NJW-Editorial
Frauke richtet
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Das AG Frankfurt a.M. hat kürzlich einen elektronischen Urteilskonfigurator für Fluggastrechteklagen vorgestellt. Frauke heißt er. Ungewöhnlich für Justizsoftware: Frauke sieht schick aus und lässt sich kinderleicht bedienen. Frauke will kein Urteilsroboter sein, ist aber nicht weit davon entfernt. Sie könnte, wenn man sie ließe. Und dann?

9. Jun 2022

Wenn man in jüngerer Zeit gelegentlich vom Robo Judge las, waren sich im Grunde alle einig: Auf dem Richterstuhl dürfen nur Menschen Platz nehmen. Ein Subsumtionsauto­mat als Richtersubstitut wäre mit Art. 92 GG nicht vereinbar. Das passt zu unserer ­Intuition: Die humanoide weiße Gestalt vor futuristischem Sternenhimmel, die jedes zweite Legal-Tech-Plakat ziert, kann sich nun wirklich keiner im Justizpalast vorstellen. Indes: Bei der Automatisierung richterlicher Entscheidungen geht es nicht um die Haut, sondern um das Hirn. Es geht nicht darum, wer ein Urteil abzeichnet, sondern um die Frage, wie ein Urteil zustande kommt. Wird es erarbeitet oder wird es gezogen? Das Frankfurter Beispiel zeigt: Wenn Gerichte in der Flut der Fluggastrechte- oder Dieselklagen zu ertrinken drohen, geht es offenbar nur noch mit digitaler Hilfe: Die Individualdaten werden aus dem Schriftsatz automatisch ausgelesen, die Richterin wählt per Klick einen Falltyp an, und die Software stellt ihr aus vorkonfigurierten Textbausteinen die fertige Entscheidung zusammen. Die Richterin muss sie natürlich noch prüfen und freigeben, aber es liegt auf der Hand, dass man beim hundertsten Urteil nicht mehr so genau hinsehen wird. Das ist sogar weniger revolutionär, als man denkt: Verkehrsstaatsanwälte und Familienrichter bearbeiten ihre Standardfälle seit vielen Jahren auf diese Weise. Es geht gar nicht mehr anders.

Was bedeutet diese Entwicklung für die anderen Akteure der Rechtspflege? Zunächst, meine ich, sollten wir gesetzlich festschreiben, dass die Algorithmen einer Richtersoftware offen einsehbar sein müssen. Denn auch wenn der Gesetzgeber Gesetze und keinen Code gibt, ist der Code beim Einsatz entscheidungsunterstützender Software doch faktisch wichtiger als das Gesetz. Code is law, hat Lawrence Lessig das seinerzeit genannt. Sobald die Anwältinnen und Anwälte dann diesen Code einsehen können, verändert sich damit auch ein Stück weit ihre Arbeit. Sie werden in Frauke-Fällen vor Klage­erhebung testen müssen, ob die Software für ihren Antrag grünes Licht gibt. Wo dies nicht der Fall ist, werden sie nicht umhinkommen, den Algorithmus selbst anzugreifen. Es braucht also neben der juristischen Kompetenz auch eine gewisse Softwareexpertise. Natürlich nicht in jedem Rechtsbereich, aber erfahrungsgemäß machen die Fluggastrechte nur den Anfang; weitere Massenfälle werden folgen. Da trifft es sich gut, dass Anwälte bald nach dem neuen § 59c BRAO mit Angehörigen aller freien Berufe Sozietäten gründen dürfen. Spannende Zeiten! 

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Dr. Martin Fries ist Privatdozent an der LMU München.