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Klima, Demokratie, Kriege in der Ukraine und Nahost. Müssen Unternehmen dazu eine Meinung haben, zumal in einem Superwahljahr? Und wenn ja: Wie sollen sie diese äußern?

24. Jun 2024

Eine politische Meinung haben zunächst nur natürliche Personen, und die „Meinung“ einer juristischen Person ist letztlich die ihrer Organe. Aber fordern nicht Krisenzeiten, dass Unternehmen in ihrer Eigenschaft als gesellschaftliche Akteure Position beziehen zu gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen und dabei ihr wirtschaftliches Gewicht in die Waagschale werfen? So das Konzept der Corporate Political Responsibility. Doch was sind die leitenden Prinzipien? Eine entsprechende juristische Debatte fehlt bislang.

Gewiss: Lobbyismus hat es immer schon gegeben, auch seitens der Wirtschaft, und die Rechtsordnung hat entsprechende Bemühungen zart eingehegt. Der klassische Wirtschaftslobbyismus ist eigennützig: niedrige Unternehmenssteuern, liberales Arbeitsrecht, laxe Umweltauflagen. Im Gegensatz dazu hat Corporate Political Responsibility die allgemeinen Rahmenbedingungen unternehmerischer Tätigkeit im Blick. Ein Unternehmen lebt von Voraussetzungen, die es selbst nicht schaffen kann, wie etwa ein freier Markt und ein funktionierender Rechtsstaat. Unternehmerische Tätigkeit profitiert von Demokratie und einer offenen, pluralistischen Gesellschaft, die gegenüber Innovation und dem Zuzug von Fachkräften aufgeschlossen ist. Dadurch unterscheidet sich Corporate Political Responsibility vom klassischen Lobbyismus. Und versteht sich als eine Weiterentwicklung der Corporate Social Responsibility, also der Idee, dass Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung haben, die über die (wirtschaftliche) Verantwortung gegenüber den Eigentümern hinausgeht. Zugleich geht es um mehr als nur darum, mit einer progressiven Einstellung zu werben. Der Kampf gegen den Klimawandel und für Diversität kann zwar durchaus Marketing-Tool sein, auf umkämpften Produkt- und Bewerbermärkten; die Diversity-Strategien der Anwaltskanzleien illustrieren das anschaulich. Das Konzept der Corporate Political Responsibility kommt aus der Unternehmenskommunikation, und ein Ziel ist es, mit der richtigen politischen Ausrichtung die Positionierung im Markt zu verbessern. Aber das ist nur ein Aspekt. Harte gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen eignen sich oft nicht für Werbezwecke. Und die Diskussion über „Greenwashing“ begrenzt „woke“ Werbung. Welchen Beitrag können und sollen Unternehmen dann zum Erhalt von Markt, Demokratie und Rechtsstaat leisten? Eine Arbeitsgruppe der Universität Michigan hat hierzu 2023 die Erb Principles for Corporate Political Responsiblity veröffentlicht, die vier Leitprinzipien des politischen Engagements von Unternehmen betonen: Legitimität, Verantwortlichkeit, Verantwortung und Transparenz (https://erb.umich.edu/). Legitim ist politisches Engagement dann, wenn es die Tätigkeit des Unternehmens betrifft, und nicht nur die politische Einstellung seiner Eigner oder Leiter widerspiegelt. Erforderlich ist, dass das Unternehmen Verantwortung für sein politisches Engagement übernimmt und gegenüber Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit transparent macht.

Vergleichbare Initiativen fehlen in Deutschland

Der Stakeholder-Ansatz im deutschen Unternehmensrecht ist dabei einer gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens gegenüber im Grundsatz aufgeschlossen. Einem Unternehmenseigner oder -führer ist es zudem unbenommen, sich politisch zu äußern und öffentlich von der Wahl einer bestimmten Partei abzuraten, arbeitsrechtlich möglicherweise beschränkt durch §§ 74, 75 BetrVG – einmal ganz abgesehen von der Frage, inwieweit die Wahlempfehlung des Unternehmenspatriarchen im 21. Jahrhundert tatsächlich ein geeignetes Mittel der Demokratieförderung ist.

Für klassische Managemententscheidungen bestehen ausdifferenzierte juristische Leitplanken. Diese fehlen für das politische Engagement von Unternehmen. Nur Großunternehmen verfügen über spezialisierte Government Relations-Abteilungen, die die politische Landschaft professionell beobachten und das Unternehmen entsprechend positionieren. Zudem gibt es keine rechtlichen Leitlinien. Zu welchen Fragen soll sich ein Unternehmen äußern und wenn ja, wie? Was ist legitimes Engagement, wo beginnt unzulässiger wirtschaftlicher Druck? Was, wenn sich eine politische Einschätzung retrospektiv als unzutreffend erweist oder ein progressiv gemeinter Post einen Shit-Storm zur Folge hat? Gelten dann die Grundsätze des § 93 AktG analog? Die gesellschaftspolitische Verantwortung von Unternehmen ist wichtiger denn je. Sie effektiv wahrzunehmen erfordert auch eine Diskussion über ihre rechtlichen Grundlagen. 

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Dr. Kilian Bälz, LL.M. (London), ist Rechtsanwalt in Berlin und Mitglied im Aufsichtsrat der NGO Democracy Reporting International.