Urteilsanalyse
Fremdgeschäftsführer zählt nicht beim KSchG-Schwellenwert
Urteilsanalyse
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Bei der Ermittlung des Schwellenwerts nach § 23 I 3 KSchG sind Geschäftsführer nach einem Urteil des LAG München vom 09.07.2020 nicht zu berücksichtigen. Sie würden regelmäßig auf der Grundlage eines Dienstvertrages und nicht eines Arbeitsvertrags tätig und seien im Kündigungsrecht nicht als Arbeitnehmer anzusehen. Aus der Rechtsprechung des EuGH folge nichts anderes.

9. Mrz 2021

Anmerkung von
Rechtsanwältin  Dr. Doris-Maria Schuster, Gleiss Lutz, Hamburg

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 09/2021 vom 04.03.2021

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und dabei über die Anwendbarkeit des KSchG. Der Kläger war seit 1.12.2016 bei der Beklagten als Lagermitarbeiter beschäftigt, zunächst befristet und ab 1.12.2017 unbefristet. Die Beklagte kündigte dem Kläger zum 31.7.2019. Zum Zeitpunkt der Kündigung waren bei der Beklagten zwei Fremdgeschäftsführer in Vollzeit beschäftigt. Der Kläger hat sich zum Erreichen des Schwellenwertes nach § 23 I 3 KSchG darauf berufen, die beiden Fremdgeschäftsführer der Beklagten seien als Arbeitnehmer mitzuzählen, u.a. aufgrund des europäischen Arbeitnehmerbegriffs. Er erhob Kündigungsschutzklage mit dem Argument, das KSchG finde wegen Überschreitens des Schwellenwerts Anwendung und die Kündigung sei wegen fehlender sozialer Rechtfertigung unwirksam. Das ArbG wies die Klage ab.

Entscheidung

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Der Schwellenwert nach § 23 I 3 KSchG war nicht überschritten, weil die beiden Fremdgeschäftsführer keine Arbeitnehmer i.S.d. § 23 I 3 KSchG sind. Das KSchG fand deshalb auf das Arbeitsverhältnis des Klägers keine Anwendung.

Wie im Lehrbuch prüft das LAG München die Arbeitnehmereigenschaft der Fremdgeschäftsführer. Zuerst anhand von § 14 I 1 KSchG, der die Vorschriften des ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes für die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, für nicht anwendbar erklärt. Bereits danach sind die beiden Fremdgeschäftsführer keine Arbeitnehmer. Anschließend setzt sich das LAG mit der Rspr. des BAG auseinander.  Fremdgeschäftsführer nehmen danach aufgrund der mit ihrem Amt verbundenen Rechtsstellung Arbeitgeberfunktionen wahr und verkörpern den Arbeitgeber. Auch die von ihnen geleisteten Dienste, die ihrer sozialen Typik nach nicht mit von Arbeitnehmern zu erbringenden Arbeitsleistungen vergleichbar sind, lassen sie als arbeitgebergleiche, jedenfalls aber als arbeitgeberähnliche Personen erscheinen.  Tatsächliche Umstände, die den Rückschluss auf eine derart starke arbeitsbegleitende oder verfahrensorientierte Weisungsgebundenheit der Fremdgeschäftsführer zulassen, dass der extreme Ausnahmefall einer weisungsgebundenen, fremdbestimmten Tätigkeit eines Geschäftsführers in einem Arbeitsverhältnis vorliegt, hatte der Kläger nicht vorgetragen. Aus der Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerbegriff ergibt sich nichts anderes. Für die Anwendbarkeit des KSchG und des ArbGG ist allein der nationale und nicht der europäische Arbeitnehmerbegriff maßgeblich. Auch deshalb, weil § 23 KSchG nicht auf Unionsrecht beruht.

Praxishinweis

Die Entscheidung fügt sich in die Linie des BAG ein und bestätigt, entgegen der Bestrebung des EuGH, dass Organvertreter keine Arbeitnehmer sind. Das LAG München erläutert dies facettenreich und in aller Deutlichkeit, was zu begrüßen ist. Für Praktiker gibt diese Entscheidung Sicherheit, weil der Verwässerung des nationalen durch den europäischen Arbeitnehmerbegriff Einhalt geboten wird. Die Anwendung des europäischen Arbeitnehmerbegriffs ist die Ausnahme, nicht die Regel.

Fazit bleibt somit: der europäische Arbeitnehmerbegriff ist anzuwenden, wo die Europäische Union Recht setzt. Und eben nur dort.

LAG München, Urteil vom 09.07.2020 - 7 Sa 444/20 (ArbG München), BeckRS 2020, 40645