Forum
Der Mensch im Kanz­lei­mit­tel­punkt
Forum
© tomertu/adobe

An­walts­kanz­lei­en ste­hen vor grund­le­gen­den Her­aus­for­de­run­gen. Die Ver­dich­tung der Ar­beit, die stei­gen­den Zah­len psy­chi­scher Er­kran­kun­gen und der Kampf um Ta­len­te. Diese Her­aus­for­de­run­gen meis­tern die­je­ni­gen So­zie­tä­ten, die auf men­schen­zen­trier­te Füh­rung (Human Cen­te­red Lea­der­ship) set­zen.

10. Sep 2024

In part­ner­schaft­lich ge­führ­ten Kanz­lei­en ohne zen­tra­les Ma­nage­ment gilt das Prin­zip der la­te­ra­len Füh­rung. Ent­schei­dun­gen sind ohne die for­ma­le Macht von „Über-Unter“ im Dia­log und in der of­fe­nen Aus­ein­an­der­set­zung zu fäl­len. Doch wie ge­lingt der Spa­gat zwi­schen Ge­winn­ori­en­tie­rung auf der einen und den mensch­li­chen As­pek­ten von psy­chi­scher Ge­sund­heit, Ver­ein­bar­keit mit Fa­mi­lie und den Wün­schen der jün­ge­ren Ge­ne­ra­tio­nen auf der an­de­ren Seite? Die Ant­wort ist: Human Cen­te­red Lea­der­ship.

Mo­dell der Mul­ti­per­spek­ti­ven

Human Cen­te­red Lea­der­ship lässt sich auf drei Ebe­nen dar­stel­len (Mo­dell der Mul­ti­per­spek­ti­ven): Von innen nach außen sind es: Ers­tens Selbst­füh­rung, zwei­tens Lea­der­ship/Per­so­nal­füh­rung und drit­tens Kanz­lei­füh­rung. Die Selbst­füh­rung be­ein­flusst die zwei wei­te­ren Ebe­nen. Die Kanz­lei, die alle Ebe­nen be­herrscht, ge­langt „From Good To Great“ (Jim Col­lins).

Auf der per­sön­li­chen Lea­der­ship-Ebene ge­lingt die Ba­lan­ce zwi­schen Ge­winn­stre­ben und Mensch­lich­keit durch eine in­ten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit den ei­ge­nen Mo­ti­ven, der ei­ge­nen Her­kunft und den fa­mi­liä­ren Prä­gun­gen. Dazu ge­hö­ren auch Trau­ma­ta, sei es durch per­sön­li­che Schick­sals­schlä­ge oder von gan­zen Ge­ne­ra­tio­nen, wie durch den Zwei­ten Welt­krieg oder für viele in Eu­ro­pa nun durch den Ukrai­ne-Krieg. Für Human Cen­te­red Lea­der­ship spie­len die In­te­gra­ti­on und Ver­ar­bei­tung fa­mi­liä­rer Trau­ma­ta eine zen­tra­le Rolle, weil in der For­schung an­er­kannt ist, dass ihre Schat­ten der Mensch­lich­keit über Ge­ne­ra­tio­nen nach­wir­ken (Sa­bi­ne Lück, Ver­erb­tes Schick­sal, 2023; Ma­ri­an­ne Rau­wald, Trans­ge­ne­ra­tio­na­le Wei­ter­ga­be trau­ma­ti­scher Er­fah­run­gen, 2020) – also auch in un­se­rem Han­deln und Ent­schei­dun­gen als An­wäl­te und Part­ne­rin­nen einer Kanz­lei im Jahr 2024. Auf der Ver­hal­tens­ebe­ne geht es bei Selbst­füh­rung um Zeit­ma­nage­ment und Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, be­wuss­te Pau­sen, Acht­sam­keit, Sport als Aus­gleich und die Stei­ge­rung der ei­ge­nen Re­si­li­enz.

Auf der Ebene der Per­so­nal­füh­rung for­dert Human Cen­te­red Lea­der­ship von den Part­ne­rin­nen und Part­nern in der Team- und Mit­ar­bei­ter­füh­rung auf ex­zel­len­te Leis­tung eben­so zu ach­ten wie auf Re­ge­ne­ra­ti­ons­pha­sen, Stär­kung der Re­si­li­enz im Team und die Schaf­fung eines safe space für die Mit­ar­bei­ten­den. Em­pa­thie spielt eben­falls eine große Rolle in der Füh­rung und för­dert das Wohl der Mit­ar­bei­ten­den sowie das ei­ge­ne. Ge­schul­te Füh­rungs­per­so­nen schaf­fen eine Kul­tur, in der sich die An­ge­stell­ten ent­fal­ten kön­nen und wert­ge­schätzt füh­len. Sie er­mög­li­chen ein Mit­ein­an­der, in dem aus Feh­lern ge­lernt wer­den kann, ohne den ei­ge­nen An­spruch an eine ex­zel­len­te Be­ra­tung zu re­du­zie­ren. Sie spre­chen es an, wenn sie selbst ge­stresst sind oder Er­schöp­fungs­sym­pto­me bei ihren Mit­ar­bei­ten­den be­mer­ken.

Die Ebene der Kanz­lei­füh­rung schlie­ß­lich er­for­dert Ent­schei­dun­gen im Part­ner­kreis, die Ge­winn­stre­ben und Mensch­lich­keit in Ba­lan­ce set­zen. Hier­für ste­hen den Kanz­lei­en zwei Hand­lungs­fel­der zur Ver­fü­gung: Die Kul­tur und die ge­leb­ten Werte der Kanz­lei auf der einen sowie die Struk­tu­ren und Pro­zes­se auf der an­de­ren Seite. Mo­del­le zu neuen Kar­rie­re­we­gen, zu Va­ter­zei­ten, zu fle­xi­blen Ar­beits­mo­del­len fal­len in die­sen struk­tu­rel­len Be­reich eben­so wie auf Part­ner­ebe­ne be­schlos­se­ne An­ge­bo­te zu Re­si­li­enz, Coa­ching und Lea­der­ship. Zu die­ser Ebene ge­hört auch die Über­prü­fung aller HR-Pro­zes­se (von Re­crui­ting über On­boar­ding, Feed­back, Ent­wick­lung und Frei­set­zung) in­wie­weit sie ge­sun­des Ar­bei­ten und nach­hal­ti­ge Leis­tung er­mög­li­chen. Aus dem viel­zi­tier­ten Satz „Cul­tu­re eats stra­te­gy for break­fast“ (Peter Dru­cker) folgt: Nur wenn die Kanz­lei­kul­tur eine ge­sun­de Ba­lan­ce aller Le­bens­be­rei­che för­dert und The­men der men­ta­len Ge­sund­heit und Selbst­für­sor­ge ent­ta­bui­siert, kön­nen die struk­tu­rel­len Maß­nah­men Früch­te tra­gen.

Best Prac­ti­ce

In der Pra­xis setzt Human Cen­te­red Lea­der­ship min­des­tens Fol­gen­des vor­aus: den Aus­tausch des Ma­nage­ments mit allen Mit­glie­dern der Kanz­lei; den Aus­tausch von Kanz­lei­en un­ter­ein­an­der; die Vor­bild­funk­ti­on von Part­ne­rin­nen und Part­nern als Lea­der; Selbst­re­flek­ti­on.

Die­ser In­halt ist zu­erst in der NJW er­schie­nen. Sie möch­ten die NJW kos­ten­los tes­ten? Jetzt vier Wo­chen gra­tis tes­ten inkl. On­line-Modul NJW­Di­rekt.  

Dr. Jo Aschenbrenner, LL.M., ist Rechtsanwältin und Coach sowie Gründungsmitglied des 2023 vom Liquid Legal Institute initiierten Human Centered Leadership Circle.