NJW-Editorial
Fortschritt wagen statt eWpG 2.0
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Ende Juni haben das Bundesfinanz- und das Bundesjustizministerium gemeinsam „Eckpunkte für ein Zukunftsfinanzierungsgesetz“ vorgelegt. Darin ist ein Bündel von unterschiedlichen Maßnahmen enthalten, um den Finanzstandort Deutschland durch Digitalisierung und Entbürokratisierung für Unternehmen und Investoren attraktiver zu ­machen. Zukunftsinvestitionen sollen erleichtert werden.

4. Aug 2022

Ein zentrales Element dieser Strategie soll die bereits im Koalitionsvertrag vorgesehene Erweiterung des eWpG um Aktien darstellen. Die Ankündigung einer Emission von ­Aktien auf Basis der Blockchain-Technologie stellte daher lediglich eine Umsetzung der bereits bestehenden Regierungspläne dar. Neu auf die Agenda hat es hingegen ein damit eng verbundenes Grundlagenthema geschafft, das bedauerlicherweise bei der hastigen eWpG-Einführung unberücksichtigt blieb: der allgemein-privatrechtliche Rechtsrahmen für Token.

Beide Anliegen sind wichtig und richtig, aber der deutsche Gesetzgeber sollte – gerade in einem frühen Stadium der Legislaturperiode – den Fehler einer übereilten Minimallösung nicht erneut begehen. Das deutsche Aktien- und Depotrecht wartet seit Jahrzehnten auf eine längst überfällige Reform, die eine Loslösung aus dem sachenrecht­lichen, vielfach fiktionalen Korsett und einen Übergang zu einem System von unverbrieften Wertrechten vollzieht. Die Schweiz mit ihrem erprobten Bucheffektengesetz taugt in dieser Hinsicht als weitgehendes Vorbild. In der Gesetzesbegründung zum eWpG wurde die damalige Nichteinbeziehung von Aktien gerade mit der Notwendigkeit eines umfassenderen Schrittes begründet.

In der Folge erscheint es zweifelhaft, ob sich materiefreie Aktien wirklich friktionslos in das bestehende eWpG-Gefüge einbinden lassen. Die multidimensionale Mitgliedschaft in einer Gesellschaft weicht inhaltlich deutlich von einer schlichten Forderungsbeziehung, wie sie einer Inhaberschuldverschreibung innewohnt, ab. Vor allem aber hat sich das eWpG einem sachenrechtlichen Leitmotiv verschrieben, das mit einem ent­materialisierten System von Wertrechten unvereinbar wäre. Als Regelungsstandort bietet sich daher eher das Depotrecht an.

Überfällig ist auch die Kodifizierung eines gesonderten Privatrechts der Token. Bislang existiert im deutschen Privatrecht nach ganz überwiegender Ansicht bereits keine taugliche Kategorie zur rechtlichen Einordnung. Auch zu den korrespondierenden Übertragungsregeln herrscht weitgehende Rechtsunsicherheit: das Meinungsspektrum mäandert zwischen Realakt, Abtretungsrecht (§§ 413, 398 ff. BGB, ggf. analog) und Sachenrecht (§§ 929 ff., 873 ff. BGB analog). BMF und BMJ sollten die noch junge Legislaturperiode für einen großen Wurf nutzen. Die MoPeG-Reform mit dem vorgehenden „Mauracher Entwurf“ weist den Weg.

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Prof. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur, ist Direktor des Instituts für das Recht der Digitalisierung an der Universität Marburg und Leiter des BMJ-Forschungsprojekts „Blockchain und Recht“.