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Bezahlkarte bleibt umstritten
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Mit der neu eingeführten Bezahlkarte sollen Hilfeleistungen an Asylsuchende weitgehend unbar erbracht werden und die Menschen nur wenig Bargeld erhalten. Erste Gerichtsentscheidungen lassen berechtigte Zweifel an der Einzelfallgerechtigkeit erkennen.

9. Sep 2024

Seit einiger Zeit wird darüber diskutiert, ob und wie Auszahlungen von Bargeld an Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) eingeschränkt werden sollten. Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) verständigte sich mit dem Bundeskanzler im November 2023 darauf, hierfür eine sogenannte Bezahlkarte einzuführen. Eine entsprechende Änderung des AsylbLG wurde kurzfristig in ein anderes Gesetz eingefügt und ist am 16.5.2024 in Kraft getreten. Die Bezahlkarte ist seither eine zusätzliche Option der Leistungsgewährung, über die nach der Gesetzesbegründung die Behörden vor Ort entscheiden sollen. Am 20.6.2024 einigte sich die MPK auf die Empfehlung, dass der Barbetrag, der abgehoben werden kann, bei Erwachsenen auf maximal 50 EUR pro Monat begrenzt werden soll. Entsprechende Regelungen sind inzwischen in mehreren Bundesländern erlassen worden.

Gegen erste Umstellungen von Leistungen auf die Bezahlkarte werden Rechtsmittelverfahren geführt. In zwei einstweiligen Anordnungen haben Sozialgerichte Zweifel daran erkennen lassen, dass mit dieser Form der Leistungsgewährung die Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet ist. Das SG Hamburg (Beschl. v. 18.7.2024 – S 7 AY 410/24 ER, BeckRS 2024, 17896) erhebt keine Einwände gegen das „Ob“ einer Bezahlkarte, äußert aber Zweifel vor allem an der festgelegten Grenze der Barauszahlung. Es dränge sich „unmittelbar die Frage auf, wie die Leistungsverwaltung mit einer starren Obergrenze individuellen Bedürfnissen und Umständen vor Ort gerecht werden kann“. Besonders bei Mehrbedarfen etwa für Kinder oder Schwangere müssten die Bargeldobergrenze erhöht oder die entsprechenden Geldleistungen in bar gewährt werden. Schärfer argumentiert das SG Nürnberg (Beschl. v. 30.7.2024 – S 11 AY 15/24 ER, BeckRS 2024, 18842), wenn es betont, dass der Leistungsträger bei der Wahl der Leistungsform Ermessen auszuüben und hierbei die Umstände des Einzelfalls in den Blick zu nehmen habe. Die Einschränkungen der Dispositionsfreiheit für die Leistungsempfänger durch die Bezahlkarte sind für das SG grundsätzlich bedenklich. So entfällt etwa die Möglichkeit, Gebrauchs- oder Konsumgüter im Online-Handel oder im privaten Verkehr kostengünstiger als im Ladengeschäft zu erwerben; auch ist nicht überall im Einzelhandel eine Kartenzahlung mit der Bezahlkarte möglich, schon gar nicht an Verkaufsständen oder bei öffentlichen Veranstaltungen. Vor diesem Hintergrund birgt, so das SG, die zeitlich unbeschränkte Leistungsgewährung per Bezahlkarte mit einer starren Bargeldobergrenze die Gefahr, dass es den Betroffenen „nicht in ausreichendem Maße möglich wäre, durch eigenverantwortliches wirtschaftliches Handeln Ansparungen aus ihren Sozialleistungen vorzunehmen oder diese umzuschichten, um auf diese Weise ihr individuelles Existenzminimum insgesamt sicherzustellen“.

Ausschlaggebend ist der Einzelfall

Bei zwei einstweiligen Anordnungen kann man noch nicht von einer gefestigten Rechtsprechung reden. Aber die Entscheidungen machen deutlich, dass die Praxis bei der Bezahlkarte das Grundprinzip des Sozialhilferechts nicht ausreichend berücksichtigt: Staatliche Hilfeleistungen müssen in Art und Weise so gestaltet sein, dass sie den realen Bedürfnissen der Betroffenen entsprechen und ihnen eine menschenwürdige, mithin auch eigenverantwortliche Lebensführung ermöglichen. Die Karte soll die Geldtransfers in die Heimatländer verhindern. Die Behauptung, Asylsuchende würden Sozialleistungen für solche Geldtransfers verwenden, ist nie empirisch belegt worden. Von den geringen Beträgen, die Asylsuchende an staatlicher Hilfe erhalten, lassen sich kaum solche Transfers finanzieren. Das Argument, die Bezahlkarte sei notwendig, um die Zahlen neu ankommender Schutzsuchender zu senken, ist ebenso kontrafaktisch. Sozialleistungen sind keine Pull-Faktoren. In den Beratungsstellen erleben wir immer wieder: Die Flüchtlinge wollen arbeiten und selbstständig sein, nicht von staatlicher Hilfe leben müssen. Die Form der Sozialleistungen aus migrationspolitischen Erwägungen heraus abschreckend zu gestalten, ist unanständig und verletzt Grundwerte unserer Gesellschaft. Auch verfassungsrechtlich wird damit die Bezahlkarte bedenklich, denn migrationspolitische Gesichtspunkte, so das BVerfG ausdrücklich, dürfen bei der Ausgestaltung der Hilfeleistungen keine Rolle spielen. Die Leistungsträger dürfen sich daher für die Option einer Bezahlkarte nur anhand der Umstände im Einzelfall entscheiden. Sonst wird die Auseinandersetzung vor Gericht weitergehen.

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Stefan Keßler ist Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdiensts Deutschland.