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Reform der Wahlprüfung – aber wie?
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Nach dem letzten Wahlprüfungsverfahren intensiviert sich die Diskussion über seine Reform. Zur Debatte stehen verschiedene Modelle. Nicht immer aber bedarf es des großen Bestecks. Vor einer verfassungsrechtlichen Neuausrichtung sollte eine prozessuale Reform stehen.

12. Feb 2024

Am 19.12.​2023 entschied der Zweite Senat das BVerfG, dass die Wahl in 455 von 2.256 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden muss. Die Entscheidung stand am Ende einer Wahlprüfung, die sich teils heftiger Kritik aus Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft ausgesetzt sah und die Defizite des derzeitigen Wahlprüfungsverfahrens offenlegte.

Bemängelt werden dabei immer wieder zwei Schwachstellen des Verfahrens: Zunächst sei die Wahlprüfung ein zu langwieriges Verfahren. Die endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag erging zu einem Zeitpunkt, der der Wahl zum 21. Bundestag näher lag als dem ursprünglichen Wahltag. In der zweistufigen Wahlprüfung fällt der Beschluss im Einspruchsverfahren vor dem Bundestag zumeist erst nach einem Jahr, und auch das sich anschließende Beschwerdeverfahren vor dem BVerfG ist kein Schnellläufer, weil die Entscheidung im Senatsverfahren ergehen muss. Der Bundestag entscheidet zudem regelmäßig über die eigene Zusammensetzung und damit „in eigener Sache“. Die Regierungsparteien besitzen die Mehrheit im Wahlprüfungsausschuss und im Plenum. Auch bei der Überprüfung der Bundestagswahl 2021 witterten daher Mitglieder der Oppositionsfraktionen eine „Politisierung“ des Verfahrens. Diese Defizite machen die Wahlprüfung nicht zuletzt auch anfällig für Delegitimierungskampagnen. Insbesondere die AfD streut immer wieder Zweifel an der Legitimität der Briefwahl und versucht so, Wahlergebnisse zu diskreditieren. In Rede steht daher mittlerweile eine institutionelle Reform der Wahlprüfung im Wege der Änderung von Art. 41 I GG. Politikerinnen und Politiker unterschiedlicher politischer Lager forderten zuletzt, den Bundestag aus dem Wahlprüfungsverfahren vollständig herauszulösen. Als Alternativen werden bereits seit Längerem eine modifizierte zweistufige oder eine einstufige Wahlprüfung diskutiert. Eine dritte Möglichkeit wäre die zweizügige Rechtskontrolle.

Als Modifikation der zweistufigen Wahlprüfung wird ein sogenanntes Wahlgericht als Einspruchsinstanz vorgeschlagen. Als Ad-hoc-Gericht soll es sich aus Abgeordneten und Richtern des BVerfG oder aber anderer Bundesobergerichte (insbes. BVerwG) zusammensetzen. Ein solches Gericht würde sich nicht dem Vorwurf der Befangenheit ausgesetzt sehen. Zudem könnte es bereits unmittelbar nach Ende der Einspruchsfrist mit der Prüfung beginnen und müsste nicht wie der Bundestag die Regierungsbildung abwarten. Im Übrigen wäre die Zeitersparnis aber überschaubar, da auch das Wahlgericht jedem der teils tausenden Einsprüche nachgehen müsste. Andere wollen die Wahlprüfung einstufig gestalten und nur dem BVerfG zuschlagen. Mit dem Vorschlag ist ebenfalls die Hoffnung auf Zeitersparnisse verbunden. Allerdings würde das BVerfG in die ungewohnte Rolle der Tatsacheninstanz gedrängt. Dies stellt insbesondere im Fall einer Vielzahl von Einsprüchen kein triviales Problem dar. Zudem müssten wohl die Beteiligtenrechte des WahlPrG empfindlich eingeschränkt werden.

Denkbar wäre auch eine zweizügige Rechtskontrolle, die Populäreinsprüche von denen etwa der Verfassungsorgane abschichtet. So könnte ein Einspruch zum BVerfG etwa für ein bestimmtes Quorum der Mitglieder des Bundestags, die Bundesregierung, die Fraktionen und den Bundeswahlleiter zugelassen werden, um eine schnellere Wahlprüfung zu ermöglichen. Dabei müssten die Einsprüche der Bürgerinnen und Bürger nicht abgeschnitten werden. Diese könnten etwa durch ein Bundeswahlgericht beschieden werden. Das Rechtsmittel wäre auch hier die Beschwerde zum BVerfG. Ein solches Verfahren brächte jedoch eigene Probleme mit sich. Insbesondere wäre eine gewissenhafte prozessuale Koordination zwischen BVerfG und dem Bundeswahlgericht erforderlich. Denkbar wären eine generelle Aussetzung der Einsprüche vor dem Bundeswahlgericht oder eine Stillhalteverfügung des BVerfG, die Verfahren mit identischen Wahlfehlern vor dem Bundeswahlgericht aussetzt.

Die Diskussion über eine Reform der Wahlprüfung ist in vollem Gange. Eine ideale Lösung zeichnet sich bisher nicht ab. Auch ohne Verfassungsänderung könnte bereits jetzt jedenfalls das BVerfG entlastet werden: Dazu bedarf es einer Kammerzuständigkeit vergleichbar mit den §§ 81a, 93b BVerfGG für das Verwerfen unzulässiger und offensichtlich unbegründeter Wahlprüfungsbeschwerden.

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Dr. Jakob Schemmel, LL.M., ist Habilitand und akademischer Rat a. Z. am Lehrstuhl von Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Andreas Voßkuhle an der Universität Freiburg.