Die Angeklagten entwendeten in einem Zeitraum von sieben Jahren über 31 kg Gold und verkauften es für insgesamt 370.000 EUR. In der Folge verzichtete Hamburg aus heute nicht mehr feststellbaren Gründen auf die Separierung von Zahngold aus der Totenasche. Ende 2019 hat die Hansestadt dann ein neues Bestattungsgesetz beschlossen. In dessen § 14 II wurde die Aufnahme der Asche und „aller nicht verbrennbaren Rückstände“ in die Urne verfügt, die Separierung und Verwertung von Gold also verboten. Dass diese Norm dazu zwingt, selbst größere medizinische Implantate (mit teilweise beachtlichem Restwert) zu zerteilen und danach in die Urne zu geben, ist schon wenig sachgerecht bis grotesk. Schlimmer ist das Verbot der Goldabscheidung, die es ausschließlich in Hamburg gibt. In den Gesetzesmaterialien wird das als Reaktion auf die Strafprozesse zum „Zahngolddiebstahl“ bezeichnet. Zudem wird behauptet, diese Lösung entspreche sowohl einer Entscheidung des LG Hamburg wie auch des BGH. Die absurde Folgerung müsste sein, dass die Goldabtrennung in allen anderen Bundesländern rechtswidrig wäre. Aber davon kann keine Rede sein. Erstens haben die beiden Gerichte nirgends ein Verbot der Goldseparierung ausgesprochen, zweitens wäre das rechtlich irrelevant. Weder ein LG noch der BGH haben irgendeine Befugnis, einem Land bei der Nutzung der ihm zustehenden Gesetzgebungskompetenz reinzureden.
Wie ist diese Vergeudung großer Goldmengen zu rechtfertigen, wenn ständig aufgefordert wird, alte Handys und überhaupt Elektronik-Artikel zur Rückgewinnung wertvoller Materialien abzugeben und nicht einfach wegzuwerfen? Um welche Größenordnungen geht es? Die Hamburger Täter gewannen pro Jahr knapp 4,5 kg Gold. Es gab aber auch noch die von dem Krematorium überwachte Goldseparierung (deren Rückgang überhaupt erst die Ermittlungen auslöste). Hierfür sind schätzungsweise noch einmal 5,5 Kilo anzusetzen, das wären im Ergebnis 10 kg Gold im Wert von damals rund 330.000 EUR, dessen Nutzung durch das Gesetz verboten wurde. Während der acht Jahre bis zum Gesetzeserlass verzichtete man also auf wenigstens 80 kg Gold und seither auf weitere 40 kg. Aktuell kostet ein Kilo Gold 73.000 EUR. Bei der Hamburger Fachbehörde gibt es insoweit keine kritischen Stimmen, Gesetz ist Gesetz. Wie man die Kinder-Krebshilfe vertröstet oder entschädigt hat, ist unbekannt.
Wie geht man in Berlin mit diesem Problem um? In der Stadt gibt es zwei landeseigene Krematorien. Diese verzichten aufgrund interner Weisungen auf die Goldgewinnung. Vor dem OVG Berlin-Brandenburg begehrt eine Firma die Erlaubnis zum Betrieb eines dritten Krematoriums. Dabei wird auch das Problem der Gold-Separierung eine Rolle spielen.
Welche Folgen hat die derzeitige Praxis?
In Berlin versterben jährlich knapp 40.000 Menschen, von denen nur ein Viertel beerdigt wird. Von den rund 30.000 kremierten Toten trugen etwa bis zu 20.000 Zahngold, niedrig geschätzt 2 g. Es wird mithin jährlich auf rund 40 kg Gold im Wert von knapp 3 Mio. EUR verzichtet. Ein Blick über Hamburg und Berlin hinaus veranschaulicht die Größenordnungen. Wenn man die vorstehend verwendeten Schätzungen zugrunde legt, dann gelangt man bei jährlich über 700.000 Einäscherungen in Deutschland zu dem Ergebnis von rund einer Tonne Gold! Wie viel davon dem Totalverlust in der Urne entzogen wird, lässt sich nicht zuverlässig ermitteln. Man erfährt nur, dass vermutlich die Mehrzahl der rund 160 Krematorien Gold aus der Asche abscheidet, aber es gibt auch bei etlichen einschlägigen Verbänden keine Übersicht, sondern nur vage Vermutungen. Selbst spezialisierte und bundesweit tätige Arbeitskreise des Deutschen Städtetags und privater Verbände verneinen den Besitz präziser Daten. Der Deutsche Städtetag hat 2015 sehr vernünftige „Empfehlungen zum Umgang mit metallischen Kremationsrückständen“ herausgegeben, die aber überwiegend nicht angenommen wurden. Alles in allem gewinnt man den Eindruck, dass hier an einem Tabu möglichst nicht gerührt werden soll. Einzusehen ist das nicht.
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