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Umsetzung der Anti-SLAPP-Richtlinie
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Im Koalitionsvertrag vereinbarten Union und SPD die zeitnahe Umsetzung der sogenannten Anti-SLAPP-Richtlinie. Der entsprechende Referentenentwurf erntete Lob und Kritik. Wie weit geht er wirklich?

4. Nov 2025

Die Abkürzung SLAPP steht für Strategic Lawsuit Against Public Participation. Einflussreiche Einzelpersonen, Unternehmen, aber auch staatlichen Organe können rechtliche Mittel nutzen, um gegen Kritik aus der Zivilgesellschaft vorzugehen. Davor wollen die Richtlinie (EU) 2024/1069 und der Referentenentwurf zur Umsetzung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, NGOs, Medienschaffende und andere zivilgesellschaftliche Akteure und Akteurinnen schützen. Um SLAPPs von legitimen Anliegen zu unterscheiden, sehen die Richtlinie und der darauf basierende Referentenentwurf diverse Kriterien vor. So soll etwa berücksichtigt werden, inwieweit der geltend gemachte Anspruch oder ein Teil davon überhöht oder unangemessen ist und ob die Klägerseite in der Absicht der Prozessverschleppung handelt. Liegen solche teils recht vagen Merkmale vor, sollen die in §§ 615 ff. ZPO-E normierten Neuregelungen zur Anwendung kommen. Dazu gehören neben einer beschleunigten Terminierung insbesondere kostenrechtliche Regelungen. Die Beklagtenseite soll etwa den Ersatz ihrer Anwaltskosten über gesetzliche Gebührensätze hinaus verlangen können.

Zivilgesellschaftliche Kreise loben überwiegend die Umsetzung der Richtlinie und die darüber hinausgehende Erfassung innerstaatlicher Verfahren, sehen jedoch auch Nachbesserungsbedarf. Der Deutsche Journalisten-Verband zeigt in der Stellungnahme vom 11.8.​2025 etwa auf, dass die in Art. 9 der Richtlinie geforderte Möglichkeit für Verbände, Organisationen und Einrichtungen, SLAPP-Beklagte zu unterstützen, durch die Beistandschaft nach § 90 ZPO nicht hinreichend umgesetzt wird. Juristische Fachkreise sehen den Entwurf eher kritisch. So heißt es in der Stellungnahme des Deutschen Richterbunds (Nr. 4/2025, Juli 2025) unter anderem, SLAPPs seien in Deutschland „so gut wie unbekannt“. Dies steht im Kontrast zur Fallsammlung der NO-SLAPP-Anlaufstelle, die eine Liste von Fällen führt, die mutmaßlich SLAPP-Kriterien erfüllen. Abseits von offenen prozessualen Fragen gilt es also, sich die Notwendigkeit und Grenzen der Änderungen vor Augen zu führen. Zivilgesellschaftliche Beteiligung ist essenziell für die Demokratie. Der EGMR bezeichnet Journalistinnen und Journalisten, NGOs und andere zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure in seiner Rechtsprechung zu Art. 10 EMRK treffend als „public watchdogs“ (s. etwa BVerwG NVwZ 20224, 533). Wenn eine Bloggerin für kritische Äußerungen anwaltliche Post bekommt, oder ein Aktivist existenzbedrohende Schadensersatzforderungen befürchten muss, kann es zum „chilling effect“ kommen: die „watchdogs“ könnten ihre Grundrechte zögerlicher ausüben und damit dem öffentlichen Diskurs und der demokratischen Willensbildung wichtige Grundlagen entziehen. Ein Fall aus der Liste der NO-SLAPP-Anlaufstelle zeigt exemplarisch die Grenzen der Neuregelungen auf: Tierrechtsaktivisten dokumentierten mit heimlich installierten Kameras den Betäubungsprozess von Schweinen in einem Schlachthof und machten das Filmmaterial öffentlich. Auf eine Klage der Schlachthofbetreiberin verurteilte sie das LG Oldenburg zu Schadensersatz sowie zur Unterlassung der Verbreitung (Urt. v. 11.6.​2025 – 5 O 326/25, GRUR-RS 2025, 17025). Das LG erkannte im Hinblick auf die Tierwohlthematik den „wichtigen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit und Verbraucher wesentlich berührenden Frage“, erachtete jedoch das „Interesse der Klägerin am Schutz ihres sozialen Geltungsanspruchs als Wirtschaftsunternehmen und ihre unternehmensbezogenen Interessen“ als überwiegend. Ob die prozessualen Änderungen diesen materiellrechtlichen Abwägungsvorgang beeinflussen würden, erscheint zweifelhaft.

Kleiner Schritt zum Schutz der Zivilgesellschaft

Vor allem aber helfen die geplanten Änderungen nicht bei verwaltungs- und strafrechtlichen Verfahren, obwohl sie – auch im vorgerichtlichen Stadium – besonders grundrechtsrelevant sind. So hat eine drohende strafrechtliche Verurteilung oder aufenthaltsrechtliche Maßnahme erst recht das Potenzial, Menschen und Gruppen von zivilgesellschaftlichem Engagement abzuhalten. Die Umsetzung der Richtlinie allein ist also keine Lösung für den zugrunde liegenden Aushandlungsprozess zwischen Schutz privater Rechte einer- und zivilgesellschaftlichen Beiträgen zum demokratischen Diskurs andererseits. Vielmehr geht sie nur einen kleinen, wenn auch wichtigen formellen Schritt zum Schutz der Zivilgesellschaft im Rechtstaat.

Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wo­chen gra­tis tes­ten inkl. On­line-Modul NJW­Di­rekt.

Dr. Katharina Braun, LL.M. (Connecticut), ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte, Berlin.