Kolumne

Freiheit bewahren
Kolumne

Die Anwaltschaft hat sich nicht zum Freiheitskämpfer in eigenen Sachen entwickelt, beim Berufsrecht hat sie Beharrungskräfte. In diesen Tagen versammelt sich die Branche zum Deutschen Anwaltstag unter dem Motto „Rechtsstaatlichkeit stärken – Freiheit bewahren“. Auch wenn Attacken auf die Justiz wie von US-Präsident hier undenkbar erscheinen, müssen wir uns als angegriffen betrachten und entsprechend reagieren, schreibt Markus Hartung in seiner Kolumne.

3. Jun 2025

Wir Anwälte haben ein seltsames Verhältnis zur Freiheit. Jedenfalls zu unserer eigenen, der Berufsfreiheit. Felix Busse, früherer Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), hatte 2010 in einem Festschriftenbeitrag über die Schwierigkeiten der Anwaltschaft mit der Freiheit der Advokatur geschrieben und dabei die zahlreichen Beschränkungen ­geschildert, denen sie sich freiwillig gefügt hatte und von denen sie immer durch BVerfG-Entscheidungen befreit werden musste, denn sie selber war dazu nicht in der Lage. Busses Beitrag hatte nur Zimmerlautstärke, manchmal reicht es, nur auf Fakten hinzuweisen, da er­übrigt sich alles Weitere. Der Beitrag galt als so wichtig, dass er gut zehn Jahre später anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des DAV in überarbeiteter Form noch einmal veröffentlicht wurde (AnwBl Online 2021, 190).

Die Anwaltschaft hat sich seitdem nicht zum Freiheitskämpfer in eigenen Sachen entwickelt, beim Berufsrecht hat sie Beharrungskräfte. Vielleicht würde sie aber auf § 1 I BORA verweisen, wonach Anwälte ihren Beruf frei, selbstbestimmt und unreglementiert ausüben, damit sie beim Zugang zum Recht helfen und damit den Rechtsstaat ver­wirklichen können. Schön gesagt, auch wenn man manchmal meinen könnte, ab § 2 habe die BORA nur noch den Zweck, § 1 zu widerlegen. Ein Ausschuss der Satzungsversammlung ist seit Jahren damit be­schäftigt, die BORA in die Jetztzeit zu holen, aber es ist mühselig und langwierig. Das Gedankenspiel, die BORA neben § 1 auf fünf weitere zwingend wichtige Vorschriften zu reduzieren, weckt keinen freiheitlichen Gestaltungseifer, sondern mehrheitlich Unbehagen. Unlängst erinnerte Edith Kindermann, bis Februar dieses Jahres DAV-Präsidentin, fast als letzte Amtshandlung in anderem Zusammenhang an ein ­Zitat von Carl Friedrich v. Weizsäcker, wonach Freiheit ein Gut sei, das durch Gebrauch wachse, durch Nichtgebrauch aber dahinschwinde. Dem kann man nicht widersprechen.

In diesen Tagen versammelt sich die Anwaltschaft zum Deutschen Anwaltstag in Berlin, dieses Jahr unter dem Motto „Rechtsstaatlichkeit stärken – Freiheit bewahren“. Aus heutiger Sicht ein visionäres Motto, denn als es letztes Jahr beschlossen wurde, wusste man noch fast nichts über die systematischen und rücksichtslosen Angriffe der – ­immerhin, like it or not, demokratisch gewählten – US-Regierung auf Justiz und Anwaltschaft, Staaten- und Verteidigungsbündnisse, Universitäten, Angehörige von Minderheiten und die freie Presse, mit ­gezielter Erschütterung der Grundfesten der demokratischen Insti­tutionen sowie der individuellen und gesellschaftlichen Freiheit. Es scheint ganz einfach zu sein, es wird einfach gemacht, und es scheint zu funktionieren, trotz aller checks and balances, auf die man vertraut hatte. Auch wenn solche Attacken hier undenkbar erscheinen, müssen wir uns als angegriffen betrachten und entsprechend reagieren. Wer wenn nicht wir? Die Anwaltschaft darf hier nicht schweigen.

Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.