Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 08/2023 vom 21.04.2023
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Sachverhalt
Der Antragsgegner ist auf Antrag des Landes vom AG zur Zahlung von Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht wegen geleisteter Unterhaltsvorschusszahlungen verpflichtet worden. Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner form- und fristgemäß Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung des Antragsgegners ist erst am Tag nach Ablauf der (verlängerten) Beschwerdefrist um 0:03 Uhr per beA beim OLG eingegangen. Nachdem der Antragsgegner auf die Unzulässigkeit seiner Beschwerde wegen des verspäteten Eingangs der Beschwerdebegründung hingewiesen worden ist, hat er wegen der versäumten Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, sein Verfahrensbevollmächtigter habe die Beschwerdebegründung nicht fristgerecht einreichen können, weil die verwendete Computertechnik am Tage des Fristablaufes von 23:54 Uhr bis 23:58 Uhr nicht mehr funktioniert habe. Sein Verfahrensbevollmächtigter habe gegen 23:50 Uhr die PDF-Datei mit der Beschwerdebegründung über die Weboberfläche des beA hochladen und an das OLG digital übermitteln wollen. Dabei sei es zu einem nicht mehr nachvollziehbaren Problem mit dem verwendeten Laptop gekommen, sodass die Beschwerdebegründung erst nach Neustart des Computers habe übersandt werden können. Der IT-Berater seines Verfahrensbevollmächtigten, den dieser am Tage nach dem Fristablauf zu Rate gezogen habe, habe festgestellt, dass der verwendete Laptop bereits am Tage des Fristendes um 23:20 Uhr begonnen habe, Fehlermeldungen aufzuzeichnen. Er habe die aufgezeichneten Fehler aber nicht benennen können. Die Aufzeichnung der Warnungen hätten mit dem Neustart des Gerätes um 23:54 Uhr geendet. Der Ausfall der Computerhardware sei für seinen Verfahrensbevollmächtigten nicht vorhersehbar gewesen. Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen.
Entscheidung: Keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen unvorhersehbaren und nicht vermeidbaren Fehler der verwendeten Hard- oder Software als Ursache des Computerdefekts
Der BGH hat die (ohne weiteres statthafte, §§ 113 Abs. 1 S. 2, 117 Abs. 1 S. 4, Abs. 5 FamFG iVm §§ 238 Abs. 2 S. 1, 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO) Rechtsbeschwerde des Antragsgegners als unzulässig verworfen. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO seien nicht erfüllt, weil weder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordere noch der angefochtene Beschluss den Antragsgegner in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) oder in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletze. Das OLG habe die Beschwerde zu Recht gemäß §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 S. 4 FamFG, § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil der Antragsgegner diese nicht innerhalb der verlängerten Beschwerdebegründungsfrist begründet habe. Ebenfalls rechtsfehlerfrei habe das OLG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde abgelehnt. Seine Auffassung, der Antragsgegner habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sein Verfahrensbevollmächtigter die Fristversäumung nicht verschuldet habe, sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Zwar stellten nach der Rechtsprechung des BGH nicht vorhersehbare und nicht vermeidbare Störungen einer EDV-Anlage einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn sie das rechtzeitige Erstellen oder Absenden eines Schriftsatzes verhinderten. Nach dem vom Antragsgegner zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags gehaltenen Vortrag bestehe jedoch im vorliegenden Fall nicht die zur Glaubhaftmachung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Computerdefekt auf einem unvorhersehbaren und nicht vermeidbaren Fehler der verwendeten Hard- oder Software beruht habe. Der Antragsgegner habe in seinem Wiedereinsetzungsantrag selbst eingeräumt, dass der Grund für die vorübergehende Funktionsstörung des verwendeten Laptops letztlich nicht habe aufgeklärt werden können. Für die Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax habe der BGH jedoch bereits entschieden, dass ein einen Bedienungsfehler ausschließendes, auf einem technischen Defekt beruhendes Spontanversagen eines Faxgeräts nicht hinreichend glaubhaft gemacht werde, wenn vor und nach dem erfolglosen Versuch der Übermittlung eines Schriftsatzes erfolgreiche Übermittlungen an die jeweiligen Empfänger stattgefunden hätten, ohne dass zwischenzeitlich eine technische Wartung oder Reparatur erfolgt sei. Unter diesen Umständen begegne die Annahme des Beschwerdegerichts, dass ein von dem Verfahrensbevollmächtigten verschuldeter Bedienfehler mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein unerwartet aufgetretener Hard- oder Softwarefehler, der sich nach 30 Minuten ohne weitere Maßnahmen von selbst behoben habe, keinen rechtlichen Bedenken.
Praxishinweis
Das Problem des vom BGH entschiedenen Falls lag darin, dass das eine fristgerechte Versendung der Beschwerdebegründung verhindernde Computerproblem unaufgeklärt blieb und durch „spontane Selbstheilung“ wieder verschwunden war. In einem solchen Fall kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass Ursache des Problems und damit der Fristversäumung tatsächlich eine (zur Wiedereinsetzung grds. berechtigende) unvorhersehbare und unvermeidbare Störung des Computers war, weil auch ein bloßer (und vom Versender zu vertretender) Bedienfehler denkbar ist. Bleibt aber im Wiedereinsetzungsverfahren nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung von der Partei bzw. ihrem Bevollmächtigten verschuldet war, kann nach der Rspr des BGH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.
In der besprochenen Entscheidung hat der BGH iÜ ergänzend darauf hingewiesen, dass es überdies an der Darlegung fehle, weshalb der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners nicht von der in § 130d S. 2 ZPO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufungsbegründungsschrift vor Ablauf der Begründungsfrist in herkömmlicher Weise – etwa per Telefax – einzureichen. Er hat in diesem Zusammenhang weiter darauf hingewiesen, dass die in § 130d S. 2 ZPO vorgesehene Möglichkeit, bei einer technischen Störung ein Dokument nach den allgemeinen Vorschriften zu übermitteln, unabhängig davon besteht, ob die Störung auf einem Defekt des Übertragungsgeräts beruht oder in der Sphäre des Einreichenden liegt. Treten bei der Einreichung eines fristgebundenen Schriftsatzes per beA Probleme auf, wird daher im Zweifel vorsorglich immer der Weg der Ersatzeinreichung zu wählen sein.
BGH, Beschluss vom 01.03.2023 - XII ZB 228/22 (OLG Rostock), BeckRS 2023, 6152