Elektronische Beweismittel sind volatil und an Territorialgrenzen nicht gebunden. Zur Steigerung der Effizienz grenzüberschreitender Strafverfolgung hat die EU-Kommission das 2023 in Kraft getretene E-Evidence-Paket, bestehend aus der Vertreter-Richtlinie und der E-Evidence-VO, auf den Weg gebracht. Die Richtlinie ist bis zum 18.2.2026 umzusetzen, die Verordnung gilt ab dem 18.8.2026 unmittelbar. Nach der E-Evidence-VO können Staaten über transnational wirksame Europäische Sicherungs- und Europäische Herausgabeanordnungen erstmals direkt vom Diensteanbieter die Sicherung und Herausgabe elektronischer Beweismittel verlangen. Nach der Richtlinie müssen Serviceprovider, die Dienste in der EU anbieten, eine Niederlassung benennen oder einen Vertreter bestellen, der fortan als Adressat für die Anordnungen dient und mit den hierfür notwendigen Befugnissen und Ressourcen auszustatten ist. Rechtshilfe auf Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ist dagegen grundsätzlich nicht erforderlich. Nur bei als besonders sensibel eingeordneten Datenkategorien ist ein Unterrichtungsverfahren an den Vollstreckungsstaat vorgesehen, dem Überprüfungsmöglichkeiten verbleiben. Die Diensteanbieter und Adressaten operieren unter extrem kurzen Fristen (für die Herausgabe grundsätzlich zehn Tage, in Notfällen acht Stunden) und erheblichen Sanktionsdrohungen. Gleichzeitig ist ihnen für die gutgläubige Befolgung von Anordnungen weitgehend Haftungsfreiheit garantiert (Art. 15 II E-Evidence-VO). Der Referentenentwurf sieht die Implementierung in einem neuen Stammgesetz vor (Elektronische-Beweismittel-Umsetzungs- und Durchführungsgesetz). Auch hierin zeigt sich die Abkehr vom Rechtshilferecht. Die Vorschriften des IRG sollen nicht einmal ergänzend anwendbar sein.
Systemfremde Sanktionsregelungen
Kritik an den Verfahrensstandards sind an den deutschen Gesetzgeber weitgehend fehlgerichtet, da nur wenige Umsetzungs- und Durchführungsspielräume verbleiben. Auch im Rahmen dieser gibt es allerdings einige bemerkenswerte Punkte, insbesondere bei den Sanktionsvorschriften bei Nichtbefolgung von Anordnungen: Nach § 5 des Entwurfs gilt für die Ordnungswidrigkeiten eine sogenannte gemeinsame Verantwortlichkeit von Adressaten und Dienstanbietern. Damit wird Art. 3 V E-Vertreter-RiLi umgesetzt, der eine sogenannte gesamtschuldnerische Haftung vorsieht. Insoweit wurde die dem deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht systemfremde Bezeichnung ersetzt, allerdings ohne dass die dahinterstehende Systematik klar erkennbar oder eine Anpassung an das deutsche Ordnungswidrigkeitensystem erfolgt wäre. Bei Verstößen gegen Pflichten unter anderem im Zusammenhang mit Sicherungs- und Herausgabeanordnungen sollen danach Sanktionen sowohl gegen den Diensteanbieter als auch gegen den Adressaten verhängt werden können, unabhängig davon, wer von beiden seiner Pflicht nicht nachgekommen ist, soweit die Handlung keine Straftat darstellt. Klargestellt wird insoweit nur die Selbstverständlichkeit, dass das Fehlen geeigneter interner Verfahren zwischen Adressaten und Diensteanbieter nicht als „Rechtfertigung“ (so S. 41 der Begründung, wohl untechnisch als Bezug auf die Vertreter-RiLi zu verstehen) für den Pflichtverstoß dienen kann. Die entscheidende Frage wäre jedoch, ob geeignete interne Verfahren dazu führen, dass eine Verantwortlichkeit eines der beiden ausscheidet. Soll es um die Garantiehaftung für fremde Vorwerfbarkeit gehen? Dann käme es zu erheblichen Verwerfungen mit dem Schuldprinzip, die auch im Unionsrecht keine Verankerungen hätten. Auch das Zusammenwirken mit §§ 9, 14 OWiG bleibt unklar.
Der Entwurf bindet, wie europarechtlich vorgegeben, weitgehend Private in die Rechtshilfe ein. Die Intention ist aufgrund der Bedürfnisse der Praxis nachvollziehbar. Gerade bei den Sanktionsvorschriften sollten aber die bestehenden Implementierungsspielräume für systematisch klare und rechtsstaatlich ausgewogene Regelungen genutzt werden. Angesichts der auch persönlichen Haftungsrisiken der handelnden Personen bei nicht rechtzeitiger, richtiger oder vollständiger Ausführung von Anordnungen auf der einen Seite und der Freistellung bei gutgläubiger Befolgung auf der anderen Seite besteht ohnehin schon das Risiko einer standardmäßigen Ausführung von Anordnungen auch in rechtlichen Zweifelsfällen, das durch unklare Sanktionsregelungen nur verstärkt wird.
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