Urteilsanalyse
Fristen- und Ausgangskontrolle nur mit Anwaltssoftware nicht ausreichend
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Eine wirksame Fristen- und Ausgangskontrolle darf nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Schleswig nicht nur mit der bloßen Anwaltssoftware (hier «RA-Micro») erfolgen, sondern erfordert auch durch einen Vergleich anhand des Fristenkalenders und der Handakte.

4. Nov 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 22/2022 vom 03.11.2022

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Sachverhalt

In einem Verfahren um Schadensersatz wegen eines behaupteten Verkehrsunfalls ging die Berufung des Klägers zu spät beim zuständigen OLG ein, weil sein Anwalt die Berufungsschrift am letzten Fristtag zunächst beim unzuständigen LG eingereicht hatte. Er beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er meinte, die Berufungsfrist sei unverschuldet versäumt worden. Die Büroangestellte der Anwaltskanzlei habe bei der elektronischen Übersendung der Berufungsschrift übersehen, dass der Berufungsschriftsatz an das OLG adressiert war. In der Anwaltssoftware (RA-Micro) sei das zuständige OLG aber nicht eingepflegt gewesen, sondern nur das LG als das «im Berufsalltag der Kanzlei am häufigsten vorkommende Berufungsgericht». Bei der anschließenden weisungsgemäßen Zugangskontrolle habe die Büroangestellte nicht gemerkt, dass die elektronische Zustellung an das unzuständige LG erfolgt war. Die allabendliche Fristenendkontrolle sei zeit- und situationsbedingt mit der ohnehin durchgeführten Zugangskontrolle zusammengefallen, sodass sich für die Büroangestellte auch daraus keine Auffälligkeit ergeben habe. Zur Glaubhaftmachung legte er eidesstattliche Versicherungen der Büroangestellten vor.

Entscheidung: Ausgangskontrolle nur mit der Anwaltssoftware nicht ausreichend

Der Wiedereinsetzungsantrag hatte keinen Erfolg.

Der Kläger habe weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass im Büro seines Anwalts hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen worden seien, welche die rechtzeitige Zustellung der Berufung innerhalb der Berufungsfrist an das zugestellte Gericht sichergestellt hätten. Seit dem 01.01.2022 müssten vorbereitende Schriftsätze gemäß § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht werden. Gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO werde dem Absender nach der Übermittlung eine «automatisierte Bestätigung» über Zeitpunkt des Eingangs mitgeteilt. Die Büroangestellte habe zwar in ihrer ersten eidesstattlichen Versicherung erklärt, sie habe diese Eingangsbestätigung kontrolliert. Offensichtlich sei ihr bei dieser Kontrolle fahrlässig nicht aufgefallen, dass in dem entsprechenden Prüfprotokoll das unzuständige LG vermerkt war. Erst in der zweiten, nachgereichten eidesstattlichen Versicherung heiße es, sie habe weisungsgemäß die vorzunehmenden Fristenendkontrolle «wohl gegen 17:00 Uhr noch einmal über unsere Anwaltssoftware überprüft». Es sei schon nicht glaubhaft, dass die Zugangskontrolle anhand der «automatisierten Bestätigung» gemäß § 130a Abs. 5 Satz  2 ZPO – wie der Anwalt des Klägers vortrage – «zeit- wie situationsbedingt» mit der zwingend erforderlichen abendlichen Fristen- und Erledigungskontrolle zusammengefallen sein solle. Unstreitig sei die fehlerhafte Übersendung der Berufungsschrift an das unzuständige LG bereits am Nachmittag um 16:39 Uhr erfolgt.

Darüber hinaus lägen auch Organisationsfehler im Büro des klägerischen Anwalts vor. Es fehle an der Darlegung und Glaubhaftmachung einer entsprechend detaillierten Anweisung für die Durchführung der erforderlichen allabendlichen Ausgangskontrolle. Es sei nicht vorgetragen, wann und mit welchem Inhalt die Büroangestellten angewiesen worden sein sollten, die tägliche allabendliche Fristenkontrolle durchzuführen. Es liege auf der Hand, dass eine wirksame Kontrolle nicht nur mit der bloßen Anwaltssoftware erfolgen könne, wie dies offenbar die Büroangestellte gemäß ihrer Erklärung getan habe, sondern selbstverständlich auch einen Vergleich anhand des Fristenkalenders und der Handakte erfordere. Bei einer solchen Überprüfung hätte laut dem OLG der Zuständigkeitsfehler spätestens entdeckt werden können und müssen. Laut OLG wäre der Fehler außerdem vermieden worden, wenn bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift in der entsprechenden Anwaltssoftware (hier: «RA-Micro») das zuständige OLG als mögliches Berufungsgericht eingepflegt gewesen wäre. Insoweit wäre eine entsprechende Anweisung der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegenüber seinem Büropersonal erforderlich gewesen, so das OLG.

Praxishinweis

Die berichtete Entscheidung zeigt erneut, dass durch den elektronischen Rechtsverkehr das anwaltliche Fristenwesen nicht unbedingt einfacher geworden ist. Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört dabei insbesondere auch eine Anordnung, die sicherstellt, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders überprüft wird (so vgl. Wendtland in BeckOK ZPO, 46. Edition, Stand 01.09.2022, ZPO § 233 Rn. 24). Das OLG Schleswig hat darüber hinaus betont, dass eine wirksame Fristen- und Ausgangskontrolle nur mit der bloßen Anwaltssoftware nicht ausreicht, sondern auch einen Vergleich anhand des Fristenkalenders und der Handakte erfordert.


OLG Schleswig, Beschluss vom 13.10.2022 - 7 U 160/22, BeckRS 2022, 28335