. Deshalb sind auch ausnahmslos alle erbrechtlichen Anfechtungstatbestände (§§ 2078, 2079, 2342, 2345 BGB) an die Einhaltung  der Jahresfrist gem. § 2082 BGB gebunden. Zwar könnte derselbe Einwand auch bei der Testierfähigkeit erhoben werden, doch schreibt das Erbrecht in § 2229 BGB diese Prüfung – nota bene: an der Spitze der Regelungen über die Verfügungen von Todes wegen - selbst vor, so dass diese in jedem Erbscheinsverfahren als grundlegende Wirksamkeitsbedingung ohnehin von Amts wegen zu prüfen ist.

Einzig denkbarer Ausweg ist also die Einführung eines den landesrechtlichen Heimgesetzen vergleichbares Testierverbots durch den Gesetzgeber (zur Zulässigkeit des Testierverbots in den Heimgesetzen BVerfG BeckRS 1998, 21992). Allerdings sei an dieser Stelle vor einem pauschalen Verbot erbrechtlicher Zuwendungen an Betreuer gewarnt (Dittrich ZEV 2013, 14, 17). In den meisten Fällen handelt es sich bei den Betreuern nämlich um nahe Familienangehörige, die man auf diesem Wege komplett von der Erbfolge ausschließen würde, was nicht nur rechtspolitisch unerwünscht, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig sein dürfte (Art. 6, 14 GG; vgl. dazu ausführlicher Dittrich ZEV 2013, 14, 17). Allenfalls „gewerbsmäßig“ tätige Betreuer dürfen von einem solchen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt erfasst werden. Damit aber bliebe das vorstehend geschilderte, generelle Problem des Testierdrucks wegen der faktischen Abhängigkeit des pflegebedürftigen Erblassers von der nicht gewerbsmäßig handelnden Pflegeperson nach wie vor ungelöst. Ferner könnte jeder Betreuer dem Verbot leicht entgehen, indem er noch vor dem Erbfall die Betreuung aufgibt. Deshalb steht die Frage im Raum, ob ein solch begrenztes Testierverbot gemäß § 134 BGB überhaupt noch ein verhältnismäßiger Eingriff in die Testierfreiheit des Erblassers nach Art. 14 Abs. 1 GG darstellt.

Abschließend bedarf die Entscheidung noch einer Klarstellung in erbrechtlicher Hinsicht: Der Hinweis des Senats, dass im Falle der Nichtigkeit des Testaments das Fiskalerbrecht zum Zuge kommt, ist mindestens missverständlich. Im Falle der Unwirksamkeit des Testaments tritt nämlich die gesetzliche Erbfolge ein, weil das Testament diese – wegen Unwirksamkeit – gar nicht ausschließen konnte. Erst wenn keine gesetzlichen Erben zu ermitteln sind, wird das Bundesland Niedersachsen Fiskalerbe. Melden sich später doch noch gesetzliche Erben, so können sie die Herausgabe der dann noch vorhandenen Erbschaft vom Land verlangen. Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit hat diese Rechtsfolge allerdings tatsächlich keine Bedeutung.

Damit bleibt festzuhalten, dass die Ausführungen des Senats zur Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen nicht verallgemeinert werden sollten. Es handelt sich um eine in dieser Hinsicht höchst problematische Einzelfallentscheidung, so dass der Senat Recht hatte, die Revision mangels grundsätzlicher Bedeutung nicht zuzulassen. Dieser Einschätzung des Senats sollten Rechtsprechung und Literatur Folge leisten und diese Entscheidung nicht zum Anlass nehmen, Verfügungen von Todes wegen zugunsten von Personen, die den Erblasser bzw. die Erblasserin gepflegt oder betreut haben, generell wegen möglicher Sittenwidrigkeit zu hinterfragen. Alle Fälle lassen sich, ohne § 138 Abs. 1 BGB bemühen zu müssen, durch Prüfung sowohl der Testierfähigkeit nach § 2229 BGB als auch der fristgebundenen Anfechtbarkeit nach § 2078 BGB angemessen lösen.

OLG Celle, Urteil vom 07.01.2021 - 6 U 22/20, BeckRS 2021, 2415