Wir Anwälte haben ein seltsames Verhältnis zur Freiheit. Jedenfalls zu unserer eigenen, der Berufsfreiheit. Felix Busse, früherer Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), hatte 2010 in einem Festschriftenbeitrag über die Schwierigkeiten der Anwaltschaft mit der Freiheit der Advokatur geschrieben und dabei die zahlreichen Beschränkungen geschildert, denen sie sich freiwillig gefügt hatte und von denen sie immer durch BVerfG-Entscheidungen befreit werden musste, denn sie selber war dazu nicht in der Lage. Busses Beitrag hatte nur Zimmerlautstärke, manchmal reicht es, nur auf Fakten hinzuweisen, da erübrigt sich alles Weitere. Der Beitrag galt als so wichtig, dass er gut zehn Jahre später anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des DAV in überarbeiteter Form noch einmal veröffentlicht wurde (AnwBl Online 2021, 190).
Die Anwaltschaft hat sich seitdem nicht zum Freiheitskämpfer in eigenen Sachen entwickelt, beim Berufsrecht hat sie Beharrungskräfte. Vielleicht würde sie aber auf § 1 I BORA verweisen, wonach Anwälte ihren Beruf frei, selbstbestimmt und unreglementiert ausüben, damit sie beim Zugang zum Recht helfen und damit den Rechtsstaat verwirklichen können. Schön gesagt, auch wenn man manchmal meinen könnte, ab § 2 habe die BORA nur noch den Zweck, § 1 zu widerlegen. Ein Ausschuss der Satzungsversammlung ist seit Jahren damit beschäftigt, die BORA in die Jetztzeit zu holen, aber es ist mühselig und langwierig. Das Gedankenspiel, die BORA neben § 1 auf fünf weitere zwingend wichtige Vorschriften zu reduzieren, weckt keinen freiheitlichen Gestaltungseifer, sondern mehrheitlich Unbehagen. Unlängst erinnerte Edith Kindermann, bis Februar dieses Jahres DAV-Präsidentin, fast als letzte Amtshandlung in anderem Zusammenhang an ein Zitat von Carl Friedrich v. Weizsäcker, wonach Freiheit ein Gut sei, das durch Gebrauch wachse, durch Nichtgebrauch aber dahinschwinde. Dem kann man nicht widersprechen.