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Ein kühner Plan
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Familie viele Kinder adobe
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Stärkung der Kinderrechte, Ausbau der Autonomie und vertraglichen Gestaltungsfreiheit bei abstammungsrechtlichen Zuordnungen sowie im Sorge- und Umgangsrecht: Die beiden Eckpunktepapiere des Bundesjustizministeriums vom 16.1.​2024 zum Abstammungs- und Kindschaftsrecht setzen auf weniger Staat, gerichtliche Verfahren und Kontrolle. Kann Vertragsfreiheit den Grundpfeiler eines visionären modernen Familienrechts bilden?

26. Feb 2024

Der Plan, privatautonomen Vertragsfreiheiten die Herrschaft über die Abstammung sowie große Teile des Kindschaftsrechts zu überantworten, ist kühn: Für die Begründung der zweiten Elternstelle ist eine vor der Zeugung notariell zu beurkundende Elternschaftsvereinbarung vorgesehen. Bezogen auf den Geschlechtseintrag im Geburtenregister wird auf allgemeine Regeln des Abstammungsrechts verwiesen, also auf TSG und das geplante SBGG. Insofern wäre das gewählte Geschlecht für die Mutter- und genetische Vaterstelle weiterhin nicht eintragungsfähig. Welche Person zweite Elternstelle wird, wird einschränkungslos bestimmbar und soll allen anderen Elternschaften (Anerkennung, gerichtliche Feststellung) vorgehen. Die Vorschläge gehen aber weiter, da durch ein neues Urkundsverfahren beim Standesamt eine gesetzliche Elternschaft des Ehegatten mittels einvernehmlicher Erklärungen ohne gerichtlichen Beschluss beseitigt werden kann. Damit nicht genug, soll mittels Rochade auf Basis einvernehmlicher Erklärungen die zweite Elternstelle ausgetauscht werden können. Und auch diese (ggf. schon einmal neu besetzte) Elternstelle soll mittels neuer Elternschaftsvereinbarung oder Anfechtung korrigibel sein. Niedrigschwellig privatautonom verhandel-, verein- und wandelbare Abstammung ersetzt die geltenden Prinzipien von Statuswahrheit und Statussicherheit.

Ähnliche Flexibilität soll im Sorge- und Umgangsrecht Einzug halten: Voluntativ statuierte Elternschaften sollen mittels gemeinsamer Erklärungen wieder aufgehoben und neu zugeordnet werden können. Das verschärft die Orientierungslosigkeit und öffnet Tür und Tor für einen kaum überprüfbaren Ausübungsge- und -missbrauch. Der Vorschlag ist nicht flexibel, sondern beliebig – was sich auch in der Erweiterung von Sorgekompetenzen in Bezug auf Dritte zeigt, denen vor der Zeugung (!) nachträglich korrigierbare Entscheidungsrechte in Angelegenheiten des täglichen Lebens übertragen werden können. Mit Dritten sollen zudem Umgänge mit Vollstreckungsklausel oder Umgangsverzichte vereinbart werden können. Kinder bis zum 14. Geburtstag werden dabei nicht beteiligt. Das kann zu erheblichen nicht immer dem Kindeswohl dienlichen Absprachen und Vereinbarungen führen; starke Elternteile können auf Basis intransparenter Entscheidungsvorgänge kindliche Belange, Kontakte und Entwicklungen nach ihren Wünschen steuern und über das Wohl und Wehe des Kindes bestimmen, staatliche Korrektiv-Institutionen verlieren an Bedeutung. Folge ist das Entleeren der in Art. 6 I, II GG verankerten Schutzprinzipien.

Kindeswohl aus dem Blick verloren

Eine fragwürdige Verschiebung des Fokus vom Kind zu dessen (vertraglichen) Eltern zeigt auch der Plan, die Besetzung der zweiten Elternstelle nach Einleitung eines gerichtlichen Feststellungsverfahrens des leiblichen Vaters aus vermeintlichen Missbrauchsgründen zu verbieten. Bereits zu § 1597a BGB wurde klargestellt, dass bei einer auch beabsichtigten Eltern-Kind-Beziehung keine Missbräuchlichkeit vorliegt. Abgesehen von grundlegenden Bedenken überzeugt auch die vom BMJ angebotene Lösung von Konkurrenzfällen nicht: Das Familiengericht soll eine umfangreiche Interessenabwägung vornehmen und dabei das Anfechtungsinteresse dem Interesse am Fortbestand der bisherigen Elternschaft gegenüberstellen und bewerten. Das kann nicht ohne fachliche Beratung und Sachverständigengutachten erfolgen und wird lange Verfahren zur Folge haben, bis zu deren Abschluss dem Kind eine Elternstelle vorenthalten bleibt. Kinderrechte werden damit gerade nicht gestärkt, auch nicht in Form fehlender Beteiligungsrechte von Kindern bei Elternvereinbarungen oder dem Hinnehmen-Müssen von flexibel statuier- und erneuerbaren Elternstellen. Lediglich ab dem 14. Geburtstag sollen Kinder einer Umgangs- oder Sorgeentscheidung der Eltern zustimmen müssen, anderenfalls diese unzulässig ist. Mitbestimmung, nicht mehr bloß Mitwirkung wird künftig zur DNA der Kinderrechte Heranwachsender. (Nicht nur) bis dahin verkümmert nach den Plänen des BMJ das Kindeswohl zur Bedeutungslosigkeit.

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Dr. Marko Oldenburger ist Fachanwalt für Familienrecht und für Medizinrecht sowie Lehrbeauftragter an der Universität Münster.